Faktencheck: Kann Kurz Sozialhilfe für EU-Bürger kürzen?

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Großteil der EU-Staaten müsste grünes Licht geben; Erfolgsaussicht fraglich.

"Zugang zu Sozialleistungen erst nach fünf Jahren in Österreich ermöglichen", ist eine der umstrittensten zentralen Forderungen im Wahlkampfprogramm von ÖVP-Chef Sebastian Kurz. Viele fragen: Geht das überhaupt?

Kurz’ Argumentation ist grundsätzlich einleuchtend: Österreich hat ein sehr hohes Lohnniveau und hohe soziale Transferleistungen im Vergleich zu den osteuropäischen Staaten. Die ÖVP bekenne sich auch zur Personenfreizügigkeit in der EU – jeder EU-Bürger kann in jedem anderen EU-Land arbeiten. "Es darf aber nicht mit dem Recht verwechselt werden, sich das beste Sozialsystem aussuchen zu können", wird Kurz nicht müde zu betonen.

Wesentliche soziale Transferleistungen sind in Österreich die bedarfsorientierte Mindestsicherung, die Familienbeihilfe, das Kindergeld und die Notstandshilfe (die nach Auslaufen des Arbeitslosengeldes in Anspruch genommen werden kann). Die wesentlichen offenen Fragen im Überblick:

Fünf Jahre Wartefrist

Der Plan der ÖVP sieht nun vor, dass erst nach fünf Jahren rechtmäßigen Aufenthalts in einem EU-Mitgliedstaat ein Anspruch auf Sozialleistungen ermöglicht wird.

Einzellösungen

Argumentiert wird weiter, dass die Sozialsysteme in den EU-Staaten sehr unterschiedlich sind, und es möglich sein muss, dass jeder EU-Staat für sich den Zugang zum Sozialsystem für Ausländer regelt.

Ans Lohnniveau anpassen

Bei der Familienbeihilfe steht im Programm, was Kurz schon lange fordert, nämlich eine "Indexierung auf Basis des Lohnniveaus des Wohnsitzes des Kindes. Rumänien habe nur 18,3 Prozent des österreichischen Durchschnitts-Bruttolohnes, Bulgarien gar nur 13,8 Prozent. Entsprechend solle Kindergeld in diese Länder um 86,2 Prozent bzw. 81,7 Prozent gekürzt werden.

In Brüssel hat Österreich argumentiert, dass rund 13.000 arbeitslose Grenzpendler 227 Millionen Euro an Familiensozialleistungen bekommen. Die EU-Kommission schätzt die Kosten auf nur ein Zehntel. Und beim Kindergeld geht man von 250 Millionen Euro Kosten aus, eine Indexierung würde Österreich rund 100 Millionen Euro sparen. Auch hier schätzt die EU-Kommission die Ersparnis auf nur zehn Millionen Euro.

Kurz ist sich bewusst, dass diese Maßnahmen mit geltendem EU-Recht (keine rechtliche Schlechterstellung von EU-Ausländern) nicht in Einklang zu bringen sind. "Da braucht es Druck auf europäischer Ebene", argumentiert er. Als Beispiel wird Großbritannien genannt, den Briten wurde vor dem Brexit in Aussicht gestellt, gewisse Transferleistungen für Ausländer zu beschneiden.

Tatsächlich braucht es dafür eine so genannte Änderung des Sekundärrechts der EU. "Um das Sekundärrecht zu ändern, braucht es eine einfache Mehrheit im EU-Parlament und eine qualifizierte Mehrheit im EU-Rat", erklärt der Europarechts-Experte Walter Obwexer. Es brauche also mindestens 55 Prozent der Mitgliedstaaten (16 von 28), und diese müssen zusammen mindestens 65 Prozent der EU-Bevölkerung ausmachen. "Und das wird sicher schwierig", meint Obwexer, "weil osteuropäische Staaten da kaum zustimmen werden." Zudem würde so eine Regeländerung in der Praxis sehr lange dauern.

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