Einigung auf umfassendes Klimapaket

CO2-Ausstoß soll um 40 Prozent sinken. Bundeskanzler Faymann zufrieden, aber nicht euphorisch.

Der EU-Gipfel in Brüssel hat sich auf ein umfassendes Klima- und Energiepaket mit konkreten Zielen bis 2030 geeinigt. Das teilte EU-Gipfelchef Herman Van Rompuy Donnerstagnacht nach stundenlangen Verhandlungen mit. Zentraler Punkt: Der Ausstoß des Treibhausgases Kohlendioxid (CO2) soll im Vergleich zu 1990 um mindestens 40 Prozent sinken.

Damit verdoppele Europa seine Anstrengungen, betonte der scheidende EU-Kommissionspräsident Jose Manuel Barroso. Der Anteil der erneuerbaren Energien aus Wind oder Sonne soll auf mindestens 27 Prozent steigen. Auf Druck Großbritanniens und Polens schwächte der Gipfel allerdings die Zielmarke für das Energiesparen ab. Nun werden mindestens 27 Prozent statt der bisher geplanten 30 Prozent angestrebt.

"Mit dem Kompromiss wird Europa ein entscheidender Spieler", Merkel

Einigung auf umfassendes Klimapaket
epa04460682 German Federal Chancellor Angela Merkel during a press conference after the first day of the Heads of states meeting at the EU council headquarters, in Brussels, Belgium, 23 October 2014. EU leaders agreed to a a 40-percent cut in carbon dioxide emissions, based on 1990 levels by 2030. EPA/JULIEN WARNAND
"Es war nicht einfach, überhaupt nicht - aber wir haben es geschafft, zu einer fairen Entscheidung zu kommen", sagte Van Rompuy nach den Gipfel-Beratungen. Klimaschutz sei ein Schlüsselthema, letztendlich gehe es ums Überleben. Deutschlands Bundeskanzlerin Angela Merkel betonte: "Mit dem Kompromiss wird Europa ein entscheidender Spieler."

"Es ist sicher nicht alles erreicht worden - das braucht niemand erzählen", Faymann

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epa04459814 Chancellor of Austria Werner Faymann arrives for the EU Summit at the EU Council headquaters in Brussels, Belgium, 23 October 2014. EU leaders were meeting to debate a new set of climate targets for 2030 as pressure builds for them to set a benchmark for international climate talks next year. The leaders will also discuss the Ebola outbreak in West Africa and the crisis in Ukraine. EPA/STEPHANIE LECOCQ
BundeskanzlerWerner Faymannzeigte sich zufrieden, wenn auch nicht euphorisch über die erzielten Kompromisse: "Es ist sicher nicht alles erreicht worden - das braucht niemand erzählen. Aber wir haben etwas zustande gebracht." Es sei gelungen, in wirtschaftlich schwierigen Zeiten einen Kompromiss zu schaffen, der auch Rücksicht auf die Industrie nehme. Österreich müsse vor allem im Bereich Verkehr Verbesserungen erzielen, wobei Faymann eine Erhöhung der Lkw-Maut als Beispiel nannte.

Blick auf Weltklimagipfel 2015

Einigung auf umfassendes Klimapaket
French President Francois Hollande (4thL bottom row) poses with European left-wing leaders before a meeting at the Elysee Palace in Paris, October 23, 2014 ahead of an EU summit in Brussels. Top L-R : Italian Secretary of State for European Affairs Sandro Gozi, French Secretary of State for European Affairs Harlem Desir, European Commission vice president Frans Timmermans, Dutch Labour Party leader Diederik Samsom, Progressive Alliance of EU Socialists and Democrats president Gianni Pittella. Bottom L-R : Dutch Foreign Minister Bert Koenders, European Parliament president Martin Schulz, Austrian Chancellor Werner Faymann, French President Francois Hollande, French Foreign Minister Laurent Fabius, Danish Prime Minister Helle Thorning-Schmidt, Czech Prime Minister Bohuslav Sobotka, Luxembourg Foreign Minister Jean Asselborn and EU foreign policy chief Federica Mogherini. REUTERS/Eric Feferberg/Pool (FRANCE - Tags: POLITICS)
Die nun erreichte Klima-Einigung galt als Voraussetzung für einen Erfolg des Weltklimagipfels Ende 2015 in Paris. "Europa geht in die internationale Führungsrolle", sagte Barroso. In den zähen Verhandlungen trat allerdings vor allem Polen auf die Bremse. Es fürchtete erhebliche Mehrkosten wegen der neuen Energieziele. Die neue polnische Regierungschefin Ewa Kopacz wurde deshalb zunächst von Merkel, Van Rompuy und Frankreichs Staatspräsident Francois Hollande in kleiner Runde empfangen, um die Kompromisslinien auszuloten.

