Flüchtlinge getreten: Kamerafrau entlassen

Flüchtlinge getreten: Kamerafrau entlassen
Kind getreten und Mann Bein gestellt. Bischof von Szeged wettert gegen Papst. Wieder Marsch Richtung Budapest.

Weil sie Flüchtlinge getreten hat, ist eine ungarische Kamerafrau entlassen worden. Von der Kamerafrau Petra L. waren Aufnahmen aufgetaucht, wie sie einem Flüchtling mit einem Kind auf dem Arm ein Bein stellt. Bei einem anderen Vorfall gibt sie einem Flüchtlingskind einen Tritt. Die Bilder wurden von dem Internet-Sender N1TV verbreitet, der der rechtsextremen ungarischen Partei Jobbik nahe steht.

N1TV-Chefredakteur Szabolcs Kisberk schrieb am Dienstag auf der Facebook-Seite des Senders: "Eine N1TV-Kollegen hat sich heute an einem Sammelpunkt (für Flüchtlinge) in Röszke inakzeptabel verhalten." Der Arbeitsvertrag mit der Kamerafrau sei daher mit sofortiger Wirkung beendet worden. Der Sender betrachte die Angelegenheit damit als "abgeschlossen".

Flüchtlinge getreten: Kamerafrau entlassen
Combination picture (L to R) shows a migrant carrying a child tripping on a TV camerawoman and falling while trying to escape from a collection point in Roszke village, Hungary, September 8, 2015. REUTERS/Marko Djurica TPX IMAGES OF THE DAY

Die Aufnahmen waren entstanden, als am Dienstag hunderte wartende Flüchtlinge eine Polizeiabsperrung durchbrachen. Seit Jahresbeginn sind schon mehr als 165.000 Flüchtlinge nach Ungarn gekommen. Die meisten von ihnen wollen nach Deutschland oder Österreich weiter. Nach ihrer Ankunft in Ungarn müssen die Flüchtlinge aber zunächst stundenlang auf ihre Registrierung warten. Die Lage am Grenzübergang in Röszke an der Grenze zu Serbien ist seit Tagen angespannt.

Zu Fuß Richtung Budapest

Mehr als 100 Flüchtlinge haben sich am Mittwoch erneut von der ungarisch-serbischen Grenze zu Fuß auf den Weg nach Westeuropa gemacht. Das berichtete ein dpa-Reporter vor Ort. Die Menschen liefen entlang der Autobahn nach Budapest sowie auf einem parallel verlaufenden Feldweg. Polizeifahrzeuge begleiteten die Menschen, auch ein Polizeihubschrauber war im Einsatz.

In den vergangenen Tagen haben immer wieder neu aus Serbien angekommene Asylsuchende die Registrierung im Flüchtlingslager am Grenzort Röszke verweigert und versucht, zu Fuß nach Budapest zu gelangen. Eine Registrierung in Ungarn bedeutet nach derzeit geltendem EU-Recht, dass die Flüchtlinge in keinem anderen EU-Land einen Asylantrag stellen dürfen. Die meisten Flüchtlinge wollen nicht in Ungarn bleiben, sondern weiter nach Westeuropa reisen.

Österreichische Aktivisten in Röszke

Unter dem Motto "SOS Röszke! Akuthilfe" haben österreichische Aktivisten via Facebook zu Hilfslieferungen für Flüchtlinge in dem Auffanglager Röszke an der serbisch-ungarischen Grenze aufgerufen. Mit rund 13 Pkw waren am Mittwochnachmittag etwa 24 Personen unterwegs Richtung Südungarn, wie der Koordinator Alexander Baulesch der APA mitteilte.

Die Situation in dem Grenzort bezeichnete Baulesch als "pures Chaos". Derzeit würden vor allem Krisenmanager und langfristige Helfer in Röszke gebraucht. Die Aktion solle nämlich auch nach Mittwoch weitergehen, so Baulesch.

