Griechische Schicksalswahl hat begonnen

Syriza-Chef Alexis Tsipras bei der Stimmabgabe.
Wird Sparkurs fortgesetzt oder nicht? Linksbündnis Syriza hofft auf absolute Mehrheit - erste Prognosen ab 18 Uhr.

Bei der mit Spannung erwarteten Parlamentswahl in Griechenland stimmen die Wähler am heutigen Sonntag in einer Richtungsentscheidung über den künftigen Kurs des hochverschuldeten EU-Landes ab. Knapp zehn Millionen Menschen waren zu den Urnen gerufen. Die Wahl lief nach Angaben des Innenministeriums ohne größere Probleme an.

Syriza-Chef Alexis Tsipras zeigte sich nun zuversichtlich. "Heute entscheidet das griechische Volk, ob die harte Sparpolitik fortgesetzt wird oder ob das Land einen Neuanfang startet, damit die Menschen in Würde leben können", sagte er nach der Stimmabgabe in Athen. Wegen des riesigen Presseandrangs hatte Tsipras Schwierigkeiten, ins Wahllokal im Athener Stadtteil Kypseli zu gelangen.

Der konservative Regierungschef Antonis Samaras ging bereits früh am Morgen in der kleinen Touristen-Hafenstadt Pylos auf der Halbinsel Peloponnes wählen. Vom Ergebnis der Wahl hänge es ab, ob das Land "seinen europäischen Kurs fortsetzt", sagte er. Viele unentschlossene Wähler würden seiner Nea Dimokratia ihre Stimme geben, zeigte sich Samaras zuversichtlich.

Griechischer Präsident warnt

Der griechische Staatspräsident Karolos Papoulias warnte, Griechenland stünden harte Jahre bevor. Er rief das griechische Volk auf, kühlen Kopf zu bewahren. Papoulias' Amtszeit endet Anfang März. Das neue Parlament wird auch die Aufgabe haben, einen neuen Staatspräsidenten zu wählen. Ende 2014 war die Wahl eines neuen Staatsoberhaupts gescheitert. Aus diesem Grund wurde die vorgezogene Parlamentswahl notwendig.

In Griechenland hält das Wahlrecht einen besonderen Bonus für den Sieger bereit. 250 der 300 Sitze werden in einfacher Verhältniswahl vergeben. Die stärkste Partei erhält einen Zuschlag von 50 Sitzen. Damit sollen die Chancen für die Bildung einer starken Regierung erhöht werden. Für den Einzug ins Parlament gilt eine Drei-Prozent-Hürde.

Erste Prognosen ab 18 Uhr

Im Land herrscht Wahlpflicht. Es wird jedoch nicht kontrolliert, ob die Menschen ihre Stimme abgeben. Die Wahllokale schließen um 18.00 Uhr (MEZ). Unmittelbar danach werden erste Prognosen erwartet. Mit Hochrechungen wird etwa zweieinhalb Stunden später gerechnet.

Das laut Umfragen favorisierte Linksbündnis Syriza will den von den internationalen Gläubigern verordneten Sparkurs aufkündigen, was zu einem Ende der Hilfszahlungen und damit theoretisch zum Staatsbankrott führen könnte. Syriza lag in den jüngsten Umfragen mehrere Prozentpunkte vor der konservativen Nea Dimokratia des derzeitigen Ministerpräsidenten Antonis Samaras. Tsipras will den von den internationalen Geldgebern verordneten Sparkurs beenden und einen weitgehenden Schuldenerlass erreichen. Samaras hält dies hingegen für unverantwortlich und warnt vor unvorhersehbaren Folgen für das Land. Sollte Tsipras seine Ankündigungen wahrmachen, drohe Griechenland der Ausstieg aus dem Euro, warnte der Regierungschef.

Allerdings betonte Tsipras im Wahlkampf immer wieder, seine Partei wolle Griechenland im Euro halten. "Unsere gemeinsame Zukunft in Europa ist nicht die Zukunft der Sparpolitik", sagte Tsipras am Sonntag, nachdem er in einem Wahllokal in Athen seine Stimme abgegeben hatte. "Es ist die Zukunft von Demokratie, Solidarität und Zusammenarbeit." Eine von Syriza geführte Regierung werde den Griechen "sozialen Zusammenhalt und Würde" zurückgeben.

