EU-Kommission verlangt mehr und schnellere Abschiebungen
Die EU-Kommission hat von den Mitgliedstaaten mehr und schnellere Abschiebungen verlangt. EU-Migrationskommissar Dimitris Avramopoulos stellte am Donnerstag in Brüssel einen Aktionsplan vor, "um die Rückkehrquoten wesentlich zu erhöhen". Er verlangt etwa die verstärkte Nutzung von Abschiebehaft und den raschen Abschluss von Rücknahmeabkommen mit Drittstaaten.
Zur Unterstützung will die Kommission dieses Jahr 200 Millionen Euro bereitstellen. Die zügige Rückführung nicht schutzbedürftiger Migranten sei "auch ein deutliches Signal, um zu verhindern, dass sich Menschen auf die gefährliche irreguläre Reise in die EU machen", erklärte Avramopoulos. Er verwies darauf, dass die Kommission mit ihrem Aktionsplan die Forderung der EU-Staats- und Regierungschefs auf ihrem Gipfel in Malta von Anfang Februar umsetze, die Rückführungen zu intensivieren.
Wiedereingliederungspakete für Rückkehrer
Die 200 Millionen Euro sollen demnach "für nationale Rückkehranstrengungen sowie für bestimmte gemeinsame europäische Rückkehr- und Wiedereingliederungsmaßnahmen zur Verfügung" gestellt werden, erklärte die Kommission. Sie forderte auch eine Verbesserung des Informationsaustausches zwischen den Mitgliedstaaten und EU-weit abgestimmte Wiedereingliederungspakete für Rückkehrer. "Derzeit wird nur rund ein Drittel der Menschen zurückgebracht, die den Bescheid erhalten, dass sie die EU verlassen müssen", sagte Avramopoulos zuvor der deutschen Welt (Donnerstag-Ausgabe).
Die EU-Grenzschutzbehörde soll bis Juni einen Mechanismus zur Finanzierung von Rückkehrflügen mit gewerblichen Airlines einreichten. Bis Oktober soll die Schulung der Behörden von Drittstaaten ausgeweitet werden. Mit Nigeria, Tunesien und Jordanien sollen rasch Rücknahmeabkommen abgeschlossen und die Zusammenarbeit mit Marokko und Algerien verstärkt werden.
Schließlich fordert die Kommission die EU-Regierungen zu einer "koordinierten und effektiven Nutzung der kollektiven Hebelwirkung" der Partnerschaftsabkommen mit Drittstaaten auf, um dort die Rücknahmebereitschaft zu erhöhen. Die Abkommen sehen unter anderem eine verstärkte finanzielle Unterstützung betroffener Länder in Afrika vor, wenn diese mit der EU in der Rücknahmefrage kooperieren.
Helfer sehen Scheinlösung
Es geht vor allem um Abschiebungen in nordafrikanische Staaten. Bereits zuvor hatte Avramopoulos in einem Interview mit dem Zeitungspool der deutschen Funke-Gruppe einen Abtausch von Entwicklungshilfe und anderen Unterstützungen mit der Übernahme von Flüchtlingen gefordert: "Sie wollen mehr Hilfe von Europa, also müssen sie uns auch helfen", so der EU-Kommissar in Richtung der infrage kommenden Länder.
Scharfe Äußerungen von De Maiziere
Das Abschiebungsthema hat auch eine starke innenpolitische Tangente der jeweiligen EU-Mitgliedsländer und mit dem Wählerzuspruch zu rechten, rechtspopulistischen und rechtskonservativen Parteien zu tun. Auch in Österreich gab es bei entsprechenden gesetzlichen Vorstößen der Regierung - von der Reduktion der Familienbeihilfe für hierzulande arbeitende Menschen mit Kindern im Ausland bis zur jüngst beschlossenen Fremdenrechtsverschärfung - entsprechende Kritik der Opposition abseits der FPÖ. In Deutschland etwa, das heuer den Bundestag neu wählt, macht CDU-Innenminister Thomas de Maiziere mit zunehmend scharfen Äußerungen zu diesem Thema auf sich aufmerksam.
