Hamburger Gewalt-Exzesse lösen Polit-Debatte aus

Nach dem G20-Treffen. Vor Bundestagswahl im Herbst gerät SPD-Bürgermeister Olaf Scholz in die Kritik. Härtere Strafen gefordert. Internationale Pressestimmen.

Nach drei Nächten voller Gewaltexzesse war am Sonntag, am Tag eins nach dem G20-Gipfel, in Hamburg das große Aufräumen angesagt – und der deutsche Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier. Er besuchte in einem Spital verletzte Polizisten. "Ein solches Ausmaß an Gewalt haben wir auf Demonstrationen in den letzten Jahren in Deutschland nicht erlebt", sagte der Staatschef, der sich fassungslos zeigte und sich bei den Sicherheitskräften ausdrücklich für ihren Einsatz bedankte.

Hamburger Gewalt-Exzesse lösen Polit-Debatte aus
German President Frank-Walter Steinmeier and Hamburg mayor Olaf Scholz visit injured police in the Bundeswehrkrankenhaus hospital after the G20 summit in Hamburg, Germany, July 9, 2017. Guido Bergmann/Courtesy of Bundesregierung/Handout via REUTERS ATTENTION EDITORS - THIS PICTURE WAS PROVIDED BY A THIRD PARTY. NO RESALES. NO ARCHIVE

Dabei sprach er sich gegen die Verlegung der G20-Treffen zur UNO nach New York aus, was unter anderem sein SPD-Parteikollege, Außenminister Sigmar Gabriel, und auch der SPD-Spitzenkandidat für die Wahl im Herbst, Martin Schulz, gefordert hatten. "Das ist mir zu einfach. Ich glaube, wir müssen uns selbst überlegen als Demokraten, ob wir uns wirklich von einigen Gewaltbereiten vorschreiben lassen, ob solche Konferenzen stattfinden und wo sie stattfinden", so Steinmeier.

Hunderte Verletzte und Festnahmen

Höhepunkt der Krawalle war die Nacht zum Samstag. Linksextreme hatten Autos angezündet, Geschäfte devastiert und geplündert, Polizisten mit Zwillen – modernen Steinschleudern – beschossen und mit Steinen sowie Molotow-Cocktails beworfen. Es mussten Sonderkräfte mit Sturmgewehren im Anschlag ausrücken. An die 500 Sicherheitskräfte wurden verletzt, seit Beginn der Proteste 186 Randalierer fest- und 225 in Gewahrsam genommen. Gegen 37 Täter wurden Haftbefehle erlassen.

>>> Dritte Nacht mit Gewalt in Hamburg

Bürgermeister Olaf Scholz unter Druck

Angesichts des Ausmaßes der Gewalt kam Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz unter Druck – vor allem von der CDU-Fraktion der Stadt. Sie fordert seinen Rücktritt. Das tut auch der Chef der deutschen Polizeigewerkschaft, Rainer Wendt: "Wenn er keinen Plan hat, wie er linke Gewalt künftig verhindern will, muss er seinen Hut nehmen."

Allgemeiner Tenor der Kritiker: Scholz habe die Warnungen vor dem G20-Gipfel in den Wind geschlagen und die Gefahr verharmlost. Dieser räumte ein, dass es nicht gelungen sei, für Sicherheit zu sorgen, und versprach den schuldlosen Opfern rasch Hilfe. Sein Innensenator Andy Grote (SPD) meinte, die "skrupellose Gewalt" sei nicht vorhersehbar gewesen.

Law and Order

Vor der Bundestagswahl im September dieses Jahres bietet das Thema jedenfalls jede Menge Brisanz. Vor diesem Hintergrund setzen beide Großparteien auf Law and Order. Innenminister de Maiziere (CDU) forderte ein konsequentes Vorgehen gegen die Täter, SPD-Generalsekretär Hubertus Heil die "volle Härte des Gesetzes", Sigmar Gabriel eine europaweite Fahndungstruppe. Auch härtere Strafen wurden angedacht.

