GroKo: Weiße Rauchzeichen im roten Haus

Seehofer, Merkel und Schulz
Union und SPD wollen eine Koalition – jetzt muss es Martin Schulz noch der Basis verklickern.

Ein wenig spannend mussten es die Verhandler dann doch machen: Nach den Sondierungen im Schnelldurchlauf, die ohne böse Tweets und großes Trara auskamen, ließen sich SPD und Union Zeit. Sehr lange. Klar, es wurde über harte Brocken wie Steuern, Flüchtlingsnachzug und Rente debattiert und an manchen Stellen nachgebessert, damit sich vor allem die Sozialdemokraten in dem papiergewordenen Kompromiss wiederfinden.

Dann nach mehr als 25 Stunden war es soweit: Merkel, Seehofer und Schulz traten in der SPD-Zentrale vor die ausharrenden Reporter und verkündeten den "Durchbruch". Auf 28 Seiten Sondierungspapier haben sie eine Einigung gefunden, um den Gremien weitere Koalitionsverhandlungen zu empfehlen.

Delegierte entscheiden

Die Sondierungen hatten es in sich, "hart, spannend und in jeder Hinsicht turbulent", erklärte Gastgeber Martin Schulz. Nachsatz: "Ich will das nicht verhehlen, wir haben miteinander gerungen."

Schulz’ Erlebnisbericht aus den Sondierungen klang fast wie eine Beteuerung an seine Basis, dass er wirklich hart verhandelt habe. Denn sie ist auf dem Weg Richtung Große Koalition noch mitentscheidend. Trotz der weißen Rauchzeichen aus dem roten Haus: Die SPD-Delegierten haben ein gewichtiges Wort mitzusprechen – das war der Deal, den sie von Schulz forderten. Und der Grund, warum der Parteichef nach seinem Wendemanöver zurück zur Koalition gebetsmühlenartig von "ergebnisoffenen" Gesprächen sprach.

Nun liegt es an ihm, seiner Basis behutsam zu verklickern, warum diesmal alles anders und neu sein wird und sie für Koalitionsverhandlungen stimmen sollen.

Merkels Bettvorleger?

Kein beneidenswerter Gang steht ihm am 21. Jänner in Bonn bevor – die Genossen sind skeptisch, äußerten ihren Unmut auch beim Parteitag im Dezember ("Wir sind nicht Merkels Bettvorleger").

Tief sitzen die Erinnerungen an die letzte GroKo und die Merkel-Methode: Rote Positionen aufsaugen und als ihre verkaufen, etwa bei der Mietpreisbremse oder Ehe für alle. Die SPD stand am Ende als inhaltlich entkernter Wahl-Verlierer da.

Womit Schulz nun überzeugen kann: Im Sondierungspapier stehen durchaus inhaltliche Kernanliegen der Sozialdemokraten, zum Beispiel keine Gebühren für Kita; Nachmittagsbetreuung für Volksschulkinder; die paritätische Krankenversicherung wird eingeführt (Arbeitnehmer und Arbeitgeber zahlen gleiche Beträge in die Krankenkasse ein; und was Fraktionschefin Andrea Nahles stolz betonen wird: die Grundrente soll kommen, die Kanzlerin Merkel der ehemaligen Arbeitsministerin zuletzt verwehrte.

JUSO-Chef kritisch

Was der Parteivorsitzende den Genossen nicht liefern kann: eine einheitliche Bürgerversicherung; und die Belastung hoher Einkommen, kritisiert Juso-Chef Kevin Kühnert, den man in den Morgenstunden in die SPD-Zentrale lud, um ihn einzuhegen.

Die Absage an eine Erhöhung des Spitzensteuersatzes und die Obergrenze für Flüchtlinge (siehe Zusatzbericht unten) sind für den Vorsitzenden der Jungsozialisten nicht akzeptabel. "Das sind genau die billigen Kompromisse, die wir aus den letzten vier Jahren kennen."

Ähnlich sehen es jene Genossen, die die Delegierten nun mit Argumenten und Kampagnen von einem Nein überzeugen wollen.

Während Martin Schulz am Vormittag neben dem fröhlichen Seehofer ("Wir haben in den letzten Tagen gezeigt, dass Politik Sondierungen kann") und der sanft lächelnden Kanzlerin blass wirkte, muss er bald in Fahrt kommen – die letzte Überzeugung seiner Partei steht ihm noch bevor.

Die Vereinbarungen sind teilweise so konkret, dass es bei allfälligen Koalitionsverhandlungen dann schnell gehen könnte.

Die Spitzen von CDU/CSU und SPD wollen dafür sorgen, dass die Zuwanderung von Flüchtlingen nach Deutschland die Zahl von 180.000 bis 220.000 Menschen pro Jahr nicht überschreitet. Und sie wollen auch den Familiennachzug für Flüchtlinge mit subsidiärem Schutz mit Einschränkungen wieder zulassen: Pro Monat soll eintausend Menschen der Nachzug nach Deutschland gewährt werden.

Union und SPD einigten sich auch darauf, keine Steuern zu erhöhen (also auch nicht, wie von der SPD gefordert, den Spitzensteuersatz). Der Solidaritätszuschlag solle schrittweise abgeschafft werden, in dieser Legislaturperiode sollen rund 90 Prozent der Soli-Zahler vollständig davon entlastet werden.

Bis zum Ende des Jahres soll ein Zeitplan für den Kohleausstieg festgelegt werden. Eine entsprechende Kommission solle dies vorbereiten und damit sicherstellen, dass der Energiesektor seine Klimaziele für 2030 erreicht. Die Lücke zum Klimaziel für 2020 solle soweit wie möglich geschlossen werden. Damit räumen die Verhandler indirekt ein, dass eine Reduzierung der Klimagase um 40 Prozent bis dahin nicht mehr zu erreichen ist.

Erneuerbare Energien sollen stärker ausgebaut werden. Bis 2030 sollen sie im Stromsektor einen Anteil von rund 65 Prozent erreichen. Bisher waren für 2035 nur 55 bis 60 Prozent vorgesehen.

Außerdem einigten sich Union und SPD auf ein Verbot von Genmais oder anderer gentechnisch veränderter Pflanzen. Es solle bundesweit einheitlich geregelt werden, heißt es im Sondierungspapier.

Weitere Punkte des Papiers: Verbesserungen im Pflegesektor – die Arbeitsbedingungen und die Bezahlung in der Alten- und Krankenpflege sollten „sofort und spürbar“ verbessert werden.

Rüstungsexporte an die Kriegsteilnehmer im Jemen sollen gestoppt werden.

Die Ausgaben für Forschung und Entwicklung sollen erhöht werden.

Zudem wollen Union und SPD in vier Jahren 1,5 Millionen neue Wohnungen bauen. Bisher wurden jährlich 280.000 Wohnungen in Deutschland gebaut.

- Andreas Schwarz

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