Griechenland: "Warum unser Staat versagt"

Griechenland: "Warum unser Staat versagt"
Der Unternehmer Philipp Loukas analysiert für den KURIER die Lage seiner Landsleute.

Welche Sorgen und Ängste haben die Griechen?

Sorgen haben sie in erster Linie mit ihrem Staat, in dem so gut wie nichts reibungslos funktioniert. Der öffentliche Sektor ist zu einem großen Teil nicht mit den Fähigsten besetzt, sondern mit den Freunden, Verwandten und Klienten der jeweiligen Regierung. Nach jedem Regierungswechsel werden auch die Schlüsselpositionen in der Verwaltung mit den Gewählten genehmen Personen ausgetauscht werden. Was das für die Stabilität, Kontinuität des Staates und seine Gesetzgebung bedeutet, kann sich wohl jeder selbst ausmalen.

Folgend ein paar Beispiele:

Wir zahlen 43% unseres Gehaltes an ein kollabierendes Sozialversicherungssystem. Brauchen wir einen Kassenarzt, bekommen wir oft einen Termin in drei Monaten. Das hat zur Folge, dass wir bei ernsten Problemen sowieso alles selber privat zahlen müssen. Der Staat versagt.

Eine Bürokratie und eine überbesetzte, unfähige öffentliche Verwaltung, die dich mit Zettelwirtschaft und dem Wirrwarr der Zuständigkeit verschiedener Behörden in den Wahnsinn treibt und dich erpressbar macht. Stichwort Korruption. Der Staat versagt.

Das Gerichtswesen ist vollkommen überlastet und unterbesetzt. Zu unserem Recht kommen wir im besten Fall in einigen Jahren. Der Staat versagt.

Das öffentliche Bildungssystem ist dermaßen vernachlässigt, dass die Kinder noch in eine ,Frontistirio‘ genannte, private! Nachmittagsschule gehen müssen, um sich das Wissen aneignen zu können, um bei den Universitätsaufnahmeprüfungen nicht durchzufallen. Der Staat versagt auch hier.

Sind die Griechen zuversichtlich?

Sie waren es, bis die Banken geschlossen haben. Dass es so weit kommt, hat niemand ernsthaft erwartet. Man hoffte auf eine Einigung in letzter Sekunde. Das eindeutige Mandat der Regierung ist eine Einigung mit den Geldgebern, in der EU und innerhalb des Euroraums. Gegen die Wand gefahren ist sie mit ihren populistischen, unrealistischen Versprechen und der Fehleinschätzung ihrer Position der Stärke und Erpressungsmöglichkeit dieser Geldgeber. Das Referendum ist auf keinen Fall als Ablehnung Europas zu bewerten. Vielmehr war es eine Ablehnung des von den Geldgebern vorgeschlagenen Hilfspakets. Die 60%, die für die Ablehnung dieses ,Rettungsprogramms‘ gestimmt haben, beinhalten also neben denen, denen die höhere steuerliche Belastung zuwiderlief, auch die, denen zu wenig auf Reformen Wert gelegt wurde. Nichtsdestotrotz war es ein Versuch der Regierung, der eigenen Unfähigkeit einen demokratischen Anstrich zu geben.

Wie sehen die Griechen einen Euroaustritt?

Die große Mehrheit als die größte nationale Katastrophe des modernen Griechenland. Die Konsequenzen wären fatal. In Euro aufgenommene Schulden in abgewerteten Drachmen zurückzahlen zu müssen oder in einem Land in den Supermarkt zu gehen, in dem ca. 70% aller Güter aus dem Euroraum importiert werden, um ein paar Beispiele zu nennen, würde uns den Rest geben.

Haben die Griechen das Gefühl, von der EU im Stich gelassen zu werden?

Die Griechen waren und sind begeisterte Europäer. Die ehrliche Hoffnung der Griechen auf eine Verbesserung ihres Alltages oder in ihrem Verhältnis zu ihrem Staat hat die EU aber leider nicht erfüllt.

Das ist aber nun leider auch nicht die Aufgabe der EU, sie kann nicht wirklich aktiv in die Verwaltung ihrer souveränen Mitglieder eingreifen. Und hier liegt das Problem, beginnt das Missverständnis. Die Griechen dachten und denken, dass sie mit der Zugehörigkeit zur EU endlich die Chance bekommen, in einem modernen europäischen Staat leben zu können. Stattdessen blieben sie Geiseln ihres Systems, in dessen Prioritätenliste strukturelle Reformen zwar immer angekündigt, aber nie umgesetzt werden. Enttäuschung, Resignation machen sich breit und die Regierung schiebt in ihrer Suche nach dem Sündenbock der EU den schwarzen Peter zu, um an den staatlichen Strukturen ja nichts verändern zu müssen.

Was muss die EU oder die Regierung nun tun?

In Griechenland brauchen wir europäische Hilfe zur Beseitigung unserer Missstände und natürlich eure Solidarität mit einem Volk in Geiselhaft seiner verschiedenen Machtzirkel.

Was nun die Frage angeht, ob ich diesen Sommer nach Griechenland fahren soll, kann ich sie nur lauthals mit Ja beantworten! Der Tourismus ist unsere stärkste ,Industrie‘. Die Kultur, das Meer, das Freizeitangebot, das Essen und natürlich die Menschen sind dieselben wie letztes Jahr. Bloß, macht euch auf einen intensiven Meinungsaustausch gefasst, denn Politik ist seit der Antike eines der Lieblingsthemen, auch wenn man nur darüber spricht. Und was gibt es Besseres, als eine lebhafte Diskussion über die Zukunft Europas mit unseren europäischen Mitbürgern. Denn Eure Meinung ist uns wichtig!

Kommentare