Achtung, Freund hört mit

Der US-Abhörskandal überschattet das Treffen der Staats- und Regierungschefs.

EU-Beamte beteuern, dass der Konferenzraum, in dem die Staats- und Regierungschefs tagen und streng vertrauliche Informationen austauschen, abhörsicher ist. „Wir überprüfen das regelmäßig“, erklären IT-Techniker. Schon vor Jahren wurden Wanzen in Büros des Ratsgebäudes „Justus Lipsius“ ent-deckt. Was hier besprochen wird, interessiert die Welt.

Kommissionspräsident José Manuel Barroso beeilte sich festzustellen, dass „sein“ Gebäude sicher sei, er könne angstfrei telefonieren, auch die Leitungen der Kommissare seien geschützt.

Nicht so die Telefone der Regierungschefs. „Merkel ist kein Einzelfall“, sagte der Fraktionschef der Sozialdemokraten, Hannes Swoboda. Seiner Meinung nach seien US-Geheimdienste ein Dauergast in Staatskanzleien. Mehrere Premiers erklärten im Laufe der Debatte, dass sie es für sehr wahrscheinlich halten, abgehört zu werden.

Top-Politiker belauscht

Der mögliche Lauschangriff des NSA-Geheimdienstes auf das Handy der mächtigsten Frau der Welt, der deutschen Kanzlerin Angela Merkel, hat die EU-Granden empört. Abhören von EU-Politikern hat System: Am Beginn dieser Woche enthüllte Le Monde, dass US-Geheimdienste Personen aus Wirtschaft, Politik und Verwaltung in Frankreich ausspionieren. Auch Italien ist betroffen. Und laut dem britischen Guardian, der sich auf den US-Informanten Edward Snowden beruft, haben die USA 35 internationale Top-Politiker überwacht.

Merkel und Frankreichs Präsident François Hollande hatten dazu ein Vieraugengespräch, um eine Strategie gegen das Schnüffeln zu entwickeln. „Ausspähen unter Freunden geht gar nicht. Wir brauchen Vertrauen unter Verbündeten. Das muss wiederhergestellt werden“, so Merkel. Für Schmunzeln sorgte das Kennzeichen der Limousine, mit der die Kanzlerin vorfuhr: B 1-BGI-007.

Erneut wurde der Ruf nach verbessertem Datenschutz laut, in Diskussion ist der Aufbau eines europäischen Spionage-Abwehrsystems. Als Antwort auf die skandalösen US-Machenschaften verlangten EU-Parlamentarier die Aufkündigung jeglichen Informations- und Datenaustausches mit den USA. Beschlossen ist bereits, den Austausch von Bankdaten auf Eis zu legen. So mancher Politiker sieht wegen der Abhöraffäre sogar das Freihandelsabkommen mit der USA in Gefahr, Parlamentspräsident Martin Schulz will die Verhandlungen aussetzen.

Mehr Wettbewerb

Nach langer Spionage-Debatte ging es zu später Stunde dann doch noch um Wirtschafts- und Währungsfragen: Merkel ließ nicht locker, ihre Reformpläne für mehr Kontrolle zu deponieren. Die deutsche Kanzlerin will vor allem Schuldenländer an die Kandare nehmen. Notfalls sollen sie vertraglich gezwungen werden, Reformen im Beschäftigungs- und Sozialbereich vorzunehmen, um dadurch wett-bewerbsfähiger zu werden.

Kanzler Faymann sprach sich dagegen aus. „Als Nettozahler lassen wir uns zu nichts zwingen.“ Außerdem müsste jeder Vertrag vom Nationalrat angenommen werden. Faymanns Anliegen ist der Kampf gegen die Jugendarbeitslosigkeit. Als vereinbart wurde, dass die Jugendbeschäftigungsgarantie ab 2014 in allen Krisenländern umgesetzt werde und es dafür für die nächsten Jahre 8 Mrd. Euro gebe, war Faymann zufrieden.

Die Abhöraffäre dominiert den Herbstgipfel, der ohnehin schon ein dichtes Programm hatte – auch wenn Entscheidungen über zukünftige Reformen der EU erst im Dezember fallen.

Am Freitag wollen sich die Staats- und Regierungschefs mit der europäischen Flüchtlingspolitik befassen. Auch die Bürgermeisterin von Lampedusa, Gusi Nicolini, wurde zur Debatte eingeladen. Eine Neuausrichtung ist aber trotz des Flüchtlingsdramas vor der italienischen Küste mit mehr als 400 Toten Anfang Oktober nicht zu erwarten. Die EU-Innenminister haben sich nach der Schiffstragödie schon auf eine noch bessere gemeinsame Überwachung des Mittelmeerraums geeinigt – dies solle auch helfen, Flüchtlingsboote früher zu entdecken, bevor sie in Gefahr geraten. Menschenrechtsorganisationen sehen darin aber eine noch bessere Abwehr von Flüchtlingen. Abgeblitzt sind auch die Anliegen der griechischen, italienischen und maltesischen Regierungschefs nach einer Quote für die Aufnahme von Flüchtlingen.

Annäherung an Kiew

Ein heikles außenpolitisches Thema steht ebenfalls heute, Freitag, am Programm: Die „Östliche Partnerschaft“ der EU. Bei einem Gipfel Ende November in Vilnius sollen Assoziierungsabkommen mit Georgien, Moldau und der Ukraine abgeschlossen werden. Die EU-Annäherung Kiews steht und fällt mit dem weiteren Umgang der ukrainischen Regierung mit der inhaftierten Oppositionsführerin Julia Timoschenko. Die EU-Außenminister tüfteln derzeit an Plänen, wie Timoschenko vor der Vertragsunterzeichnung in Vilnius ausreisen könne.

Abgesehen von der NSA-Affäre wurde Donnerstagnacht das schwierige Vorhaben Bankenunion diskutiert. Bis Jahresende soll es einen Kompromiss zu einem gemeinsamen System zur Sanierung bzw. Abwicklung von Pleitebanken geben. Hier sind noch viele Fragen offen, unter anderem jene, wer bei der Schließung von Instituten das letzte Wort haben soll – die Kommission oder nationale Behörden?

Kommentare