"Die USA scheitern auch in der Ukraine"

Firtasch, einst im engsten Kreis um Ex-Präsident Janukowitsch, sieht sich nicht als dessen Nutznießer.
Der Unternehmer Dmytro Firtasch über die Ukraine, seine Pläne, seinen Ruf und die Politik, von der er nichts wissen will.

Dmytro Firtasch ist einer der umstrittensten Unternehmer der Ukraine mit einst engen Beziehungen zum gestürzten Präsidenten Viktor Janukowitsch, zu dessen engstem Kreis er zählte. Seit Frühjahr 2014 sitzt er in Wien, nachdem er vorübergehend wegen eines FBI-Haftbefehls festgenommen wurde. Seine Auslieferung aber wurde abgelehnt. Das Verfahren ist derzeit in Berufung, weshalb einige sensible, verfahrensrelevante Themen im Gespräch mit dem KURIER in einem luxuriösen Innenstadtpalais auch unbeantwortet blieben.

KURIER: Sie sind in Wien stecken geblieben. Sehen Sie Ihren Aufenthalt hier als vorübergehend oder als dauerhaft?

Dmytro Firtasch:Es ist kompliziert. Ich bin jetzt fast zwei Jahre hier. Wie Sie wissen, warte ich auf die Berufungsverhandlung. Und basierend auf dem Resultat, werde ich über meine Heimreise entscheiden können. Zu sagen, ich sei stecken geblieben, drückt es nicht wirklich gut aus. Ich würde die vergangenen zwei Jahre als sehr nützlich bezeichnen. Ich kenne Österreich seit vielen Jahren. Aber ich war nie lange hier. Österreich ist wie eine gute Flasche Rotwein: Wenn man sie öffnet, muss man warten bis sie ihr Bouquet entfaltet. Man beginnt das Land zu verstehen, es zu fühlen. Das wichtigste ist, dass hier Rechtssicherheit herrscht. Ich bin viel gereist in Österreich. Das war sehr interessant. Es gibt einige Orte, die ich sehr liebe: das Salzburgerland – zum Ski-fahren.

Sie sagen "Ordnung". Es war letztlich Unruhe, oder wenn man so will "Unordnung", die Ihrem Aufenthalt hier zugrunde liegt. Wenn Sie die Situation in der Ukraine derzeit beobachten – Wirtschaftsminister Abromavicius ist eben zurückgetreten: Wie beurteilen sie das?

Was ich heute in der Ukraine sehe, ist das Scheitern der US-Strategie. Aus meiner Sicht ist die Ukraine von externen Kräften geleitet. Und das nicht sonderlich effektiv. Da ist die Ukraine kein Einzelfall. Wir haben gesehen, dass die US-Politik im Mittleren Osten und in anderen Ländern nicht erfolgreich war. Und vor allem: Dass Europa darunter leidet. Stichwort Migration. Die Ukraine ist aber Europa. Und ich bin überzeugt, dass die EU nicht will, dass die 45 Mio. Menschen in der Ukraine zu einer Migrationsbewegung werden, weil der Staat zusammenbricht. Ich bin überzeugt, dass die Ukraine für Europa ein riesiger Markt sein kann. Aber: Der Rücktritt Abromavicius’ sagt mir, dass die jetzige Regierung politisch bankrott ist. Es gibt kein Reformprogramm. Und es sieht so aus, als wäre es das wichtigste für diese Politiker, auf Staatsbetrieben zu sitzen und von ihnen zu profitieren.

Für diesen Markt für Europa, den Sie ansprechen, gibt es ja an sich einen Rahmen – das Assoziierungsabkommen mit der EU. Jetzt standen Sie aber doch jener Regierung nahe, die dieses Abkommen zurückgewiesen hat.

In der Ukraine bestand 2013 die Frage: Soll man der russischen Zollunion beitreten oder der EU. Meine Position damals und heute war und ist: Es sollte kein Entweder-oder sein, die Ukraine könnte viel mehr eine Brücke werden. Meine Position war, das Assoziierungsabkommen zu unterzeichnen. Aber mit einer Nuance: Wir wollten sowohl EU, Russland als auch die Ukraine an einem Tisch zu diesem Thema. Und wir hatten recht: Wir haben den russischen Markt verloren – und die Auswirkungen auf die ukrainische Wirtschaft sind katastrophal. Wir können von der EU nicht erwarten, diese Lücke zu füllen. Ich sage auch noch heute: Wir müssen uns alle drei an einen Tisch setzen und eine Lösung finden. Das Letzte, was Europa heute braucht, ist eine arme Ukraine.

Wenn Sie vom politischen wie wirtschaftlichen Bankrott der Ukraine sprechen, klingt das ein wenig, als hätten Sie einen politischen Plan, oder ein Projekt. Sie haben in einem Interview mit Reuters zuletzt von einer "Alternative" gesprochen, die es brauche.

