EU-Parlament für Vertragsverletzungsverfahren gegen Polen

Wie viel verdienen Abgeorndete nebenbei?
Deutscher Außenminister: EU-Fundament darf nicht bröckeln. Karas sieht in Justizreform Kurs in Richtung autoritärer Staat. EU-Kommission verurteilt Drohungen gegen polnische Journalistin.

Fünf Fraktionschefs im Europäischen Parlament haben die EU-Kommission zu einem Vertragsverletzungsverfahren gegen Polen wegen umstrittener neuer Justizreformen aufgefordert. Ungewöhnlich scharf äußerten sich die Vorsitzenden von christdemokratischer Volkspartei, Sozialdemokraten, Liberalen, Grünen und Linken in einem gemeinsamen Brief an EU-Parlamentspräsident Antonio Tajani.

Die polnischen Gesetze seien "nicht kompatibel mit EU-Verträgen und einer Mitgliedschaft", heißt es in dem Brief. Sollten sie in Kraft treten, müsse dies Konsequenzen haben, forderten Manfred Weber (EVP), Gianni Pittella (SPE), Guy Verhofstadt (ALDE), Philippe Lamberts und Ska Keller (beide Grüne) sowie Gabi Zimmer (Linke). Da der Oberste Gerichtshof in Polen die Instanz sei, die die Gültigkeit von Wahlen feststelle, könnten auch freie Wahlen in Polen nicht mehr garantiert werden.

Die fünf appellierten daher an den polnischen Präsidenten Andrzej Duda, das jüngste Gesetz nicht zu unterzeichnen. Duda kommt freilich aus den Reihen der alleinregierenden, nationalkonservativen Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS), die im Europaparlament u.a. mit den britischen Tories zur konservativ-europaskeptischen Fraktion Europäische Konservative und Reformisten (EKR) gehört.

Die PiS-Regierung hatte vergangene Woche mit der Mehrheit der PiS-Partei ein Gesetz durch das Parlament gebracht, mit dem alle Richter des Obersten Gerichts entlassen werden sollen. Der Justizminister soll die Posten neu besetzen. Außerdem soll der Landesrichterrat, der über die Vergabe der regulären Richterposten im Land entscheidet, künftig neu besetzt werden - auch dieses Gremium dürfte damit unter die Kontrolle der mit absoluter Mehrheit regierenden PiS kommen. Die nationalkonservative Regierung hatte bereits mit einer umstrittenen Reform des Verfassungsgerichts Kritik in der EU ausgelöst. Deswegen leitete die EU-Kommission schon vor eineinhalb Jahren ein Rechtsstaatsverfahren ein, das aber bisher ohne Konsequenzen blieb. Am Sonntagabend hatten Tausende in Polen gegen die Regierung demonstriert, der sie die Gleichschaltung des Justizapparates vorwerfen.

"Polen verlässt den Boden der Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und gemeinsamen EU-Werte. Die EU-Kommission muss sofort eine Prüfung einleiten", warnte der Leiter der ÖVP-Delegationschef im EU-Parlament, Othmar Karas (EVP), am Montag in einer Aussendung. Die "Ausschaltung einer unabhängigen Justiz" sei "ein großer Schritt zurück in Richtung eines autoritären Staats".

Auch der Vorsitzende des Europaausschusses des Deutschen Bundestages, Gunther Krichbaum (CDU), und SPD-Fraktionsvize Axel Schäfer mahnten. "Es kann nicht sein, dass ein Land, das nicht einmal mehr die Rechtsstandards für die Aufnahme in die EU erfüllt, noch über EU-Angelegenheiten abstimmen darf", sagte Krichbaum. Schäfer forderte die EU-Kommission auf, ein Vertragsverletzungsverfahren zu eröffnen. Dieses könne letztlich auf einen Entzug des Stimmrechts bei EU-Entscheidungen hinauslaufen. Schäfer wies den Einwand zurück, dass das ebenfalls nationalkonservativ regierte und in Sachen Rechtsstaatlichkeit ebenfalls unter Beschuss stehende Ungarn eine solche Entscheidung am Ende blockieren könnte. "Ungarn ist bisher immer am Ende eingeknickt", sagte der SPD-Politiker zu Reuters. "Wir brauchen eine öffentliche Debatte über die Entwicklung in Polen, weil sie die in der EU geltenden Rechtsstandards untergräbt", sagte er.

Der deutsche Außenminister Sigmar Gabriel sicherte der EU-Kommission im Konflikt mit Polen deutsche Unterstützung zu. "Wir können in der Welt nicht Rechtsstaatlichkeit und Demokratie predigen und unsere eigenen Standards nicht beachten", sagte Gabriel dem Nachrichtenmagazin "Der Spiegel". "Wir alle müssen darauf achten, dass unser eigenes Fundament nicht bröckelt. Dabei hat die EU-Kommission unseren Rückhalt."

Die EU-Kommission verurteilte am Montag Drohungen gegen eine polnische Journalistin. Sie sieht sich wegen einer kritischen Frage laut Medienberichten massiven Drohungen ausgesetzt. "Wir haben diese inakzeptablen Drohungen gegen eine unserer Kolleginnen in diesem Pressesaal gesehen, und ich hoffe, dass dies ein einmaliger Fall war", sagte Kommissionssprecher Margaritis Schinas am Montag.

Die Reporterin Dorota Bawolek vom privaten TV-Sender Polsat hatte am Donnerstag während des täglichen Pressebriefings in Brüssel gefragt, wie die EU-Kommission auf das polnische Vorgehen reagieren werde. Als Bawolek mit der Antwort nicht zufrieden war, hakte sie nach und sagte mit Blick auf Großbritannien und den Brexit: "Sie reden lieber über ein Land, das die EU verlässt, als über ein Land, das Mitglied ist und ebenfalls austreten könnte, wenn Sie auf so etwas nicht reagieren." Nach Medienberichten erhielt Bawolek seither Hunderte beleidigende Mails und Social-Media-Kommentare und sogar Morddrohungen. Wie die Internetseite Euractiv berichtete, wurde sie auch im polnischen Staatsfernsehen TVP verunglimpft. Bawolek selber war am Montag zu keiner Stellungnahme zu erreichen.

Kommentare