Im Moment handelt es sich dabei "noch" um eine rein private Initiative, erklärte der Koordinator. Den Facebook-Aufruf startete die Gruppe "Der Geheime KunstSalon". Im Gegensatz zu dem am Wochenende organisierten Konvoi von Wien nach Ungarn wollen die Aktivisten jedoch "nur" an Ort und Stelle helfen - und keine Flüchtlinge nach Österreich mitnehmen.

Flüchtlinge gaben auf

Die Flüchtlinge, die am Dienstag aus einer Sammelstelle an der ungarische-serbischen Grenze geflohen waren, haben am Abend aufgegeben. Nach Zusammenstößen mit der ungarischen Polizei, welche die rund 300 Migranten nahe der Stadt Szeged gestoppt hatte, konnten die Flüchtlinge schließlich überzeugt werden, Busse der Polizei zu besteigen, wie das ungarische Staatsfernsehen berichtete.

Sie wurden in eine nicht näher genannte Registrierstelle gebracht, wie das Staatsfernsehen am Dienstagabend berichtete. Die Flüchtlinge hatten sich am Nachmittag den Anweisungen der Polizei widersetzt, an der Sammelstelle bei Röszke an der ungarisch-serbischen Grenze zu bleiben, und machten sich zu Fuß auf in Richtung Budapest auf. Rund 100 Polizisten stoppten die Migranten einige Stunden später bei Szeged. Dabei flogen Flaschen gegen Polizisten, diese setzten Tränengas ein.

Ein Teil der Flüchtlinge - vor allem Familien mit Kleinkindern - willigte daraufhin ein, in die bereitgestellte Busse zu steigen. Der harte Kern der Migranten weigerte sich zunächst und setzte seinen Sitzstreik fort. Laut ungarischen Staatsfernsehen gaben schließlich auch diese rund 100 Migranten, der eine nahezu gleiche Anzahl von Polizisten gegenüberstanden, ihren Widerstand auf. Dazu beigetragen habe auch, das zwei "Tonangeber" der Flüchtlinge aus der Menge entfernt und wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt abgeführt wurden, so das Staatsfernsehen.

Nach Verhandlungen mittels Dolmetscher sagte die Polizei den 100 bis 150 Menschen zu, sie direkt in das Sammellager Vamosszabadi nahe der westungarischen Stadt Györ zu transportieren, wie das staatliche Fernsehen berichtete.

In der Sammelstelle bei Röszke, wo die aus Serbien ankommenden Flüchtlinge oft tagelang unter freiem Himmel auf ihre Registrierung warten müsse, kommt es immer häufiger zu derartigen Fluchtversuchen. Immer wieder versuchten in den vergangenen Tagen Gruppen von hunderten Flüchtlinge sich zu Fuß weiter Richtung Westen durchzuschlagen.

Bahnhof Budapest

Auf dem Ostbahnhof in Budapest versuchen unterdessen auch am Mittwoch Hunderte von Flüchtlingen, Züge Richtung Westen zu besteigen. Ein hohes Polizeiaufgebot versuchte, die teils aufgebrachten Migranten zu bremsen. Weil jeweils nur rund 140 Flüchtlinge in einen Zug gelassen werden - um Überlastung zu vermeiden - bildeten sich lange Warteschlangen, berichtete das staatliche Fernsehen.

Am Mittwoch könnten laut dem Portal "hvg.hu" bis zu 5.000 Flüchtlinge über die serbische Grenze nach Ungarn kommen. Der bisherige Rekord lag bei etwa 3.000. Ein in den vergangenen Wochen und Monaten errichteter Drahtzaun soll die Schutzsuchenden daran hindern, über die Grenze zu gelangen. Dieser wird nun durch ein großes Eisentor an den Gleisen - diese waren bisher frei passierbar - "ergänzt".

