EU-Beitritt: Balkan-Versöhungsfest in Zagreb

In der Nacht zum 1. Juli wurde Kroatien 28. Mitglied der EU. Das stärkt die gesamte Region.

Die kroatische Hauptstadt ist fein herausgeputzt: Blumen, Europafahnen überall. Die Innenstadt ist gesperrt. „Einmal kein Verkehr“, freut sich der ältere City-Bewohner. Er nippt an seiner Kava in einer kleinen Bar und blättert durch dicke Zeitungsbeilagen über den EU-Beitritt. „Jetzt sind auch wir Europa, das gehört zelebriert.“ Eine Auszeichnung sei die Anwesenheit so vieler europäischer Politiker, sagt der Geschäftsmann ganz stolz. Mladen, ein Student, mischt sich ein. Er erwartet Hilfe von der EU und einen Job in Brüssel.

Am Jelačić-Platz geht die Post ab. Pop-Gruppen, Chöre, Klassik - für jeden Geschmack ist gesorgt. Ansprachen, ein riesiges Feuerwerk, Beethovens Europa-Hymne Ode an die Freude, nichts fehlt, wenn um Mitternacht Kroatien das 28. Mitglied der EU wird.

Ganz Zagreb ist auf den Beinen. Alle wollen die hohen Gäste sehen: 13 EU-Regierungschefs, 15 Staatspräsidenten, etliche Außenminister, die gesamte EU-Spitze ist in Zagreb. Aus Österreich nehmen Bundeskanzler Werner Faymann und vom Außenministerium Generalsekretär Johannes Kyrle teil. Er wird heute, Montag, die Alois-Mock-Bibliothek an der Universität Zadar eröffnen.

Faymann stimmt sich mit Kroatiens Premier Zoran Milanović über das gemeinsame Vorgehen am Mittwoch bei der Konferenz über Jugendarbeitslosigkeit in Berlin ab. Beide wollen mehr Geld für die Ausbildungsgarantie arbeitsloser Jugendlicher in Krisenländern und für wachstumsfördernde Maßnahmen. „Sechs Milliarden sind eine Starthilfe, wir brauchen mehr“, sagt Faymann. In Zagreb wird eine Allianz für eine aktive EU-Beschäftigungspolitik geschmiedet. Milanović nennt Wohlstand und soziale Sicherheit in Österreich als Vorbild.

Dass Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel kurzfristig abgesagt hat, ist kein Thema. „Deutschland schimpft eh nur über uns“, bemerkt die junge Frau, die zu den Klängen des Cellisten-Duo „2Cellos“ tanzt.

Kommissionspräsident José Manuel Barroso und Parlamentspräsident Martin Schulz loben die Reformanstrengungen Kroatiens. Der Motivationsschub tut gut, die Gesichter der kroatischen Regierungsmitglieder strahlen. Mit Hilfe der EU soll das Land wirtschaftlich aufholen, zwölf Milliarden Euro hat die EU bis 2020 für Kroatien reserviert.

Das Polit-Spektakel in Zagreb ist nicht nur ein Welcome-Fest, es ist mehr: Eine regionale Versöhnungs- und Friedensfeier zwischen ehemaligen Kriegsgegnern und Erzfeinden. „Das ist ein Schritt Richtung EU für alle“, sagt ein hoher EU-Diplomat. Mit großer Delegation reisten die Serben an, das Kosovo ist mit der Staatspräsidentin vertreten. Premiers und Außenminister von Mazedonien, Montenegro, Bosnien-Herzegowina, Albanien kamen, um Kroatien in die EU zu begleiten. An der Grenze zu Slowenien wurde in der Nacht symbolhaft das „Zoll“-Schild abmontiert, zeitgleich an kroatischen-serbischen Übergängen Tafeln mit der Aufschrift EU aufgestellt. Ein serbischer Gast: „Es ist eine Party für den ganzen Balkan.“

EU-Beitritt: Balkan-Versöhungsfest in Zagreb

People walk by star designs on the side of a build
EU-Beitritt: Balkan-Versöhungsfest in Zagreb

CROATIA EU ACCESSION
EU-Beitritt: Balkan-Versöhungsfest in Zagreb

CROATIA EU ACCESSION
EU-Beitritt: Balkan-Versöhungsfest in Zagreb

CROATIA EU ACCESSION
EU-Beitritt: Balkan-Versöhungsfest in Zagreb

People observe fireworks during celebration of Cro
EU-Beitritt: Balkan-Versöhungsfest in Zagreb

Croatian custom officer Vranic poses with his Slov
EU-Beitritt: Balkan-Versöhungsfest in Zagreb

Traditionally dressed Croatian dancers celebrate a

Ruhestörung. Sie kommen. Jeden Abend kommen sie. In der Marina und in den Buchten rund um das alte Fischerdorf Maslinica, am westlichen Ende der Insel Solta, werfen sie ihre Anker. „Jeden Sommer werden es mehr“, klagt Boro, der Maler, der etwas außerhalb wohnt und die allabendlichen Regatta aus sicherer Distanz beobachtet.


