Grundrechts-Experte besorgt über Antisemitismus

Kjaerum leitet ab April das global tätige Raoul-Wallenberg-Institut für Menschenrechte in Schweden
Grundrechte-Agentur-Direktor Morten Kjaerum zu Terror. Seit Paris und Kopenhagen gibt es Antisemitismus-Anstieg.

Nach den Terrorattacken in Paris und zuletzt in Kopenhagen gibt es einen Anstieg von Antisemitismus sowie Islamophobie in der EU, sagt Morten Kjaerum, Direktor der in Wien ansässigen EU-Agentur für Grundrechte. Israel ruft europäische Juden auf, nach Israel auszuwandern, viele europäische Politiker hingegen versichern jüdischen Gemeinden Unterstützung. Sie appellieren an Juden, in Europa zu bleiben.

KURIER: Kommissionsvizepräsident Frans Timmermans warnt vor steigendem Antisemitismus: "Wenn Juden glauben, dass ihre Zukunft nicht in Europa liegt, hat Europa keine Zukunft". Was ist Ihr Befund?

Morten Kjaerum:Wir sind tief besorgt über steigenden Antisemitismus, den es überall in Europa gibt. Nach Paris haben wir sofort unser Informationsnetzwerk aufgefordert, alle Reaktionen jüdischer Gemeinden zu melden. Aktuell steigt die Angst vor Antisemitismus in Frankreich und Großbritannien, viele Juden überlegen, auszuwandern.

Was führt zur Zunahme von Antisemitismus und Islamophobie?

Die Wirtschaftskrise und die steigende Arbeitslosigkeit führen zu höherer Bereitschaft, Sündenböcke zu suchen. Bei Antisemitismus spielt auch die Lage im Nahen Osten eine Rolle. In Teilen Osteuropas gibt es einen traditionellen Antisemitismus, Juden werden für die Wirtschaftskrise verantwortlich gemacht.

Machen die Mitgliedsländer genug gegen Antisemitismus? In unserem Bericht 2013 stellen wir fest, dass die Staaten nicht immer vorbereitet und vorsichtig sind. Einige haben keine gute Arbeit geleistet. Auch die Polizei ist nicht gut ausgebildet, die Beschwerden von Minderheiten ernst zu nehmen. 80 Prozent jener, die von antisemitischen bzw. rassistischen Vorfällen betroffen waren, haben diese nicht der Polizei gemeldet, weil sie ihr nicht trauen. Sehr oft gibt es in der Polizei starke Vorurteile gegenüber Minderheiten oder Menschen anderer Hautfarbe. Auch in Österreich.

Bedroht der radikale Islam unseren westlichen Lebensstil?

Die Terrorattacken sind ein Angriff auf Menschenrechte und Demokratie. Ich hoffe, unsere Gesellschaften sind robust genug, damit umzugehen.

Was steht der Agentur bevor? Wir müssen Antisemitismus, Rassismus und Islamophobie noch tiefer beobachten und Trends feststellen. Moderate Muslime brauchen Unterstützung. Wir müssen auch unsere Sprache ändern.

Was meinen Sie damit? Wir müssen radikale Gruppen klar benennen, nicht den Islam als terroraffine Religion abstempeln. Christen würden auch nicht akzeptieren, wenn eine radikale christliche Sekte zur Identifikationsfläche für die gesamte Christenheit gemacht würde.

Wie bewerten Sie die Integrationsdebatte in Österreich?Österreich ist auf einem gutem Weg. Es braucht mehr Integration nicht nur bei Bildung, sondern in allen Lebensbereichen: In den Medien sollten mehr Menschen mit ethnischem Hintergrund arbeiten, zu Wort kommen und auch als Experten einbezogen werden. Sowohl Migranten als auch die Aufnahmegesellschaft sind aufgefordert, sich offen der Wertedebatte zu stellen.

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