Es braucht eine politische Alternative. Aber: Es gibt sehr viele Politiker in der Ukraine, sehr viele Menschen, die sehr viel reden. Angefangen beim Präsidenten und beim Premier. Sie waren bei sehr vielen Investmentforen, aber wenn sie ihnen die Frage stellen: Zeigen Sie mir ein Projekt, in das man investieren kann in der Ukraine, haben sie keine Antwort. Es gibt sie nicht. Sie sprechen nur darüber. Sie sprechen auch über Reformen. Aber sie sprechen eben nur darüber. Alles PR. Wieso? Weil es nur als PR gedacht war. Als das klar wurde, haben wir – das sind die Arbeitgebervereinigung und die Gewerkschaften – unsere eigenen Vorschläge gemacht. Wir haben einander getroffen – das ist nicht einfach, wie Sie sich vorstellen können. Und wir haben die Agentur zur Modernisierung der Ukraine (AMU) gegründet. Und die haben dann zusammen ein Programm erarbeitet.

Aber haben Sie die Ambition in die Politik zu gehen?

Es gibt zu viele Politiker in der Ukraine. Ich bin Unternehmer. Und das werde ich weiter sein. Aber: Menschen, die Kritik üben, sollten auch Lösungen anbieten. Daher haben wir unseren eigenen Plan geschrieben und ihn auch vorgelegt. Wir sind bereit in einen Dialog zu treten. Aber heute ist klar, dass Parlament und auch Regierung nicht in einen Dialog treten wollen. Sie sind wie ein Fisch in einem Aquarium. Sie schwimmen an einem Tag an ein Ende des Aquariums und am nächsten an das andere Ende. Sie leben von einem Tag auf den anderen. Daher haben sie auch kein Programm bis 2025.

Diese Zurückweisung der AMU-Vorschläge – würden Sie sagen, dass hat vielleicht mit Ihnen persönlich und dem teilweise auch schlechten Ruf zu tun, den Sie in der Ukraine genießen?

Nein, das denke ich nicht. Sie wollen es schlicht nicht zur Kenntnis nehmen, weil sie durch die Anerkennung dieses Programms zugeben müssten, dass sie selbst nichts tun. Denn die Wahrheit ist: Dieses Programm hätte von ihnen entworfen werden müssen. Ein Beispiel: Jener Minister, der jetzt zurückgetreten ist, hat vor ein paar Wochen in Davos gesagt, dass die Ukraine eine industrielle Plattform für Europa werden muss. Interessanterweise hat er weiterführend eine ganze Reihe an Punkten aus unserem Programm angeführt. Sie haben nicht ausgeführt, dass diese Punkte von uns kommen. Was mich angeht, ich bin damit zufrieden. Was zählt, ist das Ergebnis.

Sie sagen, die Ukraine würde von fremden Kräften regiert. In Ihrem speziellen Fall und dem Umstand, dass Sie in Wien und nicht in Kiew sind: Wen sehen Sie dahinter? Die USA oder die ukrainischen Behörden?

Ich denke, Innenminister Awakow und Premierminister Jazenjuk arbeiten in meinem Fall mit den Amerikanern zusammen. Hauptorder: Meine Rückkehr verhindern. Am 2. Dezember sollte der Jahreskongress der Arbeitgebervereinigung stattfinden. Dabei sollte ein Memorandum unterzeichnet werden, dass die AMU-Vorschläge akzeptiert werden. In 25 Jahren der Unabhängigkeit der Ukraine gab es niemals einen Vorfall, dass der Luftraum für Privatjets geschlossen wurde. Es wurden Anklagen fabriziert. 20 verschiedene. Ohne Grundlage. Bewaffnete wurden zu den Flughäfen gebracht. Dann wurde gesagt, man würde mir den Pass abnehmen und meine Einreise als auch meine Rückkehr nach Wien verhindern. Wir haben beschlossen, dass das Risiko zu hoch ist. Vor allem auch wegen des Verfahrens in Wien. Zur Berufungsanhörung muss ich in Wien sein, würde ich nicht kommen, wäre das ein echtes Problem. Erstens wegen der Kaution, zweitens wegen meiner Reputation. Also bin ich in Wien geblieben und werde bleiben, bis alle gerichtlichen Prozeduren abgewickelt sind.

Sie glauben an den Zerfall der Regierung. Steht auch die Ukraine vor dem Zerfall?

Das Risiko besteht, aber ich halte es noch für ein geringes Risiko. Aber was die Regierung betrifft, wir sehen, dass das gerade jetzt passiert. Diese Regierung muss abtreten. Es ist nicht so, dass diese Regierung und dieser Premier nur unpopulär wären. Sie haben regelrecht Minus-Ratings. Und das nicht, weil sie unpopuläre Reformen umgesetzt haben, sondern weil sie gar nichts gemacht haben. Die Ukraine ist heute in einer sehr schwierigen Lage. Die vergangenen zwei Jahre, die an sich eine Chance waren, die haben wir verloren.

