„Wenn wir Europa stärken, stärken wir uns selbst“

epa03537125 Austrian Chancellor Werner Faymann (front C) delivers his speech about the future of the European Union during the plenary session in the European Parliament in Strasbourg, France, 15 January 2013. EPA/PATRICK SEEGER
Kanzler Faymann präsentiert sich vor dem EU-Parlament als glühender Europäer. Er fordert ein gemeinsames Management der Schulden in der EU.

Gute Argumente“, „inspirierende Rede“, „starker Auftritt“ aber auch „den Worten müssen Taten folgen“ – das sind einige der Reaktionen der Fraktionschefs auf die Rede von Bundeskanzler Werner Faymann Dienstagnachmittag im Europäischen Parlament (siehe Artikel unten).

Eine gute halbe Stunde spricht der Kanzler. Er steht mitten im Plenum, Präsident Martin Schulz stellt seinen Freund kurz vor und weist vor dem Hintergrund britischer Austrittsgelüste auf den labilen Zustand der EU hin. „Der Dialog zwischen Parlament und Regierungen ist wichtig“, sagt Schulz und gibt Faymann das Wort.

Ohne rhetorische Schnörksel legt er los: Im Visier hat er die Skeptiker, die ständig an der Krisenstrategie der EU herum nörgeln. „Wir haben vieles geschafft. Wenn wir Europa stärken, stärken wir uns selbst.“

Jobs für Jugendliche

Der Rettungsschirm ESM sei nur der Beginn eines europäischen Schuldenmanagements, es müsse künftig gemeinsame Anleihen geben. Europas Wirtschaft könne nicht wachsen, wenn es massive Zinsspekulationen gibt, betont der Kanzler und weist auf die gegenseitige ökonomische Abhängigkeit der Staaten hin. Eine krisenfestere EU brauche einen Schuldentilgungsfonds, ein schlagkräftiges Bankeninsolvenzrecht und eine Einlagensicherung für Kunden.

Faymann streift auch den heiklen Punkt Steuern: Mehr Harmonisierung müsse es geben, Steuerhinterziehern gehöre der Garaus gemacht, die EU müsse hier mehr tun.

Wichtig ist ihm der Kampf gegen die dramatisch steigende Jugendarbeitslosigkeit. „Solange nicht jeder Junge Arbeit oder Ausbildung hat, solange ist die Krise nicht vorbei.“ 8,5 Millionen Jugendliche sind arbeitslos, insgesamt haben 28 Millionen in der EU keinen Job.

Erneut verlangt er die Rabatte der Länder abzuschaffen. Damit könnten eine Million 16- bis 17-Jähriger von der Straße in Jobs geholt werden. Nicht verwendete EU-Gelder sollten in Beschäftigungsprojekte fließen. „Frieden im heutigen Europa sichern heißt, den Jungen eine Perspektive geben.“ Eines Tages sollen die Menschen aus dem reichen Norden und dem ärmeren Süden sagen: In einer schwierigen Zeit waren Solidarität und Nächstenliebe stärker als Egoismus und Gier.“

Faymann bedankte sich für die Hilfe bei der Finanztransaktionssteuer (die Abgabe in elf Staaten wird am 21. Jänner beschlossen).

Kritik übt er an jenen EU-Politikern, deren Krisenstrategie nur eisernes Sparen sei. „Defizite begrenzen ist wichtig, aber Kaputtsparen ist schädlich.“ Budgetdisziplin müsse es in einer Wirtschafts- und Währungsunion natürlich geben.

Mehrmals wird die Rede mit Applaus bedacht, die Grünen freuen sich, dass Faymann die Atomkraft verteufelt und ebenso die „falsche Liberalisierung“, etwa des Wassers, anprangert.

Spontan meldet sich nach der Rede Kommissionspräsident José Manuel Barroso: „Das war ein starkes Statement, ein Versprechen für Europa.“ Er verweist auf die Sozialpartnerschaft für Wachstum, nicht nur in Österreich.

Etwas belastet ist die Atmosphäre durch die Probleme mit Großbritannien. Premier David Cameron war stummer Gast. Ärger gibt es wegen seines Widerstandes gegen das mehrjährige EU-Budget und seines Wunsches für ein Europa à la carte. „Nein“ ist die Antwort in der langen Debatte.

Eines zieht sich wie ein roter Faden durch die Reaktionen auf Werner Faymanns Rede vor dem EU-Parlament – und zwar gleichermaßen als Seitenhieb wie als Lob: Sein Leserbrief an die Kronen Zeitung im Wahl-Sommer 2008, in dem er versprach, neue EU-Verträge einer Volks-abstimmung zu unterziehen – und die im Amt erfolgte Wandlung in Sachen Europa.

„Respekt vor dem Wandel vom Leserbrief-Schreiber zum g’standenen Europäer“ äußert die Grüne Ulrike Lunacek; ÖVP-Mandatar Othmar Karas zeigt sich „froh, dass der Kanzler den Weg vom Leserbrief hin zum pro-europäischen Regierungschef gefunden hat; und auch Parteikollege Hannes Swoboda meint: „Sie haben gezeigt,dass Sie im Amt – quasi learning by doing – zu einem überzeugten Europäer geworden sind.“ Nur FPÖ-Mann Andreas Mölzer sieht keine Entwicklung, sondern „Heuchelei: Entweder war er damals, als er den Krone-Brief geschrieben hat, ein Heuchler oder er ist es heute.“

„Viele Sozi-Ideen“

Hat der Kanzler mit dem Schwerpunkt Soziales und Solidarität in seiner Rede die richtigen, wichtigen Themen angesprochen?

Nein, befindet der Südtiroler Konservative Herbert Dorfmann: „So viele Sozi-Ideen auf einmal wie in dieser Rede habe ich schon eine Zeit lang nicht mehr gehört.“

Ja, sagt ÖVP-Abgeordnete Elisabeth Köstinger zum KURIER: „Viele Inhalte entsprechen dem, was vom EU-Parlament gefordert wird, etwa die Jugendgarantie. Wir erwarten, dass er diese Linie durchzieht und beibehält.“

Zustimmung gab es auch aus dem Ausland, etwa von der deutschen Grünen RebeccaHarms: Alles, was Faymann gesagt habe, spreche dafür, dass er sich im Kreise der Regierungschefs „ganz stark in die Budget-Verhandlungen und auch bei der Agrar-Reform einbringt“.

Von einem „starken Auftritt“ sprach Lunacek: „Seine klaren Worte zum gemeinsames Schuldenmanagement waren erfreulich“, sagt Lunacek zum KURIER. „Das würde ich mir von ihm auch öfters in Österreich wünschen.“

Wie SP-Kollege Swoboda fordert sie Faymann auf, sein Bekenntnis zur Union beim Thema Steuerhinterziehung in Taten umzusetzen: „Österreich schützt noch immer das Bankgeheimnis ausländischer Steuerhinterzieher.“

Unerwartetes Lob gab es vom Ex-Parteikollegen Hans-Peter Martin: „Weiter so, Werner! Mach bitte noch viel mehr!“ BZÖ-Mann Ewald Stadler war weniger angetan: „Die Gesundbeterei zur Finanzkrise – dafür hätten Sie nicht extra nach Straßburg kommen müssen. Das hätten wir selbst auch zustande gebracht.“

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