Gentechnik: Keine Einigung im EU-Parlament
Das EU-Parlament wird am Mittwoch in Straßburg einen Vorschlag der Kommission zur Entscheidungsfreiheit bei nationalen Importverboten von gentechnisch veränderten Lebens- und Futtermitteln ablehnen. Die Europamandatare forderten in der Debatte die Kommission auf, einen neuen Entwurf vorzulegen.
Die Parlamentarier befürchten, dass die neuen Regeln schlicht nicht durchsetzbar sind und die Wiedereinführung von Grenzkontrollen zwischen Befürworter-Ländern und Ablehner-Staaten von GVO nach sich ziehen würde. Die derzeitigen Grenzkontrollen wegen der Flüchtlingskrise seien schon mehr als genug, wurde argumentiert. Außerdem fehle es an Transparenz.
EU-Gesundheitskommissar Vytenis Andriukaitis verwies darauf, dass eine "höchst paradoxe Situation" bestehe. Die europäischen Bürger seien skeptisch zu GVOs eingestellt, gleichzeitig seien gentechnisch veränderte Lebensmittel in der EU nur nach einer umfassenden Risikoeinschätzung mit hohem Sicherheitsniveau zugelassen. Außerdem seien die Viehzüchter in der EU sehr stark von Eiweißimporten abhängig, die meistens auf GVO-Basis bestünden. Dies sei wichtig für Futtermittel, "selbst in den EU-Staaten, die gegen GVO gestimmt haben".
Keine klare Linie
Darüber hinaus gebe es bisher zum Kommissions-Vorschlag keine klare Meinung der EU-Staaten. Weder bestehe eine qualifizierte Mehrheit dafür noch eine dagegen, daher liege es formal in der Hand der Kommission, die Entscheidung zu treffen, gab Andriukaitis zu bedenken. Allerdings sei eine juristisch wasserdichte Lösung notwendig. Ein Alternativansatz sei ihm nicht bekannt.
Die EU-Parlamentarier zweifelten an der Machbarkeit des vorliegenden Kommissionsvorschlags. So gebe es keine ausreichenden Instrumente, um mit Gewissheit die Konsequenzen abzuschätzen, die GVO-Produkte im Binnenmarkt haben werden und auch, was dies für die Tierproduktion und die Wettbewerbsfähigkeit des Landwirtschaftssektors überhaupt bedeute. Die Wiedereinführung von Grenzkontrollen würde die Errungenschaft der Zollunion auflösen, es würde sich auch um eine Renationalisierung handeln.
Der EVP-Abgeordnete Peter Liese sieht den Kommissionsvorschlag als nicht seriös an. "Ziehen Sie den Vorschlag zurück und gehen sie aufs EU-Parlament zu", rief er dem Kommissar zu. Guillaume Balas von den europäischen Sozialdemokraten wandte sich ebenfalls entschieden gegen eine Renationalisierung der Handelspolitik. Dies sei nicht eine proeuropäische Tradition. Andererseits "können wir auch nicht nichts tun. Deshalb fordern wir sie auf, sofort an einem neuen Vorschlag zu arbeiten".
ÖVP-Europaabgeordnete
Die ÖVP-Europaabgeordnete Elisabeth Köstinger bezeichnete den Kommissionsvorschlag ebenfalls als "völlig unbrauchbar". Deswegen "werden wir die rote Karte zeigen. Wenn Österreichs Nachbarländer GVO zulassen können, kann niemand mehr kontrollieren, welche Lebens-oder Futtermittel über die Grenze kommen. Die EU-Kommission macht es sich zu einfach, die Verantwortung an die Mitgliedsstaaten abzuschieben", kritisiert Köstinger. Die Bauern bräuchten aber Rechtssicherheit. Es müsse darauf hingearbeitet werden, langfristig GVO-freie Futtermittel in Europa zu produzieren, um die Importabhängigkeit zu reduzieren, so Köstinger.
Die Verwendung genetisch veränderter Organismen (GVO) ist umstritten. Die EU verfügt über sehr strenge Bestimmungen und komplexe Genehmigungsverfahren für den Anbau und das Inverkehrbringen von GVO. Seit April 2015 können die EU-Mitgliedstaaten darüber entscheiden, ob sie den Anbau von GVO in ihrem Hoheitsgebiet zulassen. Bezüglich des Inverkehrbringens von GVO wird sich das Plenum möglicherweise gegen dieses Prinzip aussprechen.
1. Was bedeutet der Begriff "genetisch veränderter Organismus" (GVO)?
Unter GVO versteht man Organismen, deren genetisches Material in einer Art und Weise verändert wurde, die auf natürlichem Wege durch Befruchtung bzw. natürliche Neukombination von Genen nicht vorkommt. Das Genmaterial wird künstlich verändert, um ihm neue Eigenschaften zu verleihen (zum Beispiel bei einer Pflanze die Widerstandsfähigkeit gegen Krankheiten, Insekten oder Dürre oder höhere Anbauproduktivität).
2. Um welche Lebens- und
Futtermittel handelt es sich hauptsächlich?
