Pro-kurdische Proteste: Mehr als ein Dutzend Tote

In vielen Städten Europas gehen die Kurden auf die Straße - in der Türkei eskalierten die Proteste.

In ganz Europa gehen die Kurden auf die Straße - in der Türkei ist es dabei zu Ausschreitungen mit Toten gekommen: Mehr als ein Dutzend Menschen sind bei den Protesten, die sich gegen die Tatenlosigkeit Ankaras angesichts der drohenden Eroberung der syrischen Stadt Kobane durch die Terrormiliz IS richten, getötet worden.

Viele weitere Personen wurden laut Medienberichten bei Zusammenstößen zwischen Demonstranten und der Polizei, aber auch mit Islamisten, verletzt. In mehreren türkischen Provinzen sei eine Ausgangssperre verhängt worden. In Ankara habe die Polizei gegen Demonstranten Tränengas und Wasserwerfer eingesetzt.

Landesweiter Protest

Die Demonstranten in zahlreichen mehrheitlich von Kurden bewohnten Städten im Südosten der Türkei werfen Ankara vor, dem drohenden Fall Kobanes tatenlos zuzusehen. Das Parlament hat zwar den Einsatz der Armee in Syrien und dem Irak autorisiert, doch hat die Regierung von Ministerpräsident Ahmet Davutoglu bisher keine militärische Intervention gestartet. Die Kurdenpartei HDP hatte deshalb zu den landesweiten Protesten am Dienstag aufgerufen, tausende Menschen folgten dem Appell.

In der südöstlichen Großstadt Diyarbakir wurden nach Berichten vom Abend fünf Menschen getötet, als es zu Schusswechseln zwischen prokurdischen Aktivisten und Islamisten kam. Mindestens zehn weitere wurden verletzt. Ein Polizeifahrzeug, weitere Autos, Geschäfte und Regierungsgebäude wurden in Brand gesteckt oder anderweitig beschädigt. Mindestens drei Tote wurden aus Mardin gemeldet, zwei in Siirt sowie jeweils einer aus den Städten Batman und Mus.

Ausgangssperren

In den kurdischen Provinzen Diyarbakir, Mardin, Siirt und Van wurde eine Ausgangssperre verhängt. Die Polizei setzte in Istanbul und Ankara Tränengas und Wasserwerfer gegen die Demonstranten ein. Proteste gab es auch in der Küstenstadt Antalya sowie in Mersin und Adana im Süden. Innenminister Efkan Ala forderte die Demonstranten am Abend zum Rückzug auf, sonst drohten "unvorhersehbare Folgen". Der inhaftierte Anführer der verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), Abdullah Öcalan, schrieb indes in einer Botschaft, die Regierung habe bis Mitte Oktober Zeit, um ihre Ernsthaftigkeit bei den Friedensverhandlungen mit der PKK zu zeigen. Die schon länger stockenden Gespräche stehen angesichts des Konflikts um Kobane vor dem Scheitern.

Mehr zur aktuellen Lage in Kobane lesen Sie hier.

Proteste in ganz Europa

Nicht nur in der Türkei, sondern auch in zahlreichen Städten Österreichs, Deutschlands, Frankreichs und Belgiens gab es in den vergangenen zwei Tagen pro-kurdische Proteste. Mehrere Dutzend kurdische Demonstranten drangen am Dienstag in das Europaparlament in Brüssel ein. Nachdem sich mehrere Abgeordnete mit ihnen zu Gesprächen trafen und Parlamentspräsident Martin Schulz einer Delegation seine Unterstützung gegen die Jihadisten zusagte, zogen die Demonstranten wieder ab.

In Dornbirn haben sich laut vol.at am Dienstagabend rund 20 Kurden zu einer Sitz-Demo in der Eingangshalle des ORF Vorarlberg versammelt. Dort hätten sie rund 45 Minuten ausgeharrt, bevor sie das Gebäude wieder verließen. Die Demonstration sei ruhig verlaufen. In Wien, Bregenz, Innsbruck und Graz kamen am Montagabend teils mehrere hundert Menschen zu Kundgebungen zusammen (siehe unten). Die Demonstrationen verliefen überwiegend friedlich.

