Die überraschenden Schachzüge Hollandes

Präsident François Hollande demonstriert Entschlossenheit und ruft Europa zum Beistand.
Islamisten haben den Staatschef schon einmal unterschätzt. Nach Anschlägen demonstriert er Geschlossenheit.

Die IS-Zentrale in Rakka, vermutlich mit der französischen Innenpolitik vertraut, hat in ihrem Bekennerschreiben nach den Massenmorden von Paris Frankreichs Staatschef François Hollande wörtlich als "Idioten" bezeichnet. In Frankreich selber halten viele Hollande zumindest für unfähig und leicht verlottert. Wirtschaftsstagnation, ständiger Anstieg der Arbeitslosen und eine wirre Steuerpolitik haben schwer enttäuscht. Dazu kamen sein an die Öffentlichkeit getragenes, patschertes Privatleben und seine schlecht sitzenden Anzüge (sein oft hochrutschender linker Ärmel wurde zum Lieblingsschmäh der Imitatoren).

Vorstoß nach Mali

Das war schon 2013 so und verleitete eine Islamistenarmee in Mali, darunter schon damals etliche Franko-Dschihadisten, zu einer Offensive gegen die rechtmäßige Regierung des Landes – in der Annahme, dass Hollande tatenlos zusehen würde, wenn ein Bündnispartner Frankreichs durch ein "Kalifat" ersetzt würde.

Ihre Überraschung war umso größer, als Hollande blitzschnell den Luft- und Bodeneinsatz französischer Truppen anordnete. Diese stoppten nicht nur den Vormarsch der Dschihadisten nach Süden zur Hauptstadt Malis. Sie befreiten auch – gemeinsam mit den verbündeten Truppen des Tschad – den Norden des Landes, wo die Glaubensfanatiker bereits ihre blutige Tyrannei errichtet hatten. Die Situation bleibt labil im Norden Malis, wie in der gesamten Sahel-Zone, aber die Dschihadisten haben sich noch zwei Jahre später von dieser Niederlage nicht erholt.

Nun ist die Situation in Syrien nicht vergleichbar. Es gibt keinen Überraschungseffekt, und es wäre absurd anzunehmen, dass Frankreich alleine auf dem Gebiet der "weltgrößten Terroristenfabrik" (wie Hollande Syrien bezeichnet) eine entscheidende Rolle spielen könnte. Die von Hollande unmittelbar angeordnete Verstärkung französischer Luftschläge gegen den IS sind von begrenzter Wirkung (das Dutzend in der Region operierender französischer Bomber ist auf Zielinformationen der USA angewiesen und kann auch – im Gegensatz zu den US-Maschinen – keine beweglichen Ziele anvisieren). Außerdem ist die französische Armee zurzeit mit ihren bisherigen Interventionszonen namentlich in Afrika bereits personell und materiell am Limit.

"Sind im Krieg"

Wenn also Hollande erklärt, Frankreich stehe "im Krieg und werde sich gnadenlos zeigen", dann verfolgt er damit vor allem ein politisches Ziel: Die aufgebrachte Stimmung in der Bevölkerung nützen, um sie auf den voraussichtlich extrem langwierigen und opferreichen Kampf mit der expandierenden dschihadistischen Hydra vorzubereiten.

De facto hat Hollande jetzt drei einschneidende Schwenks vollzogen. Auf der militärisch-diplomatischen Bühne hat er seine bisherige strikte Kampfstellung gegen Assad auf Eis gelegt und seine Vorbehalte gegen Putin über Bord geworfen, indem er sich für eine Militärkoalition mit Russland gegen den IS aussprach. Auf europäischer Ebene hat er den EU-Stabilitätspakt mit seinen an Frankreich gerichteten Sparauflagen vorerst aufgekündigt und durch einen "Sicherheitspakt" ersetzt – will heißen, Frankreich erhöht wieder seine Ausgaben für Polizei und Militär ohne Rücksicht auf den Defizitabbau.

Innenpolitik

Das führt zur dritten, innenpolitischen Ebene: Die konservative Opposition um Ex-Präsident Nicolas Sarkozy sieht schlecht aus, weil sie Posten in Armee und Polizei weggespart hatte. Die linken Kritiker und die Nationalistin Marine Le Pen können sich auch nicht beschweren, wenn Hollande sich über ein (wie sie meist sagen) "Wirtschaftsdiktat aus Brüssel" hinwegsetzt.

Vor allem aber hat Hollande angekündigt, die Befugnisse der Behörden im Inland durch eine verfassungsrechtliche Änderung so zu verschärfen, dass der Abstand zum umstrittenen "Patriot Act" (Einschränkung der Bürgerrechte im Kampf gegen den Terror) der USA nicht mehr weit ist. Hollande soll diesen Vorstoß in Erwartung eines massiven Anschlags des IS wohl überlegt und schon länger geplant haben – ein Schritt zu weit oder doch ein brillanter Schachzug?

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