Brüssel: Keine Haftzentren für Flüchtlinge außerhalb der EU
Die Schaffung von Haftzentren für Flüchtlinge außerhalb Europas sieht die EU-Kommission indes nicht auf der Tagesordnung. Es habe zwar vor einiger Zeit Ideen dazu gegeben, "aber dort sind wir nicht", sagte EU-Innenkommissar Dimitris Avramopoulos am Donnerstag vor Journalisten in Brüssel. "Wir haben nicht damit begonnen, Haftzentren außerhalb Europas zu diskutieren." Unter den EU-Mitgliedstaaten werden seit mehreren Monaten Flüchtlingslager in Nordafrika diskutiert, um Flüchtlinge zu versorgen, an der gefährlichen Reise über das Mittelmeer zu hindern und möglichst in ihre Heimatländer zurückzuschicken. Die EU-Staats- und Regierungschefs hatten sich bei ihrem Gipfel in Malta Anfang Februar dafür ausgesprochen, internationale Organisationen dabei zu unterstützen, "angemessene Aufnahmekapazitäten und -bedingungen für Migranten in Libyen" zu schaffen. Ob dies in absehbarer Zeit möglich sein wird, ist wegen der chaotischen Lage in dem nordafrikanischen Land unklar. Libyen wird trotz einer vor einem Jahr gebildeten Einheitsregierung in weiten Teilen von bewaffneten Milizen kontrolliert.
Merkel in Ägypten und Tunesien
Avramopoulos’ Aussagen und die EU-Präsentation der neuen Linie zum Thema Abschiebungen fallen zudem mit einem Besuch der deutschen Kanzlerin Angela Merkel in Ägypten und Tunesien zusammen, bei dem es ebenfalls vor allem um die Übernahme von Flüchtlingen gehen soll. Nur in der Minderzahl der Fälle geht es dabei um Menschen, die tatsächlich aus diesen Ländern stammen, sondern für die diese Länder nur Zwischenstation waren.
Auch Merkel musste sich wie schon beim Flüchtlingsdeal mit der Türkei im Vorfeld der Reise Kritik daran gefallen lassen, dass sie bei dem Thema zur Kooperation mit fragwürdigen Partnern bereit sei. Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International warnte etwa erst am Donnerstag, dass der Schutz der Grundrechte in Ägypten unter dem derzeitigen Machthaber Abdel Fattah al-Sisi noch weniger gewährleistet sei als unter dem Regime von Hosni Mubarak.
Nicht vollzogene Abschiebungen, obwohl das EU-Land dazu die Möglichkeit hätte, haben zudem nur zu einem geringen Teil mit den Problemstellungen der Fluchtbewegungen und Migrationsströme zu tun. In Österreich etwa wurden 2016 laut Innenminister Wolfgang Sobotka (ÖVP) 10.600 Menschen ohne Bleiberecht abgeschoben. Laut der offiziellen Asylstatistik des Innenministerium wurden im selben Zeitraum 12.557 Asylanträge rechtskräftig abgelehnt und 21.628 angenommen, weil Österreich zuständig war und ein Asylgrund vorlag.
Niemand investiere in diesen Staaten so viel in Entwicklungshilfe wie die EU. "Die nordafrikanischen Staaten müssen verstehen, was auch finanziell auf dem Spiel steht", sagte Avramopoulos. Manche Staaten kooperierten bereits, "manche verweigern sich", beklagte Avramopoulos. Deswegen müsse die EU mit besonderen Mitteln arbeiten und maßgeschneiderte Partnerschaften anbieten. Wo es noch an der Bereitschaft zur Rücknahme von Flüchtlingen mangle, müsse die EU mit gezielten Anreizen und dem kollektiven Einfluss der Mitgliedstaaten arbeiten.