Ausschreitungen in Hamburg

Bei einer Straßenschlacht wurden in Hamburg mehrere Menschen verletzt. Wie ein Sprecher der Polizei am Mittwoch weiter sagte, haben sich nach einer Demonstration gegen IS etwa 400 Kurden in der Nähe einer Moschee versammelt. Dort stellten sich ihnen am Dienstagabend etwa 400 "radikale Muslime" entgegen. Dabei habe es sich mutmaßlich um Salafisten gehandelt. Zwischen einigen Mitgliedern der beiden Gruppen gab es "gewalttätige körperliche Auseinandersetzungen". Die Polizei habe Wasserwerfer eingesetzt. In Berlin, Bremen, Bonn, Düsseldorf, Hamburg, Hannover, Kiel und Stuttgart kamen am Montagabend und Dienstag teils mehrere hundert Menschen zu Kundgebungen zusammen. Die Demonstrationen verliefen überwiegend friedlich.

Nahe des Präsidentensitzes in Paris versammelten sich rund 200 Kurden zu einem Sitzstreik, bevor am Abend etwa 500 Demonstranten am Außenministerium vorbeizogen. Weitere Protestmärsche mit hunderten Teilnehmern gab es in Marseille, Toulouse und Bordeaux. Dabei gab es in Toulouse Zusammenstöße mit der Polizei, die Tränengas einsetzte. In Marseille wurden vor dem türkischen Konsulat 15 Demonstranten festgenommen.

Kurden-Demo im EU-Parlament

Am Dienstag enterten kurdische Aktivisten auch das EU-Parlament, wie österreichische Abgeordnete auf Twitter dokumentierten – die kurdischen Demonstranten haben die Security des Parlaments überrumpelt und sind in das Gebäude eingedrungen. Die Protestteilnehmer, Männer wie auch Frauen, schwenkten kurdische Fahnen und ließen sich im Gebäude zu einem Sit-in nieder.

Pro-kurdische Proteste: Mehr als ein Dutzend Tote
Während Bereitschaftspolizisten die Demonstranten umstellten, trafen sich mehrere Europaabgeordnete mit ihnen. Parlamentspräsident Martin Schulz zeigte sich schließlich bereit, eine Delegation der Kurden zu empfangen. Schulz habe klar gemacht, dass die Vorgehensweise der Demonstranten "nicht die Beste" sei, hieß es aus Parlamentskreisen. Er habe den Kurden aber "die Unterstützung des Europäischen Parlaments für die internationalen Anstrengungen zugesagt, IS zu stoppen". Zudem werde er ihre Botschaft an die NATO weiterleiten. Die Demonstranten verließen das Gebäude den Angaben zufolge nach dem Treffen mit Schulz friedlich. Grünen-Mandatar Michel Reimon hat mit einer Demonstrantin gesprochen:

Rund 300 Menschen haben am Montagabend in Wien gegen den Vormarsch der Terrormiliz "Islamischer Staat" in der syrisch-kurdischen Stadt Kobane demonstriert. Die Protestveranstaltung verlief "absolut friedlich", sagte Polizei-Pressesprecher Paul Eidenberger am späten Abend. Kurz vor Mitternacht habe sich die Demonstration vor dem Parlament aufgelöst, der Ring sei wieder freigegeben worden.

Gegen 21.00 Uhr hatten sich etwa 300 Personen vor dem Parlament zu einer spontanen Kundgebung versammelt. Bei den Demonstranten habe es sich um Sympathisanten der in der nordsyrischen Grenzstadt Kobane kämpfenden Kurden gehandelt, hieß vonseiten der Pressestelle der Bundespolizeidirektion Wien.

Protest "gegen Untätigkeit des Westens"

Sie protestierten laut Polizei "'gegen die Untätigkeit des Westens'" und die Angriffe des "Islamischen Staats" (IS) gegen Kobane. "STOP ISIS - FREE KOBANE" sei auf Transparenten zu sehen gewesen. Kobane, das auch Ayn al-Arab genannt wird und direkt an der türkischen Grenze liegt, ist seit mehr als zwei Wochen Schauplatz heftiger Kämpfe zwischen der IS-Miliz und den Kurden.

