Der braune Mob der Nachwendezeit ist wieder da

Etwa 1000 Menschen demonstrierten in Heidenau - darunter viele Rechtsextreme
In Deutschland hetzen Rechtsextremisten wieder gegen Asylwerber – mit Worten und Taten. Experten warnen vor einem Flächenbrand wie in den 1990ern, denn die rechte Szene ist bestens organisiert.

Ein kleiner Ort, die Ankündigung, dass Flüchtlinge kommen sollen, einige Engagierte – und zu viele, die dagegen sind. Das Szenario ist immer das gleiche.

Auch im sächsischen Heidenau war es so. 600 Menschen hätten dort in einem leer stehenden Baumarkt Unterschlupf finden sollen, einziehen konnten nur 250. Eine pöbelnde Masse von rund 1000 Menschen versperrte am Wochenende den Flüchtlings-Bussen die Zufahrt, es wurden Feuerwerkskörper geworfen, man prügelte sich mit der Polizei. Die Bilanz nach drei Tagen Randale: Mehr als 30 Verletzte, ein Heim voller eingeschüchterter Flüchtlinge und die ungute Gewissheit: Der braune Mob, der in den 1990ern schon einmal Flüchtlingsheime in Deutschland angezündet hat, ist wieder da.

Kalkulierte Eskalation

Der braune Mob der Nachwendezeit ist wieder da
A policeman walks past injured right wing protesters who are against bringing asylum seekers to an accomodation facility in Heidenau, Germany August 22, 2015. The right-wing political party NPD organized a protest against bringing the asylum seekers to the facility on Friday. REUTERS/Axel Schmidt
Heidenau ist neben Orten wie Suhl,Tröglitz oder Freital der jüngste dunkle Fleck auf der rassistischen Landkarte Deutschlands – eine Karte, die in den letzten Wochen immer dunkler wird. Denn wie viele andere Übergriffe war die Eskalation in dem 17.000 Einwohner-Ort abzusehen: "Heidenau – hört zu" nennt sich die Initiative, die mit NPD-Logo im Netz seit geraumer Zeit Stimmung gegen die Unterkunft macht; sie organisierte mit derNPD die Protestveranstaltung. Wenig überraschend fanden sich unter den Demonstranten neben Rentnern, Eltern und Kindern zuhauf Radikale – samt "Deutschland den Deutschen!"-Parolen und "Sieg-Heil"-Rufen.

"Sie wollen nicht protestieren, sie wollen ein Exempel statuieren", sagt Andreas Zick, Extremismusforscher an der Universität Bielefeld, gegenüber dem KURIER. In ganz Deutschland seien derzeit gewaltbereite Gruppen unterwegs. Sie nutzen die Verunsicherung der Zivilgesellschaft aus. "Dort, wo man auf Unterstützung der Bevölkerung hofft, schlägt man zu." Eine kalkulierte Eskalation also. "Sie sind mit hoher Geschwindigkeit dort, wo neue Flüchtlinge ankommen."

Heidenau passt perfekt ins Bild der rechten Hetzer. In DDR-Zeiten blühender Industriestandort, ging die Zahl der Arbeitslosen nach der Wende in die Höhe – dazu kamen Naturkatastrophen wie das Elbhochwasser 2013, das der Bevölkerung das Leben erschwerte. Die AfD wurde bei der Landtagswahl drittstärkste Kraft, die NPD kam auf mehr als acht Prozent. Auch der Bürgermeister bekommt das zu spüren: Freitag zog der Mob vor das Haus von Jürgen Opitz, skandierte dort laut "Volksverräter". Ein "eigenartiges Gefühl" habe er dabei gehabt, sagte der CDU- Politiker im Deutschlandfunk. Aber Angst – nein, die habe er nicht.

Zögerliche Politik

Opitz ist einer der wenigen Politiker, die sich lautstark gegen den Mob stellen. Seine Kollegen in Land und Bund hingegen gaben sich lange zögerlich. Am Montag reiste SPD-Chef Sigmar Gabriel nach Heidenau, er sprach dort vom "undeutschen, rechten Pack", dem man keinen "Millimeter Raum geben dürfe". Kanzlerin Merkel ließ die Ausschreitungen durch ihren Sprecher verurteilen. Sachsens CDU-Ministerpräsident Stanislaw Tillich äußerte sich erst nach der Eskalation am Sonntag. "Das ist nicht unser Sachsen", sagte er – wohl auch, um die Debatte um seinen eigenen Standpunkt zu beenden. Seit geraumer Zeit wird ihm vorgeworfen, er habe mit Dialogangeboten an Pegida den Rechtsradikalen ein Mitspracherecht eingeräumt. Sein Innenminister Ulbig meinte gar, Alkohol habe bei den Ausschreitungen eine Rolle gespielt – "die Menschen haben sich hochgeschaukelt".

Ein Argument, das an die politische Reaktion auf die ausländerfeindlichen Krawalle der 1990er erinnert. Auch damals wüteten Tausende aufgebrachte Rechtsextreme vor Flüchtlingsheimen, die Politik tat die pogromartigen Krawalle aber anfangs als "unglückliches Zusammentreffen von Sonne und Alkohol" ab. Auch jetzt habe die Politik den Ernst der Lage nicht ganz erkannt, meint Forscher Zick .

"Viele Gruppen kommen aus dem Umfeld von damals", sagt er. Jetzt sei aber zudem die zweite Generation mit dabei: "Kinder, die nur in der rechten Szene groß geworden sind." Für sie haben die Ausschreitungen von damals Vorbildcharakter. Neu sei, dass sich die Gewaltbereiten auch gegen private Helfer stellen würden. Der Strom zu Til Schweigers Haus, der Flüchtlinge unterstützt, wurde etwa am Montag gekappt.

Nahe Stuttgart wurde am Montag ein geplantes Flüchtlingsquartier in Brand gesetzt. Zick warnt angesichts dieser Bilder vor einem möglichen Flächenbrand wie damals. "An manchen Orten machen die Extremisten mehr Politik als die Kommunalpolitik."

In Heidenau richtet sich die Polizei jedenfalls auf weitere Krawallnächte ein.

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