Merkel: Unerschütterlich, alternativlos?

Sie verlor die Wahl, Jamaika und ringt um eine neue Regierung – was Merkel derzeit rettet: sie selbst.

Eine Welt ohne Angela Merkel? Kaum vorstellbar, ein Kollaps, schrieb die Bloomberg Businessweek nach den gescheiterten Verhandlungen um eine Jamaika-Koalition (mit FDP und Grünen). Die Bundesbürger sehen es heute, fast zwei Monate später, durchaus realistisch. 56 Prozent gehen davon aus, dass die 63-Jährige ihr Amt noch vor Ende der Legislaturperiode 2021 niederlegt, so eine aktuelle Infratest-Umfrage im Auftrag des Handelsblatt.

Wesentlich entscheidender über Merkels mögliche vierte Kanzlerschaft sind die Gespräche im Willy-Brandt-Haus, wo derzeit noch sondiert wird. Ob es zu einer Einigung und Neuauflage der Großen Koalition kommen kann, darüber beraten morgen auch die Parteigremien. Die SPD muss sich zudem noch den Segen der Delegierten beim Sonderparteitag am 21. Jänner holen.

Den Ernst der Lage merkt man Angela Merkel jedenfalls nicht an. Wie immer. Schon das Wahldebakel im Herbst lächelte sie weg, wissentlich, dass an ihr kein Weg vorbei führen wird. Das Scheitern von Jamaika kommentierte sie als Tag des tiefen Bedenkens, an ihrer eigenen Zukunft zweifelte sie scheinbar nie: Keine 24 Stunden, nachdem FDP-Chef Christian Lindner Schluss machte, kündigte sie an, bei allfälligen Neuwahlen als Spitzenkandidatin anzutreten – wer auch sonst?

Es gibt derzeit keine Nachfolger. Potenzielle Anwärter waren bisher zu vorlaut und stehen wie Jens Spahn in der Ecke; oder haben noch zu wenig öffentliche Präsenz, wie die saarländische Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer, die in der CDU gut angeschrieben ist.

Angela Merkels Anspruch liegt weniger an ihrem Machtstreben, als daran, dass sie überzeugt ist, die Stabilität des Landes erfordere ihre Anwesenheit, meinen Beobachter. Für Merkel hängt das Schicksal Deutschlands mit ihrer Person zusammen – so wirkte es am letzten Tag der Sondierungen. "Wir wissen, dass wir Lösungen finden müssen", kündigte sie bei ihrer Ankunft in der SPD-Parteizentrale an. Was hängen blieb, ist der Eindruck, dass sie mit "wir" vor allem sich selbst meinte.

Keine Sicherheit und Stabilität

Bei aller Unerschütterlichkeit wird Angela Merkel nicht entgangen sein, dass sie Sicherheit und Stabilität, die sie für sich reklamiert, vielen Menschen nicht mehr bieten kann. Zwar wächst die Wirtschaft, gleichzeitig steigen die Wohnungspreise und die Unsicherheit jener, die wissen wollen, wohin Deutschland steuert.

Fragen nach einem klaren Kurs stellen sich zunehmend in ihren Reihen. Dort herrscht zwar noch keine Anti-Merkel-Stimmung, aber selbst Wohlmeinende murren über ihre Worte nach der Wahl ("Ich kann nicht erkennen, was wir jetzt anders machen müssen"). Etwas lautere Rücktrittsrufe hört man nur von einer Gruppe Jung-CDUler sowie älterer Rebellen, denen die Partei zu sehr nach links abdriftet. Die deutsche Presse, die die Kanzlerin lange mit Samthandschuhen anfasste, schreibt sich dennoch für die Merkel-Dämmerung warm.

Altes Mantra

Aber Merkel bleibt Merkel. Beim Ausloten einer neuen Regierung versucht sie es mit einem alten Mantra: "Ich glaube, es kann gelingen", sagte sie am Anfang der Woche. Dasselbe Mantra brachte ihr bei den Jamaika-Verhandlungen wenig Glück. Aber diesmal sollte ohnehin alles anders werden. Bis auf ein paar Indiskretionen, etwa als CDU-Mann Armin Laschet eine Einigung in der Klimapolitik ausplauderte, lief es auch nach Plan: keine Tweets und Talkshows. Ein straff organisiertes Verhandlerteam sollte rasch zu einem Ergebnis kommen.

Am Ende müssen Sozialdemokraten mit Themen nach Hause gehen, die sich ihren Genossen mit dem Etikett "Gerechtigkeit" verkaufen lassen, wenn sie nächste Woche über Koalitionsverhandlungen abstimmen. Und die Union sollte das Gefühl haben, sich nichts von ihren Werten abräumen zu lassen. Ein paar neue Gesichter in der zweiten und dritten Reihe, wie sie Daniel Günther, Ministerpräsident in Schleswig Holstein forderte, kämen ihnen auch gelegen.

Alles andere wäre eine neue Regierung, der nach wie vor ein "Weiter-So" anhaftet. Ein solches Bündnis würde nicht lange währen, ebenso wenig wie jene, die an der Spitze stehen.

Zum vierten Mal in Folge verzeichnete Deutschland einen Überschuss im Budget – und er war noch nie so hoch wie 2017. Bund, Länder, Gemeinden und Sozialversicherungen nahmen um insgesamt 38,4 Milliarden Euro mehr ein als sie ausgaben. Das sind 1,2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP), nach 0,8 Prozent 2016. Zum Vergleich: 2016 betrug in Österreich das Budgetdefizit 1,6 Prozent. Auch heuer dürfte in Deutschland das Ergebnis ähnlich gut ausfallen.

Der Grund ist die boomende Wirtschaft, die im Vorjahr das achte Jahr in Folge wuchs. Die Steigerung des BIPs um 2,2 Prozent ist die stärkste seit 2011. 2018 dürfte es ähnlich weitergehen, was für Rekordbeschäftigung und steigende Reallöhne sorgen dürfte.

Die Motoren dieser Entwicklung sind die Kauflaune der Bevölkerung, die global anziehende Konjunktur, die die Exporte weiter auf hohem Niveau halten wird, die niedrigen Zinsen und weitere Unternehmensinvestitionen – wegen voller Auftragsbücher.

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