Bilder der Demonstration in Wien:

Pro-kurdische Proteste: Mehr als ein Dutzend Tote

IS - DEMONSTRATION VOR DEM WIENER PARLAMENT
Pro-kurdische Proteste: Mehr als ein Dutzend Tote

IS - DEMONSTRATION VOR DEM WIENER PARLAMENT
Pro-kurdische Proteste: Mehr als ein Dutzend Tote

IS - DEMONSTRATION VOR DEM WIENER PARLAMENT
Pro-kurdische Proteste: Mehr als ein Dutzend Tote

IS - DEMONSTRATION VOR DEM WIENER PARLAMENT
Pro-kurdische Proteste: Mehr als ein Dutzend Tote

IS - DEMONSTRATION VOR DEM WIENER PARLAMENT
Pro-kurdische Proteste: Mehr als ein Dutzend Tote

IS - DEMONSTRATION VOR DEM WIENER PARLAMENT
Pro-kurdische Proteste: Mehr als ein Dutzend Tote

IS - DEMONSTRATION VOR DEM WIENER PARLAMENT
Pro-kurdische Proteste: Mehr als ein Dutzend Tote

IS - DEMONSTRATION VOR DEM WIENER PARLAMENT
Pro-kurdische Proteste: Mehr als ein Dutzend Tote

IS - DEMONSTRATION VOR DEM WIENER PARLAMENT
Pro-kurdische Proteste: Mehr als ein Dutzend Tote

IS - DEMONSTRATION VOR DEM WIENER PARLAMENT

Die Sympathisanten der kurdischen Kämpfer forderten während der Kundgebung laut Polizei eine Aussprache mit Nationalratsabgeordneten. Wie auf bei Twitter veröffentlichten Bildern zu sehen war, kam es in der Folge zu Gesprächen zwischen ihnen und SPÖ-Klubobmann Andreas Schieder sowie der Grünen Nationalratsabgeordneten Berivan Aslan. Über die Gesprächsinhalte wurden zunächst keine Details bekannt.

Den Behörden zufolge sei der Auslöser der Protestveranstaltung in Wien ein "Aufruf auf Twitter" gewesen, "dem auch Kurden in Hamburg, Berlin und anderen europäischen Städten gefolgt sein dürften". Auf Twitter waren Bilder von Demonstrationen in der Schweiz und in den Niederlanden gegen IS und zur Solidarisierung mit Kobane zu sehen. Weiteren Twitter-Einträgen zufolge fanden auch in Paris, London, Bern, Stockholm, Den Haag, Berlin, Ankara und Istanbul Proteste statt.

Parlament in Den Haag erstürmt

Im niederländischen Den Haag erstürmten Berichten zufolge dutzende Kurden das Parlament um gegen IS zu protestieren. Rund 100 Menschen besetzten den Hauptsaal des Gebäudes und hielten Transparente mit Aufschriften wie "Stop Kobani" in die Höhe. "Die Situation in Kobane gerät außer Kontrolle. IS hat die Stadt erstürmt und viele Zivilisten wurden ermordet. Wir wollen, dass der Westen mehr dafür tut, damit diese Situation in Syrien beendet wird", sagte einer der Demonstranten der Nachrichtenagentur Reuters.

Auch in Bregenz, Innsbruck und Graz sind am Montagabend Dutzende Menschen auf die Straßen gegangen, um gegen den Vormarsch des IS in Kobane zu demonstrieren. In Bregenz wurden kurze Zeit vor der Demo die Glastür und zwei Fenster des türkischen Generalkonsulats mit Steinwürfen beschädigt, teilte die Polizei am Dienstag mit.

Rund 50 Menschen beteiligten sich an der Kundgebung in Bregenz, die sich über die Arlbergstraße in Richtung Innenstadt bewegte, informierte die Landespolizeidirektion Vorarlberg. Die unangemeldete Demonstration endete um 02.30 Uhr am Kornmarktplatz. In Innsbruck gingen gegen 23.50 Uhr etwa 70 Personen auf die Straße und blockierten die Grassmayrkreuzung. Diese Kundgebung dauerte 15 Minuten, hieß es von der Landespolizeidirektion Tirol.

Ebenfalls friedlich verlief eine unangemeldete Kurden-Demonstration in Graz, wie ein Sprecher der Landespolizeidirektion Steiermark der APA am Montag in der Früh auf Anfage mitteilte.

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