Mais, Baumwolle, Sojabohnen, Ölraps und Zuckerrüben.
3. Sind GVO in der
EU zugelassen?
Für den GVO-Anbau, das Inverkehrbringen von GVO und die Verwendung daraus gewonnener Produkte in der Lebens- und Futtermittelkette ist eine EU-Zulassung erforderlich. Diese ist an eine gründliche wissenschaftliche Risikobewertung gebunden.
Anbau von GVO in der EU:
Ein GVO wurde 1998 zugelassen. Es handelt sich hierbei um die GV-Maissorte MON810. Momentan ist die Zulassung ausgelaufen. MON810-Mais wurde 2013 vor allem in Spanien angebaut und teilweise auch in vier weiteren EU-Mitgliedstaaten (in Portugal, in der Tschechischen Republik, in Rumänien und in der Slowakei).
Im Jahr 2013 haben acht EU-Mitgliedstaaten den Anbau von GVO in ihrem Hoheitsgebiet verboten (Deutschland, Österreich, Bulgarien, Luxemburg, Polen, Ungarn, Griechenland und Italien). Ab April 2015 konnten weitere Mitgliedstaaten den Anbau von GVO verbieten.
Momentan sind acht Anträge auf Zulassung von für den Anbau bestimmten GVO in der EU anhängig, einschließlich der Erneuerung der Zulassung für MON810-Mais.
Inverkehrbringen von GVO (Importe aus Drittstaaten):
Derzeit sind 58 GVO in der EU für die Verwendung in Lebens- bzw. Futtermitteln zugelassen. Dazu zählen Mais, Baumwolle, Sojabohnen, Ölraps und Zuckerrüben. 58 Zulassungsanträge sind anhängig.
Im Jahr 2013 benötigte die EU 36 Millionen Sojabohnen oder ähnliche Futtermittel zur Fütterung der landwirtschaftlichen Nutztiere. Davon waren 1,4 Millionen Tonnen Nicht-GV-Soja, der in der EU erzeugt worden war. Die EU ist somit von Importen abhängig.
4. Konsumieren wir bereits GVO?
Beim Großteil der in der EU zugelassenen genetisch veränderten Organismen handelt es sich um Futtermittel (für Nutztiere). Es werden nur wenige importierte genetisch veränderte (GV-)Lebensmittel angeboten.
Gemäß den EU-Rechtsvorschriften müssen alle Lebens- und Futtermittel, die GVO enthalten, daraus bestehen oder daraus hergestellt wurden, als solche gekennzeichnet werden (außer wenn der Anteil an GV-Material nicht mehr als 0,9 % der Lebens- und Futtermittelzutaten darstellt).
Die EU-Rechtsvorschriften verbieten es nicht, Produkte mit einem "gentechnikfrei"-Logo zu kennzeichnen, mit dem angezeigt wird, dass die Lebensmittel keine GV-Kulturen enthalten.
5. Wie sieht das Zulassungsverfahren für GVO aus?
Es muss hierbei zwischen dem Anbau und dem Inverkehrbringen von GVO unterschieden werden.
Die Zulassung für den Anbau erfolgt auf EU-Ebene. Das letzte Wort haben jedoch die EU-Mitgliedstaaten. Eine im April 2015 erlassene Richtlinie erlaubt den EU-Mitgliedstaaten, den Anbau von GVO auf ihrem Hoheitsgebiet jederzeit zu verbieten (sowohl während des Zulassungsverfahrens als auch nach Erteilung der Zulassung). Das Verbot kann aus einer Reihe von Gründen erfolgen. Vor Erlass der Richtlinie konnten die Mitgliedstaaten die Verwendung von GVO in ihrem Hoheitsgebiet nur im Notfall vorübergehend beschränken oder untersagen, oder wenn ihnen neue Belege dafür vorlagen, dass der betreffende Organismus ein Risiko für die menschliche Gesundheit oder für die Umwelt darstellte.
Die EU-Kommission hat vorgeschlagen, diese Vorgehensweise auch für das Inverkehrbringen von GVO anzuwenden. Diese sieht vor, dass die endgültige Entscheidung bei den einzelnen EU-Mitgliedstaaten liegt. Die Mitglieder des Ausschusses für Umweltfragen und Lebensmittelsicherheit haben am 13. Oktober entschieden, dass sich dieser Ansatz als undurchführbar erweisen könne. Er könne zu einer Wiedereinführung der Warenkontrollen an den Grenzen zwischen Ländern, die für beziehungsweise gegen GVO sind, führen und den EU-Binnenmarkt gefährden. Der Vorschlag wurde abgewiesen. Am Mittwoch (28.10.) findet die endgültige Abstimmung durch die EU-Abgeordneten im Plenum statt.
6. Was geschieht, wenn das Plenum den Vorschlag der
EU-Kommission ablehnt?
Stimmt das Plenum am 28. Oktober gegen den Vorschlag, so bleibt die derzeitige Regelung in Kraft. Eine Mehrheit der EU-Mitgliedstaaten kann die EU-weite Zulassung oder ein Verbot beschlieβen. Findet sich keine Mehrheit, so muss die EU-Kommission entscheiden.
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