Die, das sind die Segler, die auf ihren Booten neben der kroatischen Fahne Länder-Flaggen aus halb Europa gehisst haben und die in der Marina in Maslinica viel Geld ablegen. Eine gut betuchte Klientele, die viele Häfen des Landes seit Jahren bevölkert. So, als wäre Kroatien schon ewig bei der EU.Apropos. Am Sonntagabend haben die Reichen und Schönen im künstlich angelegten und ebenso wirkenden Amphitheater der Marina sich und den EU-Beitritt Kroatiens gefeiert.

Boro, der lange in Frankfurt gelebt hat, ehe er sich auf die Insel seiner Kindheit zurückgezogen hat, blieb der eleganten „EU Celebration Party“ fern. Auch deshalb, weil er sich – so wie die Mehrheit der Insulaner – all die bunten Aperols und das neuzeitliche Fingerfood-Getue nicht leisten kann.

EU-Beitritt: Balkan-Versöhungsfest in Zagreb
Marina in Maslinica /Insel Solta

Leise Kritik

Die Einheimischen nahmen auch gestern Abend lieber auf den Bänken vor ihren alten, geduckten Häusern Platz. Nicht zuletzt deshalb, weil für deren Benützung (noch) kein Geld zu entrichten ist. Seit Tagen kreisen ihre Gespräche auch um die Europäische Union.

Die Union der Segler könne ihm gestohlen bleiben, gab ein älterer Fischer dem Maler Boro recht. „In unserem kleinen Hafen liegen heute schon mehr Yachten als Fischerboote.“ Auch hätten all die fremden Segler der Insel mehr Müll als Devisen gebracht. Und der „Schwabo“, so nennen sie hier den deutschen Investor, habe mit seinem Geld die Marina viel zu großkotzig gebaut.

Ende der Ruhe?

Er hat auch Arbeitsplätze geschaffen, und Steuern zahle er auch, warf Mira, die sich seit Jahren ehrenamtlich um die Verschönerung der Insel bemüht, ein. Boro widersprach nicht, er blieb jedoch dabei: „Es ist nicht mehr, wie es in meiner Kindheit war.“

Die Insel Solta gilt – trotz ihrer Nähe zur dalmatinischen Hafenstadt Split – noch immer als eine der letzten Ruheoasen in der kroatischen Adria. Wird die Europäische Union helfen, das Idyll zu schützen? Oder werden auch hier fremde Investoren am Bau von Bettenburgen kräftig mitverdienen?

Die Antwort stand zu Redaktionsschluss dieser Ausgabe noch nicht fest, und wird wohl auch noch ein paar Saisonen auf sich warten lassen. Der Maler Boro sah gestern Abend der untergehenden Sonne lange zu. Er wirkte dabei nicht euphorisch.

Was musste sich der Adriastaat in den vergangenen Tagen nicht für Schlagzeilen gefallen lassen: „Das neue Problemland in der EU“; „Ein Sanierungsfall“; „Ein Fass ohne Boden“. Natürlich ist Kroatien nicht perfekt, die Herausforderungen als Neo-Mitglied sind enorm.

Vielleicht sollten EU-Familienmitglieder, allen voran Deutschland, nicht nur Mahnungen aussprechen (Angela Merkel: „Kroatien ist aufgefordert, weitere Reformen zu machen“), sondern einmal die Frage stellen, was bringt Kroatien der EU? Und wie bereichert es die EU?

Kroatien bringt viel in die EU ein: In der schwersten Wirtschafts- und Identitätskrise der EU schließt sich ein neues Land dem Klub an. Die EU-Begeisterung vieler Kroaten ist bei so viel Europa-Tristesse ein nicht zu unterschätzender psychologischer Faktor.

Kroatien hat nach einem Bürgerkrieg und einer politisch-autoritären Zeit (Tudjman-Regime) Hass und Nationalismus hoffentlich ganz überwunden und fördert seine Minderheiten im Land. Kroatien ist ein Vorbild für die anderen Balkanländer im Warteraum der EU.

Die Mitgift an die EU kommt von Ministerpräsident Zoran Milanović: „Wir peilen das Modell Skandinavien an“, sagte er im Interview mit Le Monde. Skandinavien, das steht in der EU für Null-Korruption. Und was Milanović sicher nicht unüberlegt in einer angesehenen französischen Tageszeitung geäußert hat, ist ein politisches Feuerwerk: Kroatien räumt mit Vetternwirtschaft, Schwarzgeld-Praktiken, Korruption und investitionsfeindlichen bürokratischen Hindernissen auf.

Keine Toleranz für Korruption – an dieser Botschaft werden Kroatien und die Regierung gemessen.

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