Ab 15. September tritt in Ungarn ein schärferes Zuwanderungsgesetz in Kraft, nach dem unmittelbar an der serbischen Grenze sogenannte Transitzonen errichtet werden sollen. Dort würden dann "Richter am Fließband die Asylanträge der Migranten beurteilen", schrieb das Portal "VS.hu" am Mittwoch. Das Portal will aus Regierungsquellen wissen, dass sich in einer Transitzone höchstens 50 Migranten aufhalten dürfen, die auf die Beurteilung ihres Asylantrages warten. Dieser könnte innerhalb der zehntägigen Frist innerhalb eines Tages beurteilt werden.

Alle anderen Migranten müssten außerhalb des auf 175 Kilometer Länge errichteten Drahtzaunes bleiben, der von mehreren Tausend Soldaten und Polizisten geschützt werden soll. Die Regierung würde damit rechnen, dass "einige brutale Wochen der Preis dafür sind, dass letztlich Ruhe einkehrt", so das Portal. Nach Absperren der ungarischen Südgrenze würden sich die Flüchtlingsmassen eher neue Routen suchen, wie über Kroatien - und von dort nicht weiter nach Ungarn "drängen, sondern eher in Richtung Österreich. In Kroatien würde der Fluss Drau (Drava) auf einer langen Strecke an der Grenze fließen, was hinderlich sei und eine leichtere Kontrolle der Grenze ermögliche.

Außenminister Peter Szijjarto kritisierte in einem Interview in der Zeitung "Nepszabadsag", dass eine massive Medienkampagne gegen Ungarn geführt werde. Das geplante Quotensystem sei die falsche Richtung, da es um die Verteilung von 60.000 Migranten ginge, während in Ungarn allein in diesem Jahr 170.000 eintrafen. Das Quotensystem sei eine "Einladung" für Flüchtlinge und Schlepper, erklärte der Außenminister.

Bischof wettert gegen den Papst

Der ungarische Bischof Laszlo Kiss-Rigo hat Papst Franziskus wegen dessen jüngsten Appell zur Aufnahme von Flüchtlingen kritisiert und mit scharfen Worten gegen Migranten geschimpft. Der Papst kenne die Situation nicht, erklärte der Bischof laut "Washington Post". "Das sind keine Flüchtlinge, das ist eine Invasion", so Kiss-Rigo.

Papst Franziskus hatte angesichts der Flüchtlingskrise am Sonntag zu mehr Solidarität und Unterstützung der Migranten aufgerufen. Alle Pfarren, Klöster und religiösen Gemeinschaften forderte er auf, jeweils mindestens eine Familie aufzunehmen.

"Sie kommen hierher mit Allahu Akbar-Schreien. Sie wollen uns erobern."

Der Bischof von Szeged-Csanad im Süden Ungarns, wo die meisten Flüchtlinge derzeit eintreffen, hält nichts davon. Obwohl die meisten in Ungarn eintreffenden Menschen, aus dem völlig zerstörten Bürgerkriegsland Syrien geflohen sind, hält er sie der Hilfe offenbar für unwürdig. Die meisten "haben Geld", wie er erklärt, sie würden sich weigern angebotene Lebensmittel anzunehmen und Müll hinterlassen. "Die meisten benehmen sich auf eine Art, die sehr arrogant und zynisch ist." Europa werde überschwemmt von Leuten, die sich als Flüchtlinge ausgeben würden, aber tatsächlich eine ernste Bedrohung für die "christlichen universellen Werte" Europas darstellen würden, meinte er. "Sie kommen hierher mit Allahu Akbar-Schreien. Sie wollen uns erobern."

Die ungarische Kirche steht in der aktuelle Flüchtlingskrise massiv in der Kritik, sich nicht mehr für die Migranten einzusetzen. Der Budapester Erzbischof, Kardinal Peter Erdö, hatte jüngst darauf reagiert und erklärt, die Kirche könne keine Flüchtlinge aufnehmen, da sie sich dadurch zu Schleppern machen würde. Später relativierte die Aussage und verwies auf die rechtlichen Hindernisse bei der Flüchtlingshilfe.

