"Einmarsch wird durch Sanktionen wahrscheinli­cher"

"Einmarsch wird durch Sanktionen wahrscheinli­cher"
Politikwissenschaftler und Russland-Experte Gerhard Mangott über einen möglichen Handelskrieg und Putins Optionen.

KURIER: Europäische Union, NATO und USA befürchten einen Einmarsch der Russen in der Ostukraine. Wie wahrscheinlich ist das?

Gerhard Mangott: Drei Dinge deuten darauf hin: Zum einen baut Russland derzeit eine Argumentationskette dafür auf – unter dem Mantel eines „humanitären Einsatzes“ könnten russische Truppen in die Ostukraine gesandt werden. Auch im Kosovo hatte der Westen kein internationales Mandat, sondern berief sich auf einen humanitäre Notwendigkeit zum militärischen Eingriff. Russland könnte sich nun das gleiche Recht herausnehmen, wie damals der Westen. Zum zweiten gibt es mit 20.000 Soldaten an der ukrainischen Grenze eine deutliche Truppenmobilisierung; und zum dritten wird ein Einmarsch durch die EU-Sanktionen wahrscheinlicher: Für Putin ist es schwer, die Rebellen im Osten aufzugeben, die öffentliche Meinung hat sich unter seiner Führung zu stark in diese Richtung bewegt. Je mehr der Westen auf Sanktionen setzt, umso weniger hat Putin zu verlieren.

Wie bewerten Sie die jetzt vom Kreml erlassenen Sanktionen gegen den Westen?

Erstaunlich an den Importverboten ist, dass Russland bereit ist, auf Sanktionen zu setzen, die der eigenen Seite stark schaden. Man verbietet die Einfuhr von Lebensmitteln, die in den Städten und vor allem in Moskau sehr beliebt sind und riskiert damit den Unmut der eigenen Bevölkerung wie auch Versorgungsengpässe. Das nimmt man alles in Kauf, nur um Europa, Nordamerika und Norwegen zu schaden.

Der Kreml will diese Handelsausfälle ja mit Geschäften mit dem Iran kompensieren – das Ausmaß an Wirtschaftsleistung ist aber nicht vergleichbar, oder?

Mit dem Iran alleine lässt sich das nicht machen, vor allem nicht mit einem durch die Atomgespräche geschwächten Iran. Es kann aber durchaus sein, dass sich Russland einfach nicht an die gegen den Iran beschlossenen Sanktionen hält und es zu Ölimport und Warenaustausch mit dem Iran kommt. Bei den Handelsausfällen in Russland werden aber neben dem Iran die Türkei und Südamerika eine große Rolle spielen, aber auch damit lässt sich nicht alles abfedern. Je mehr die EU mit Sanktionen auf Russlands Verhalten antwortet – und die Wahrscheinlichkeit steigt, dass sie ihre Maßnahmen radikalisiert -, desto eher wird es zu einem Handelskrieg kommen.

Wie kann man dieser Spirale entgehen?

Der einzige Weg ist eine politische Lösung, die die russischen Interessen berücksichtigt. Das kann man jetzt nicht mögen oder nicht wollen, aber Russland will und muss seine Interessen durchgesetzt bekommen.

Welche Interessen sind das genau?

Das hat der Kreml schon klargemacht: die völkerrechtliche Zusicherung der Bündnisfreiheit der Ukraine; die Zusage, dass eine Assoziierung an die EU den wirtschaftlichen Interessen Russlands nicht schadet und eine föderale Struktur der Ukraine, die den Regionen weitreichende Autonomie zusichert. Geht die EU auf diese Bedingungen nicht ein, gibt es keinen Kompromiss. Denn Putin ist innenpolitisch abgesichert, eine zuletzt veröffentlichte Umfrage eines nicht-regierungsnahen Instituts sah die Zustimmungsrate für ihn bei 87 Prozent - knapp so viel wie beim Allzeit-Hoch 2008. Und zwei Drittel der Russen glauben, dass sich ihr Land in die richtige Richtung bewegt.

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