Gabriel: "Türkischstämmige gehören zu uns"

Sigmar Gabriel schrieb einen Satz mit besonderer Signalwirkung
Der deutsche Außenminister in offenem Brief: Die Bundesregierung könne der Verhaftung deutscher Staatsbürger in der Türkei nicht tatenlos zusehen. Das ändere nichts an der Wertschätzung für Menschen mit türkischen Wurzeln.

(*Update: Türkische Gemeinde in Deutschland reagiert positiv auf Gabriel-Brief*)

Ungeachtet des Streits zwischen den Regierungen in Berlin und Ankara hat der deutsche Außenminister Sigmar Gabriel den in Deutschland lebenden Türken seine Wertschätzung signalisiert. Die angekündigte Neuausrichtung der deutschen Türkei-Politik richte sich weder gegen die Menschen in der Türkei noch gegen jene mit türkischen Wurzeln in Deutschland, schrieb der SPD-Politiker in einem offenen Brief.

Die Bild-Zeitung veröffentlichte den Brief in deutscher und türkischer Sprache. "Gleichgültig, wie schwierig die politischen Beziehungen zwischen Deutschland und der Türkei sind, bleibt für uns klar: Sie, die türkischstämmigen Menschen in Deutschland, gehören zu uns - ob mit oder ohne deutschen Pass."

Türkische Gemeinde begrüßt Gabriels Aussagen

Die Türkische Gemeinde in Deutschland hat den offenen Brief des deutschen Außenministers Sigmar Gabriel begrüßt. "In der jetzigen Situation ist es richtig, Dialogbereitschaft zu zeigen."

Das sagte der Vorsitzende des Dachverbandes von etwa 260 Einzelvereinen, Gökay Sofuoglu, der Zeitung Welt am Sonntag laut Vorausbericht. Die Anerkennung und politische Vertretung von türkeistämmigen Menschen sei zu lange vernachlässigt worden. "Wir würden uns wünschen, dass wir in dieser Krise näher zusammenrücken. Der Außenminister hat einen Anfang gemacht."

Neuausrichtung der Türkei-Politik

Gabriel betonte erneut, die deutsche Bundesregierung könne der Verhaftung deutscher Staatsbürger nicht tatenlos zusehen. Er hatte am Donnerstag als Reaktion auf die Verhaftung des Menschenrechtlers Peter Steudtner und anderer Deutscher eine "Neuausrichtung" der deutschen Politik gegenüber der Türkei angekündigt.

Das Auswärtige Amt verschärfte seine Reisehinweise für das beliebte Urlaubsland. Außerdem stellt Deutschland die staatliche Absicherung von Türkei-Geschäften der deutschen Wirtschaft durch sogenannte Hermes-Bürgschaften auf den Prüfstand. Auch sollten Investitionskredite, Wirtschaftshilfen und die EU-Vorbeitrittshilfen überdacht werden, sagte Gabriel.

Warnung vor Alleingang

Der Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, warnte die Bundesregierung vor einem nationalen Alleingang. Der schärfere Kurs gegenüber Ankara sei richtig, um klar Eskalationsstufen aufzuzeigen und glaubwürdig zu bleiben. "Es sollte aber europäische Lösungen geben", sagte Fratzscher der Deutschen Presse-Agentur. "Die Bundesregierung sollte auf Brüssel zugehen und auf eine gemeinsame Antwort dringen."

Aus Sicht des DIW-Chefs könnten am Ende auch schärfere Schritte bis hin zu Sanktionen gegen die Türkei ein richtiger Weg sein. "Man kann nicht immer nur reden, sondern man muss auch zeigen, dass man handelt", sagte Fratzscher. "Man muss gewillt sein, genauso weit zu gehen wie mit den Handelssanktionen gegen Russland." Aber dies müsse auf europäischer Ebene erfolgen.

Ähnlich äußerte sich der deutsche Justizminister Heiko Maas (SPD): "Wir sollten kein Druckmittel ausschließen", sagte er der "Passauer Neuen Presse" (Samstag). "Auch Europa sollte auf die Provokationen von Herrn Erdogan möglichst geschlossen reagieren."

Unionsfraktionschef Volker Kauder schrieb in der Wetzlarer Neuen Zeitung, die Liste an "Zumutungen, Provokationen und Ausfällen" des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan sei lang. "Eine Neuausrichtung der deutschen Türkei-Politik ist die logische Konsequenz."

Hahn unterstützt harte Linie

Die neue harte Linie der deutschen Regierung findet Unterstützung in der EU-Kommission. "Die Reaktion Deutschlands ist verständlich", sagte der Erweiterungskommissar Johannes Hahn der Welt. Europa habe große Geduld mit der Türkei bewiesen, doch scheine sie das nicht wertzuschätzen.

Zugleich warf Hahn dem EU-Beitrittskandidaten Türkei vor, sich von rechtsstaatlichen Grundsätzen zu entfernen.

Gabriel: "Türkischstämmige gehören zu uns"
EU-Kommissar Hahn
"Die jüngste Verhaftung von Menschenrechtsaktivisten bestätigt leider den destruktiven Kurs, den die Türkei seit dem vereitelten Putschversuch, den wir aufs Schärfste verurteilt haben, fährt. Trotz gegenteiliger Rhetorik bewegt sie sich de facto immer weiter weg von europäischen Standards." Der Kommissar aus Österreich sagte weiter, dass die Verhaftung von Menschenrechtsaktivisten, bewährten Partnern der EU, von Journalisten, Akademikern, Richtern, Staatsbediensteten und Oppositionellen unter "dubiosen Vorhaltungen" inakzeptabel sei. "Die Zeit des Hinhaltens ist vorbei", sagte Hahn.

"Es müssen Taten folgen"

Der Linke-Vorsitzende Bernd Riexinger verlangte im rbb-Inforadio, es dürfe nicht bei hehren Worten bleiben, "nun müssen entsprechende Taten folgen". Der Zeitung "Die Welt" sagte er: "Wenn das Bundesaußenministerium davor warnt, in der Türkei Urlaub zu machen, muss es auch einen Abschiebestopp für türkische Staatsangehörige geben." Dem Bericht zufolge waren laut Innenministerium Ende Mai 6.514 türkische Staatsangehörige in Deutschland ausreisepflichtig.

Unterstützung für die schärfere deutsche Gangart gegenüber der Türkei kommt aus der EU-Kommission. "Die Reaktion Deutschlands ist verständlich", sagte Erweiterungskommissar Johannes Hahn der "Welt" (Samstag). Europa habe große Geduld mit der Türkei bewiesen, doch scheine sie das nicht wertzuschätzen.

Nach einem Bericht der Süddeutschen Zeitung ist aber fraglich, ob der Türkei die Hilfen als EU-Beitrittskandidat gestrichen werden können. Im derzeit laufenden Programm IPA II gebe es die früher enthaltene Klausel nicht mehr, dass die Wahrung der demokratischen und rechtsstaatlichen Grundsätze eine Voraussetzung für die Gewährung der Hilfen sei. Nach einem Gutachten der Wissenschaftlichen Dienste des Bundestags sei daher "eine Suspendierung der Hilfe nicht möglich, solange das Beitrittsverfahren der Türkei andauert", berichtet das Blatt.

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