Böse Bürokraten, faule Griechen?

Böse Bürokraten, faule Griechen?
Wer hat Schuld an der gescheiterten Rettung – die Geldgeber, die Regierungen in Athen oder gar beide?

Die Hilfspakete für Griechenland haben nicht wie geplant funktioniert und ihren Zweck, das Land und seine Wirtschaft aus der Krise zu führen, nach fünf Jahren verfehlt.

So einig sich Griechen und Geldgeber beim Befund sind, so unterschiedlich fällt die Analyse der Ursachen aus.

Man habe das Land für ein Experiment in Sachen Austerität missbraucht, heißt es in Griechenland. Die bösen Brüsseler Bürokraten haben das Land kaputtgespart, ihm ein unmenschliches Kürzungsdiktat auferlegt.

In der Eurozone sehen viele das anders: In Griechenland fehle es Regierten wie Regierenden am Reformwillen, und wer nicht wolle, dem könne man auch nicht helfen.

Nüchtern betrachtet lässt sich mit der Weisheit des Rückblicks eines zweifelsfrei feststellen: Als die "Rettung" Griechenlands konzipiert wurde, haben sich beide Seiten – das wäre die unschuldige Variante – in einer Ausnahmesituation grob verschätzt, oder – schlimmer – schlicht ignoriert, was aus heutiger Sicht offensichtlich scheint.

Symbolisch dafür steht die in Griechenland verhasste, in Brüssel als verbesserungswürdiges Notkonstrukt wahrgenommene "Troika" der Geldgeber.

Gesandt wurden die Experten von EU-Kommission, Europäischer Zentralbank und Internationalem Währungsfonds als unpolitische Prüfer der Reformfortschritte: Sie sollten Häkchen setzen auf die vereinbarte Reformliste. Schrittweise Reformen, laufende Kontrolle, regelmäßige Auszahlung der Hilfsgelder: Ein unkompliziertes Konzept, solange alle mitmachen, und in dem die Kontrollore eine Nebenrolle spielen.

Zu viel Bedeutung

Stattdessen erhielt die Troika mehr Bedeutung, als gut war: Für die griechischen Regierungen war sie ein Sündenbock, dem man die schmerzhaften Kürzungen zuschreiben konnte. Den Griechen wurde eine verkehrte Welt verkauft: Nicht die Krise hatte die Troika gebracht – sondern die Troika die Krise. Die Kontrollore sah man rasch als Eindringlinge, die es zu bremsen galt.

Gleichzeitig hatten die Euro-Finanzminister den mühseligen Vollzug der Hilfsprogramme, der ihnen von den Staats- und Regierungschefs anvertraut worden war, zum großen Teil bequem ausgelagert: Positive Prüfberichte lösten Überweisungen aus, ein negatives Zeugnis der Troika bedeutete eine Verzögerung – so einfach war das. Man erkannte zwar irgendwann, dass die Medizin nicht wirkte, änderte aber weder Dosis noch Therapie.

Gekürzt statt verbessert

Dadurch führte die zum eigenen Machterhalt praktizierte Blockade auf der einen Seite und der bürokratische Umsetzungseifer auf der anderen zur Teil-Erfüllung der Programme mit verheerenden Folgen.

Umgesetzt wurde, was sich – je nach Sichtweise – mit viel Druck durchsetzen bzw. trotz vieler Tricks nicht verhindern ließ: Überwiegend Leistungskürzungen und Steuererhöhungen, die sich nun einmal rascher realisieren lassen als Strukturreformen. So wurde viel gekürzt, aber kaum verbessert; viel gespart, aber recht wenig für den neben der kurzfristigen Rettung vor der Staatspleite eigentlichen Zweck getan: Griechenland wieder auf die Beine zu bringen.

Halb umgesetzte Programme erfordern freilich Folgeprogramme und neue Hilfsgelder, die wieder den Schuldenberg erhöhen. Und je weniger durch echte Reformen gespart wird, desto mehr muss weiter gekürzt werden. Ein Teufelskreis, der vieles anrichten, aber eines nicht kann: Die Wirtschaft in Schwung und das Land aus der Gefahrenzone bringen.

Griechenland war das erste Land in der Eurozone, das in der Krise um internationale Finanzspritzen bitten musste. Und es ist das einzige Land, für das (zumindest) zwei Rettungspakete geschnürt wurden – und einen Schuldenschnitt gab’s obendrein. Ein Überblick zu den bisherigen Hilfen.

Das erste Hilfsprogramm wurde im Frühjahr 2010 beschlossen, nachdem Griechenland sich an den Finanzmärkten praktisch kein frisches Geld mehr besorgen konnte. Die Eurozone und der Internationale Währungsfonds sagten Notkredite in der Höhe von 110 Milliarden Euro zu. Im Gegenzug musste sich die griechische Regierung zu einem rigorosen Spar- und Reformprogramm verpflichten.

Für das kriselnde Land bedeutete das: Steuererhöhungen; ein Einfrieren vieler Bezüge und Renten; dazu Kürzungen im öffentlichen Dienst, für den damals etwa jeder fünfte Arbeitnehmer in Griechenland tätig war.

Zahlreiche Fehler

Rückblickend muss man sagen: Das erste Hilfsprogramm hatte zahlreiche Fehler – und teils viel zu optimistische Annahmen, vor allem was die Entwicklung der griechischen Staatsschulden und die Umsetzung der vereinbarten Reformen im Land anbelangt.

So hatte man bereits für 2012 wieder ein Wirtschaftswachstum erwartet – tatsächlich erlebte Griechenland "eine viel tiefere Rezession als erwartet", mit "außergewöhnlich hoher Arbeitslosigkeit", wie der IWF in einer Bilanz festhielt. Als "bedeutenden Misserfolg" des ersten Pakets wertet der Währungsfonds, dass das Vertrauen der Märkte in Griechenland nicht zurückgekehrt ist. Und auch jenes der Griechen nicht: Ein großer Teil der Spareinlagen wurde abgezogen.

Neue Hilfe und Schnitt

Noch vor dem planmäßigen Ende des ersten Hilfsprogramms (2013) wurde 2012 ein zweites beschlossen: Das Hilfsvolumen stieg – inklusive vom ersten auf das zweite Paket übertragener Kredite – auf 240 Milliarden Euro. Dazu gab es bald einen Schuldenschnitt bei den privaten Gläubigern, und auch die Eurozone stimmte Erleichterungen bei der Rückzahlung der Kredite zu: Die Laufzeiten wurden gestreckt, die Zinszahlungen ausgesetzt, die Zinsen selbst gesenkt.

Wieder verpflichtete sich Athen zu tief gehenden Reformen – und wieder scheiterte es bei der Umsetzung. Verzögerungen im Programm – u. a. durch die politische Instabilität im Land – führten dazu, dass bis zum planmäßigen Ende im Herbst 2014 wieder nicht alle Gelder ausbezahlt wurden.

Ein Beweis, wie schlecht es vor allem gegen Ende hin lief: Das Programm wurde zwar zwei Mal verlängert, als es Ende Juni 2015 auslief, hatte Athen aber seit gut einem Jahr keine Überweisungen mehr erhalten.

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