Merkel reist am Donnerstag und Freitag nach Ägypten und Tunesien. Die Kanzlerin strebt Partnerschaften mit nordafrikanischen Staaten an, um die Zahl der über das Mittelmeer kommenden Flüchtlinge zu verringern. Kritiker sehen darin den Versuch, ihr Schicksal den Ländern in Nordafrika zu überlassen.
Avramopoulos sagte, dass vor allem in Libyen die Lage nicht stabil sei. "Nur ein schmaler Streifen an der Küste steht unter staatlicher Kontrolle, im Rest des Landes herrscht Chaos." Auch die Zusammenarbeit mit Tunesien könne verbessert werden. "Jedes dieser Länder hat seine spezifischen Probleme", sagte der griechische EU-Kommissar.
Er kündigte zudem Vorschläge der EU-Kommission für schnellere Abschiebungen an: "Bisher scheitern Rückführungen oft an zu langsamen und komplizierten Verfahren oder weil die Rückzuführenden kurzfristig nicht mehr auffindbar sind", sagte Avramopoulos. Die Kommission werde deshalb am Donnerstag neue Empfehlungen aussprechen, "damit die Mitgliedstaaten die Möglichkeiten der EU-Gesetzgebung hier noch besser nutzen".
Angesichts der Terrorgefahr forderte Avramopoulos Polizei und Geheimdienste der EU-Staaten zu einer engeren Zusammenarbeit auf. Europa sei in Sicherheitsfragen "noch sehr zersplittert", kritisierte der EU-Kommissar, der neben der Migration auch für Inneres zuständig ist. Polizisten und Geheimdienste müssten besser mit anderen Behörden zusammenarbeiten. "Das gilt innerhalb der EU, das gilt aber sogar innerhalb eines EU-Staates", sagte Avramopoulos.
Im Hinblick auf einzelne Extremisten wie den Berlin-Attentäter Anis Amri, die über die Flüchtlingsrouten nach Europa eingereist waren, verwies der EU-Kommissar auf Fortschritte bei der Registrierung von Migranten und Schutzsuchenden an der europäischen Außengrenze. "Das System funktioniert", sagte Avramopoulos. "Wir können auffällige Personen schnell identifizieren. Und wir erkennen, ob eine Person schon einmal eingereist ist nach Europa und wo sie sich hier bewegt hat."
Doch jedes Datensystem sei nur so gut, wie es von jedem einzelnen Beamten in einem europäischen Staat gepflegt werde, sagte Avramopoulos. "Hier erwarte ich von jedem einzelnen Polizisten europäisches Denken bei der Sicherheit."
Seit Beginn der Grenzkontrollen im Jänner 2016 hat die dänische Polizei rund 2.900 Menschen an der deutsch-dänischen Grenze abgewiesen. Fast alle, die zurückgeschickt wurden, stammten aus dem Mittleren Osten oder Nordafrika, wie das dänische Integrationsministerium am Donnerstag mitteilte. Darunter seien besonders viele Asylbewerber aus Syrien, Afghanistan, dem Irak, Eritrea und Somalia.
Die Abgewiesenen hatten nach Angaben der Polizei im Regelfall kein Visum, keine Aufenthaltsgenehmigung oder gefälschte Papiere. "Das beweist die Notwendigkeit der Grenzkontrollen, die wir eingeführt haben", sagte Integrationsministerin Inger Stöjberg laut Mitteilung. "Wir stoppen die Richtigen, die ohne Papiere reisen, und das zeigt mir, dass wir viel bessere Kontrolle darüber haben, wer nach Dänemark einreist." Dänemark überprüft seit Anfang Jänner 2016 stichprobenartig die Ausweise von Reisenden an den Grenzübergängen zu Deutschland. Zuletzt hatte das Land die Kontrollen bis Mitte Mai verlängert.
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