>>> Wofür das Ganze? Die Ergebnisse des G-20-Gipfels

Von Hamburg im Kriegszustand und einem Debakel für die deutschen Polizeikräfte schreibt die italienische Presse mit Blick auf die Krawalle um den G-20-Gipfel. Britische Blätter beschäftigen sich mit der Machtverteilung zwischen Washington und Berlin.

In Italien diskutiert die Presse vor allem die Ausschreitungen zum G-20-Gipfel in Hamburg:

"Corriere della Sera" (Mailand): "Der Gipfel von Hamburg schließt mit einem Debakel für die deutschen Polizeikräfte, die es nicht geschafft haben, Sicherheit auf der Straße zu gewährleisten. Das könnte sich in ein politisches Problem für Angela Merkel verwandeln."

"La Repubblica" (Rom): "Das Herz eines Hamburgs, das sich seit drei Tagen im Kriegszustand befindet, ist die Geisel des Terrors. Zwischen den Vierteln Sternschanze, Altona und St. Pauli brandschatzen Tausende G-20-Gegner die zweitgrößte Stadt Deutschlands.(...) Es gibt keine dominierende politische Idee, keine gemeinsamen Ziele, keine historische Ideologie, kein rechts und kein links. (...). Es gibt einen einzigen gemeinsamen Zweck: die Attacke auf "ein System, das uns ausschließt und uns demütigt"."

In London diskutieren britische Zeitungen über die Positionen des US-Präsidenten Donald Trumps und der Bundeskanzlerin Angela Merkel:

"Times": "Der US-Präsident hat sich mit seiner Entscheidung für den Ausstieg aus dem Pariser Klimaschutzabkommen, das gestern von 19 der G-20-Staaten bekräftigt wurde, von seinen Amtskollegen abgewendet. (...) Angela Merkel, die als G-20-Gastgeberin bei der Begegnung mit Wladimir Putin ihre Technik des Augenrollens perfektionierte, wird von einigen als die wahre Führerin der freien Welt gepriesen. Das ist nicht ernst zu nehmen. Merkel hat den Vorteil politischer Langlebigkeit, aber sie hat nie eine Neigung gezeigt, über die europäische Bühne hinauszugehen. Ihr Ziel ist es, die Europäische Union zu verteidigen und zu bewahren, die vorteilhaft für die deutschen Exporteure ist. (...)"

"TheObserver": "Schlagzeilen haben in jüngster Zeit nahegelegt, dass Angela Merkel als Führerin der westlichen Welt angesehen werden sollte - statt Donald Trump. Für viele ist Merkel de facto zur Präsidentin Europas und zur globalen Bannerträgerin fortschrittlicher Politik geworden. Das ist eine schwere Bürde. Aber irgendwie ist das auch einfältig. Merkel selbst weist die Rolle der Retterin klugerweise von sich. (...) So hätte Trump - statt sich vor einer mit Bussen herangeschafften Menschenmenge in Warschau als Vorkämpfer der westlichen Zivilisation zu brüsten - seiner Führungsrolle gerecht werden können, indem er bedingungslose Friedensgespräche mit Nordkorea eröffnet oder sich glaubhaft für einen palästinensischen Staat eingesetzt hätte. (...)"

Die Schweizer "Neue Zürcher Zeitung am Sonntag" verteidigt die Arbeitsweise der G-20 gegenüber der Demonstranten:

"(...) Doch all die wütenden Demonstranten täuschen sich. Als das G-20-Treffen 1999 aus der Taufe gehoben wurde, ging es in erster Linie darum, die Globalisierung zu zähmen. (...) Auch die Kritik der Demonstranten am angeblich diktatorischen Vorgehen zielt ins Leere. Bisher galt an G-20-Gipfeln das Konsensprinzip, also eben nicht das Recht des Stärkeren. Das ist oft sehr harzig und resultiert in Wortwolken, deren Tragweite nur Eingeweihte verstehen. Aber das Resultat ist eine Politik des steten Tropfens, der den Stein höhlt, getragen von Nationen, die zwei Drittel der Weltbevölkerung und vier Fünftel der globalen Wirtschaftsleistung repräsentieren."

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