Fischler: "Todesstrafe ist K.O.-Kriterium"

Franz Fischler: EU müsse diplomatischen Druck auf Erdogan ausüben.
Ex-EU-Kommissar: Union müsse sich gegenüber der Türkei bei der Frage der Menschenrechte klar positionieren.

Angesichts jüngster Entwicklungen in der Türkei muss sich die EU "in Sachen Menschenrechte ganz klar positionieren". Das sagte der frühere EU-Kommissar und nunmehrige Präsident des Europäischen Forums Alpbach, Franz Fischler, jüngst zur APA. Er glaube aber nicht, dass quasi als erste Maßnahme die Beitrittsverhandlungen ausgesetzt werden sollten. Darüber könne man später immer noch entscheiden.

Todesstrafe sei K.O.-Kriterium für EU-Beitritt

"Wenn es dazu kommt, dass die Todesstrafe wieder eingeführt wird, dann ist das natürlich ein K.O-Kriterium für die Europäische Union", fügte Fischler hinzu. "Solange ich Mitglied der Kommission war, haben wir immer in Zusammenhang mit den Kopenhagen-Kriterien die Position vertreten, dass Menschenrechte keine Übergangsregelungen vertragen. Die sind einzuhalten, Punkt. Und ich glaube, von dieser Position kann die Europäische Union nicht einfach abgehen." Er glaube auch nicht, dass man "dem Flüchtlingsdeal alles opfern" könne.

Man müsse "auf diplomatischem Weg versuchen, so viel wie möglich Druck auf Herrn Erdogan auszuüben, denn schließlich hat er ja auch etwas zu verlieren", sagte Fischler. Für den türkischen Präsidenten stünden "Milliarden auf dem Spiel und begünstigte Handelsbeziehungen auf dem Spiel. Und eines wird auch Herr Erdogan brauchen: nämlich eine funktionierende Wirtschaft, noch dazu, wenn man bedenkt, wie jung die Bevölkerung der Türkei ist und wie viele Leute in den kommenden Jahren Jobs brauchen."

Keine Rosinenpickerei für Briten

Zum künftigen Verhältnis zwischen Großbritannien und der EU sagte Fischler, beide Seiten müssten zunächst ein Konzept mit verschiedenen Optionen entwickeln und darüber verhandeln. "Das Austrittsszenario und die Austrittsbedingungen sind noch in keinster Weise festgeschrieben, weil es so etwas ja noch nie gegeben hat." Es sei davon auszugehen, dass Großbritannien nach dem Vollzug des Brexit "nicht irgendein Drittstaat" sein werde, sondern im Zuge von Verhandlungen Vereinbarungen getroffen würden, die für beide Seiten "einen entsprechenden Nutzen" bringen. "Nur eines wird sicher nicht stattfinden, nämlich das, was viele Briten, vor allem Brexit-Befürworter, glauben: Dass sie eine Art Rosinenpickerei betreiben können und sagen können, gute Handelsbeziehungen hätten wir schon ganz gerne und Freiheit im Güterverkehr auch, aber beim Personenverkehr gilt das wieder nicht", sagte Fischler.

"Bessere Beziehungen als die Schweiz oder Norwegen kann Großbritannien aus meiner Sicht auf keinen Fall erhalten. Das heißt aber die Akzeptanz der vier Freiheiten, des Binnenmarktes, im Gegenzug keine Zölle oder Abgaben." Zudem bedeute es, dass die Briten wohl Beiträge in der Höhe mehrerer Milliarden Euro bezahlen müssten, ohne dafür Geld aus der EU-Kasse zurückzubekommen.

In den Gesprächen mit London sollte die Europäische Union aus Sicht Fischlers "sachlich auftreten": "Die EU wäre schlecht beraten, wenn sie in den Verhandlungen mit den Briten auch nur irgendwelche Emotionen spüren ließe." Fischler rechnet mit zum Teil sehr komplizierten Verhandlungen, "weil es ja nicht nur um Handelsfragen geht, sondern auch um Standards, um deren gegenseitige Anerkennung. Es geht um Fragen, wie man die bisherigen Bereiche einer intensiveren Zusammenarbeit entflechtet."

Vorzüge der EU stärker hervorstreichen

Fischler geht davon aus, dass es in Zukunft noch mehr Ereignisse geben wird, wo versucht werde, die Europäische Union infrage zu stellen. "Für mich heißt das aber nicht, dass man schon zum Begräbnis der EU rüsten müsste. Sondern für mich heißt das, dass es hoch an der Zeit ist, dass jene Leute, die nach wie vor sehr viel Sinn in der Europäischen Union sehen, sich auch aufrüsten, sich auch stärker zu Wort melden und vor allem einmal endlich die Vorzüge der EU hervorstreichen."

EU- und Menschenrechtsfragen werden auch Schwerpunkte des Europäischen Forums Alpbach 2016 sein, das von 17. August bis 2. September über die Bühne geht. Generalthema ist heuer "Neue Aufklärung".

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