Der 40-Jährige will vor allem einen weitgehenden Schuldenerlass der Gläubiger erreichen. Europartner sowie der Internationale Währungsfonds, die Athen in den vergangenen Jahren mit Milliardensummen vor dem Staatsbankrott bewahrten, sollen den Griechen einen Großteil der Schulden erlassen. Im vergangenen Jahr summierte sich der griechische Schuldenberg auf 177,7 Prozent der Wirtschaftsleistung.

Syriza hofft auf absolute Mehrheit

Syriza hofft bei der vorgezogenen Wahl auf eine absolute Mehrheit im Parlament. In jüngsten Umfragen kam die Partei aber auf höchstens 35,4 Prozent, damit würde sie die absolute Mehrheit knapp verfehlen. Syriza bräuchte also zur Regierungsbildung einen Koalitionspartner.

Samaras' konservative Nea Dimokratia kann den Umfragen zufolge mit maximal 30,8 Prozent der Stimmen rechnen. Am Wahltag gab er sich trotzdem zuversichtlich, "weil niemand den europäischen Kurs unseres Landes in Gefahr bringen wird". Die Wähler könnten für den weiteren Weg nach vorn oder für "das Unbekannte" stimmen, sagte Samaras nach der Stimmabgabe in Pylos auf der Halbinsel Peloponnes.

Drittstärkste Kraft könnte die Partei To Potami des früheren Fernsehmoderators Stavros Theodorakis werden. Sie ist sehr proeuropäisch und kommt aus dem Mitte-links-Spektrum. To Potami könnte theoretisch sowohl Syriza als auch der Nea Dimokratia die nötige Mehrheit im Parlament verschaffen.

Die sozialdemokratische Pasok, die drei Jahrzehnte die griechische Politik dominierte, wird den Umfragen zufolge bei nur rund fünf Prozent landen. Die rechtsextreme Goldene Morgenröte, deren Führung im Gefängnis sitzt, kann mit mindestens fünf Prozent rechnen. Mit ihr wollen aber weder Tsipras noch Samaras zusammengehen.

Die Sensation scheint zum Greifen nahe: Griechenland erwartet am Sonntag einen Wahlsieg der linken Syriza – und damit ein politisches Erdbeben, das Schockwellen quer durch Europa schicken könnte. Und dabei geht es nicht nur um viele Milliarden Euro, die wohl nie wieder aus dem ägäischen Armenhaus zurückkommen werden, sondern um eine ernsthafte "Krise der Demokratie".

Das ist zumindest die Analyse, die die Strategieabteilung des renommierten britischen Magazins The Economist vor wenigen Tagen veröffentlicht hat. Und am Anfang dieser Krise steht ein Phänomen, das sich langsam in Europas Politik festgefressen hat – und jetzt endgültig deren Räder blockieren lässt: "Eine Kluft zwischen Eliten und den Wählern."

Griechische Schicksalswahl hat begonnen
epa04490523 Leader of Spanish Podemos party (C), Pablo Iglesias, reacts after being announced the party's first Secretary General, during the closing ceremony of the party's costituent assembly in Madrid, Spain, 15 November 2014. Pablo Iglesias was announced the first Secretary General of Spain's left leaning Podemos during the assembly after he and his team won by a large majority of votes in the online election carried out between 10 to 15 November. EPA/CHEMA MOYA
Diese Eliten sind das erklärte Feindbild einer Bewegung, die ähnlich unaufhaltsam wie Syriza die Politik in Spanien aufgerollt hat. Podemos nennt sich die Partei, die keine Partei sein will und deren Chef Pablo Iglesias mit seinen Auftritten für Massenaufläufe sorgt wie anderswo nur Popstars. "Die Kaste" nennt der charismatische Populist diese Elite, die sein Land in politische und wirtschaftliche Geiselhaft genommen habe: Politiker der Großparteien, Unternehmer, Immobilienspekulanten. "Die haben den sozialen Vertrag unserer Gesellschaft gebrochen", erklärt einer seiner engsten Vertrauten,Inigo Errejon, dem KURIER: "Diese Kaste hat sich über alle Regeln hinweggesetzt, um ihren Profit zu maximieren."