In Serbien halten sich nach Angaben der Behörden kontinuierlich zwischen 15.000 und 20.000 Flüchtlinge auf. Durchschnittlich halten sich die Migranten zwischen drei und fünf Tagen in dem Westbalkanland auf, wie der staatliche Sender RTS am Mittwoch berichtete.

In Gevgelija an der mazedonisch-griechischen Grenze wurden nach Angaben des UNO-Kinderhilfswerkes UNICEF seit Juni mehr als 64.000 Flüchtlinge registriert, im serbischen Presevo waren es 89.161 Personen. Entsprechend der gesetzlichen Regelung kann ein Antrag auf Asyl nur innerhalb von 72 Stunden gestellt werden. Nur wenige entscheiden sich wirklich dazu - seit Jahresbeginn wurden nur etwa 500 Asylanträge verzeichnet.

In der ersten September-Woche wurden in Gevgelija laut UNICEF fast 10.000 Flüchtlinge registriert, fast 40 Prozent waren Frauen und Kinder. In Presevo waren es vom 1. bis zum 6. September 7.720 Flüchtlinge. Tatsächlich dürfte die Zahl nach Schätzungen der UNICEF aber fast doppelt so hoch liegen, weil viele Migranten die Grenze zu Mazedonien oder Serbien passieren, ohne sich bei den Behörden zu melden.

Tschechien will in den nächsten Monaten zwei neue Flüchtlingszentren für bis zu 400 Menschen eröffnen. Dies sei ausreichend, weil die Flüchtlinge ohnehin nicht in der Tschechischen Republik bleiben wollten, erklärte Innenminister Milan Chovanec am Dienstagabend laut der tschechischen Nachrichtenagentur CTK.

Ein Zentrum, in Drahonice (Nordböhmen) soll demnach bis Jahresende öffnen, ein weiteres, in Balkova (Westböhmen) im Jänner. Der Umbau in Balkova kostet bis zu 20 Millionen Kronen (739.453,54 Euro) - "Wir haben den umliegenden Gemeinden versprochen, einen Zaun zu bauen", begründete Chovanec die Höhe der Ausgaben. Bis zu 200 Personen könnten in Balkova unterkommen.

"Wir versuchen, passende Areale zu finden, zum Beispiel frühere Gefängnisse." Es mache keinen Sinn, große Mengen an öffentlichen Geldern dafür auszugeben, denn: "Wir wissen nicht, wie sich die Flüchtlingswelle entwickelt", begründete der Innenminister. Sollte aber etwas "unerwartet" passieren, sei Tschechien bereit, weitere Einrichtungen zu öffnen, zitierte ihn die CTK.

Tschechien hat sich bisher vehement gegen verpflichtende Quoten zur Aufteilung von Asylwerbern innerhalb der EU. Ministerpräsident Bohuslav Sobotka erachtete diese "nicht als wirkliche Lösung" der Flüchtlingskrise. Trotzdem sei sein Land bereit, einen "aktiven Part" zur Bewältigung der Krise zu übernehmen, versicherte Sobotka dem UNO-Generalsekretär Ban Ki-moon in einem Telefongespräch, so die CTK. Die Hilfe müsse aber freiwillig sein.

Unterdessen fühlen sich in Tschechien laut Bericht der Prager Tageszeitung "Lidove noviny" etliche Pfarren in der Flüchtlingsfrage von der Kirchenführung des Landes im Stich gelassen. Die Kritik sei erst recht nach der Bitte des Papstes, jede Pfarre möge eine Flüchtlingsfamilie aufnehmen, lauter geworden, so das Blatt laut "Kathpress".

Der Generalsekretär der Bischofskonferenz, Tomas Holub, zeigte sich gegenüber der Zeitung allerdings unbeeindruckt und betonte: "Vorrang für die Bischöfe haben die Wünsche und Bedürfnisse des Staates." Holub rechtfertigte die restriktive Prager Aufnahmepolitik; Tschechien hat sich bisher lediglich bereit erklärt, binnen drei Jahren 1.500 Flüchtlinge aufzunehmen.

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