Merkel räumt "Abhängigkeit" von der Türkei ein

Merkel, Erdogan
Doch der Flüchtlingsdeal lohne sich, meint die deutsche Kanzlerin.

Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel hat erstmals eine "Abhängigkeit" von der Türkei in Flüchtlingsfragen eingeräumt. Zugleich verwies sie jedoch auf die durch das seit März geltende EU-Abkommen mit Ankara geretteten Menschenleben. Seitdem hätte nur noch sieben Flüchtlinge ihr Leben in der Ägäis verloren, sagte Merkel am Donnerstag bei einer Veranstaltung in Berlin. Zwischen Jahresanfang und 20. März seien es hingegen 350 gewesen, so die deutsche Kanzlerin. Sie betonte, dass lange Zeit Schmuggler und Schlepper bestimmt hätten, wer nach Europa komme und wer nicht. "Allein schon um die Menschenleben zu retten und nicht noch Leuten Geld in die Kasse zu spülen, lohnt eine solche Abmachung mit der Türkei", sagte die Kanzlerin. In Hinblick auf ein Abhängigkeitsverhältnis betonte Merkel, Europa sei "eingebettet in eine Weltgemeinschaft" und könne sich nicht einfach abschotten. "Das müssen wir jetzt lernen - mit der Türkei, mit Libanon, mit Libyen, in Zusammenarbeit mit vielen afrikanischen Ländern." Die Türkei habe gefordert, dass man sich die Lasten von drei Millionen syrischen Bürgerkriegsflüchtlingen fairer aufteile als zuvor. Die EU unterstütze die Türkei daher mit Hilfsgeldern und mit freiwilligen Kontingenten.

"Heuchelei"

Dass die Türkei nicht der einfachste Partner ist, zeigte Präsident Recep Tayyip Erdogan am Donnerstag wieder. Die EU fordert ja, dass die türkischen Antiterror-Gesetze geändert werden. Gesetze, die in der EU als gerechtfertigt gelten, würden im Fall der Türkei abgelehnt, sagte Erdogan am Donnerstag in einer Rede in Ankara. "Ich sage offen, wie man das nennt: Heuchelei." Erdogan warf der EU erneut vor, bei den 72 Kriterien für die Visafreiheit nachträglich draufgesattelt zu haben. "Seit wann regiert ihr denn das Land?" fragte er an die Adresse der Europäer gerichtet. Zudem warf Erdogan der EU mit Blick auf Aktivitäten der verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) in Europa vor, eine "Terrororganisation" mit Geld zu versorgen und zu Aktionen gegen die Einheit der Türkei zu ermuntern.

Erdogan erkennt die Kriterien für die vom inzwischen zum Rücktritt gezwungenen Ministerpräsidenten Ahmet Davutoglu ausgehandelte Visafreiheit für türkische Bürger im Schengen-Raum ab Juni nicht an. Stattdessen besteht er darauf, dass die EU ihm selbst den Oktober als Termin für das Inkrafttreten der Visafreiheit zugesagt habe; anders als bei dem Juni-Termin ist aus Sicht Erdogans bei einer Visafreiheit im Oktober keine Änderung der türkischen Antiterror-Gesetze nötig. Die EU kritisiert die türkischen Gesetze als zu vage, was aus Brüsseler Sicht dazu führen könnte, dass sie als Instrument gegen Kritiker der Regierung eingesetzt werden.

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