Jugendbewegung

Anders als die griechische Syriza ist Podemos auf der Straße entstanden. 2012 demonstrierten Hunderttausende junge Spanier, forderten Jobs, erschwingliche Wohnungen – eine Zukunft für sich.

Als der Protest nach Wochen erlahmte, beschloss man, die politische Arbeit in kleinen Gruppen und mit konkreten Projekten fortzusetzen. So schaffte man es, Tausende überschuldete spanische Familien vor der Zwangsräumung zu bewahren: Wohnungen wurden besetzt, Klagen gegen die Immobilienspekulanten eingebracht, Kreditstundungen mit Banken verhandelt.

Solche Erfolge und die tiefsitzende politische Frustration in Spaniens junger Generation hat Podemos unglaublichen Auftrieb verschafft. Heute, neun Monate vor den Parlamentswahlen, liegt die Bewegung in allen Umfragen in Führung.

So wie auch die inzwischen eng verbündete Syriza denkt man längst auf europäischer Ebene – und da lautet die wichtigste Forderung: Die Schulden, die beide Länder zu erdrücken drohen, müssen weg. Man will neue, weniger brutale Zahlungsmodalitäten, ein Ende der von der EU-Troika auferlegten Sparpolitik und zuletzt einen Schuldenschnitt.

Neben diesen gemeinsamen Zielen hat die Linke im Süden Europas auch ein neues Feindbild: Deutschland. Der übermächtige Exportriese würde diktatorisch über den Rest Europas herrschen, eine "koloniale" Sparpolitik diktieren, die die Länder im Süden in den Ruin treibe.

Für den österreichischen Politologen Anton Pelinka ist das zu simpler Populismus:"Die Schulden sind ja keine bösartige Erfindung der Frau Merkel, die man einfach vom Tisch wischt."

Rückenwind für Rechte

Griechische Schicksalswahl hat begonnen
APA2249341-2 - 03052010 - WIEN - ÖSTERREICH: ZU APA-TEXT II - Verleihung des Concordia-Preises 2009 an den Journalisten Anton Pelinka am Montag, 02. Mai 2010, im Presseclub Concordia. APA-FOTO: GEORG HOCHMUTH
Die linke Alternative, die Syriza oder Podemos versprechen, sieht Pelinka skeptisch. Es gäbe wirtschaftliche Realitäten, über die man sich nicht hinwegsetzen könne: "Da drohen große Enttäuschungen." Eine neue Linke ließe sich nur auf europäischer Ebene denken.

Andernfalls würde eine populistische Linke im Süden Europas nur ihren rechten Gegenspielern im Norden des Kontinents Rückenwind verleihen. "Der Populismus der Syriza fördert direkt die Vorurteile der politischen Rechten in Mittel- und Nordeuropa."

Wenig überraschend, dass dort die populistische Rechte bei den diesjährigen Wahlen den Ton angibt. Die ausländerfeindliche Anti-EU-Partei UKIP könnte im Mai bei den Wahlen in Großbritannien den regierenden Konservativen schwer zusetzen und stabile Mehrheiten quasi unmöglich machen. Ganz ähnlich die Situation in Dänemark, wo die rechtspopulistische "Volkspartei" im September zumindest auf Platz zwei landen dürfte. Für die Experten des Economist Grund genug für einen pessimistischen Ausblick ins laufende Wahljahr: "Die Wut auf die etablierten Parteien wächst überall in Europa – und das Risiko von politischen Erschütterungen und Krisen ist hoch."

Porträt Alexis Tsipras:

Großbritannien wählt im Mai, europafeindliche UKIP derzeit drittstärkste Partei.

Dänemark wählt im September. Die rechtspopulistische Volkspartei liegt derzeit auf Platz zwei.

Polen wählt im Oktober. Rechtskatholische PiS liegt Kopf an Kopf mit Regierungspartei PO.

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