Kritiker sagen, da schlägt einer jetzt Reformen vor und spricht sich gegen Korruption aus, der sehr lange einem Präsidenten nahegestanden hat, der sich als extrem korrupt erwiesen hat.

Ich werde nie leugnen, dass ich Janukowitsch unterstützt habe. Ich habe ihn unterstützt. Als er sein Amt angetreten hat, habe ich daran geglaubt, dass er der Mann ist, der in der Ukraine Reformen umsetzen kann. Und das hat er auch getan, als er 2010 sein Amt angetreten hat. Als er aber diverse Verfassungsänderungen umgesetzt und mehr und mehr Macht in der Präsidialverwaltung zusammengezogen hat, haben die Probleme begonnen.

Nichtsdestotrotz haben Sie ein großes Vermögen gemacht unter Präsident Janukowitsch.

Das war nicht nur unter Janukowitsch. Ich habe seit vielen vielen Jahren sehr erfolgreiche Unternehmen. Und ich kann sagen, dass ich von all den erfolgreichen Unternehmern in der Ukraine der einzige bin, der sein Geld außerhalb der Ukraine gemacht und es dann erst in der Ukraine investiert hat. Wieso? Für meine Manager ist die Ukraine ein Risiko, für mich ist die Ukraine mein Leben. Ich habe immer geplant und plane noch immer, eines Tages in mein Dorf zurückzukehren und dort zu leben. Also zu sagen, dass ich unter Janukowitsch viel Geld gemacht habe, stimmt so nicht. Und außerdem: Ich habe nicht an den Privatisierungen in der Ukraine teilgenommen, meine Anteile habe ich danach aus zweiter oder dritter Hand gekauft. Ich kann also sagen, dass ich nicht von Privatisierungen profitiert habe.

Dmytro Firtasch (50) entspricht nicht dem klassischen Bild des osteuropäischen Großmoguls. Während andere in den späten 80ern und den 90ern Milliarden an der Privatisierung staatlicher Betriebe verdienten, stand er lange bestens vernetzt in der zweiten Reihe – ohne dabei leer auszugehen. Im Tauschhandel (Lebensmittel gegen industrielle Güter, später Gas und Öl), vor allem mit Turkmenistan, machte er Unsummen, investierte und baute ein Imperium auf, das bei seiner größten Ausdehnung unter Ex-Präsident Janukowitsch vor allem aus chemischen Betrieben, Medienunternehmen (TV-Sender Inter) und einer Bank bestand.

Haupteinnahmequelle blieb aber der Handel mit Gas. Vor allem in diesem Zusammenhang wird ihm nächste Nähe zu den obersten Spitzen der russischen als auch ukrainischen Unterwelt nachgesagt – ein Vorwurf, den er freilich wiederholt zurückwies.

"Die USA scheitern auch in der Ukraine"
Dmitry Firtash (R) and then Ukrainian President Viktor Yanukovich take part in an opening ceremony of a new complex for the production of sulfuric acid in the Crimea region in this April 27, 2012 file photo. To match Special Report RUSSIA-CAPITALISM/GAS REUTERS/Mykhailo Markiv/Files (UKRAINE - Tags: BUSINESS ENERGY POLITICS)
Einer breiteren Öffentlichkeit bekannt wurde Firtasch im Zuge des ukrainisch-russischen Gasstreits 2005/2006, als der Gas-Zwischenhändler RosUkrEnergo, an dem Firtasch damals breit beteiligt war, einen fünfjährigen Vertrag als Zwischenhändler erhielt. Der Deal zerbrach im Streit mit der damaligen Premierministerin Julia Timoschenko (langjährige Konkurrentin Firtaschs im Gasgeschäft). Lauter wurde es um Firtasch erneut während der Präsidentschaft Janukowitschs (2010 bis ’14). Firtasch wurde in dieser Zeit nachgesagt, zum engsten Zirkel um Janukowitsch zu gehören. Seit 2011 ist er Präsident der Arbeitgebervereinigung. Am 13. März 2014 wurde Firtasch auf Basis eines FBI-Haftbefehls in Wien verhaftet. Eine Kaution von 125 Mio. Euro wurde festgelegt – die höchste in Österreichs Justiz-Geschichte. In einem darauffolgenden Gerichtsverfahren ging es um die Auslieferung an die USA, die im April 2015 abgelehnt wurde.

Die Revolution in der Ukraine hatte für Firtasch aber auch wirtschaftlich weitreichende Folgen: Teile seines Imperiums wurden zerschlagen. Darüber, über welches Vermögen er noch verfügt, gibt es unterschiedliche Angaben.

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