Beim Treffen Merkels mit Kopacz habe es im Klimastreit eine Annäherung beim geplanten neuen Topf zugunsten ärmerer Mitgliedstaaten gegeben, berichtete die polnische Nachrichtenagentur PAP. Der neue Topf soll sich nach Diplomatenangaben aus Einnahmen des Handels mit Verschmutzungsrechten speisen und für die Modernisierung beispielsweise von veralteten Kraftwerken eingesetzt werden. Auch solle Warschau zugestanden werden, über das Jahr 2020 hinaus im Rahmen des europäischen Emissionshandelssystems kostenlose Verschmutzungsrechte zu erhalten.

Ebola-Koordinator ernannt

Neben den Klimazielen stand auch noch die in Westafrika grassierende Ebola-Epidemie am Programm der Staats- und Regierungschefs. So ernannte der Gipfel den künftigen zypriotischen EU-Kommissar für humanitäre Hilfe und Krisenmanagement, Christos Stylianides, zum Ebola-Koordinator europäischer Hilfen. Und schließlich bestätigte der Gipfel formal die neue EU-Kommission unter Jean-Claude Juncker, die am Mittwoch vom EU-Parlament die Zustimmung erhielt und die nun am 1. November ihre Arbeit aufnehmen wird.

Alle drei vom EU-Gipfel festgezurrten Klimaziele "sind ambitioniert und werden uns fordern", sagte Wirtschaftsminister Reinhold Mitterlehner im Ö1-Morgenjournal. Auch die Kritik der NGOs zeige, dass "hier durchaus auch ein aus meiner Sicht ausgewogener Kompromiss gefunden wurde".

Auch wenn die Anforderungen an die Wirtschaft hoch seien, sei erstmals eine Verbindung mit in Umweltfragen besonders effizienten Unternehmen geschaffen worden, "das heißt ab 2020 werden Unternehmen die besonders umweltorientiert agieren positiv berücksichtigt". Das sei für die Voest und andere große Betriebe ein Erfolg.

Für Umweltminister Andrä Rupprechter ist das vom Gipfel beschlossene Paket ein Kompromiss "den man angesichts des Umfeldes mittragen muss", aber kein Grund zur Euphorie. "Ich hätte mir mehr erwartet", so der Umweltminister in einer Pressemitteilung. Die fehlende Aufteilung des Erneuerbaren-Ziels auf die EU-Mitgliedstaaten fördere die Nuklearenergie. "Dagegen werde ich mit aller Kraft gemeinsam mit der gesamten Bundesregierung auftreten - Stichwort Hinkley Point C", so Rupprechter. Die Einigung an sich beurteilt er positiv.

Faymann: "Gutes Zeichen"

Bundeskanzler Werner Faymann sieht trotz Abstrichen beim das vorliegende Ergebnis als "gutes Zeichen". "Wir sind jedenfalls einen Schritt voraus für die Verhandlungen mit den USA oder China oder den Kontinenten auf dieser Welt, wo dringend etwas gemeinsames zustande zu bringen ist", sagte Faymann Freitag am EU-Gipfel in Brüssel. "Wir Österreicher hätten uns ein bisschen mehr vorstellen können. Aber in einer Diskussion von 28 ist entscheidend, dass ein Ergebnis zustande kommt. Das ist noch nicht offiziell abgestimmt. Aber allein, dass wir zu einem Ergebnis kommen, davon gehe ich aus, ist ein gutes Zeichen." Immerhin "waren die Positionen so weit auseinander wie Nord und Süd", erklärte der Kanzler.

Dies sei auch der Grund, warum es doch Abstriche gab. "Wenn sich zwei treffen, und verschiedener Meinung sind, muss man sich in der Diskussion zusammen streiten. Entscheidend ist, was bleibt über. Und es bleibt ein 40 Prozent-Ziel (für die CO2-Reduktion, Anm.) über, das für viele Länder eine harte Voraussetzung ist, um es überhaupt erreichen zu können. Noch dazu in schwierigen Zeiten. Ich gehe davon aus, dass wir unsere Hausaufgaben in Österreich erledigen können."

EU-Staaten mit einem Pro-Kopf-BIP unter 60 Prozent des EU-Durchschnitts dürfen ihrem Energiesektor deshalb bis 2030 weiterhin Gratiszertifikate für den Emissionshandel gewähren. Als Basisjahr für das BIP hat der Gipfel das Jahr 2013 beschlossen. Unter 60 Prozent lagen im Vorjahr laut Eurostat nur Bulgarien und Rumänien.

Für diese beiden Länder mit einem Pro-Kopf-BIP unter 60 Prozent des EU-Durchschnitts wird weiters eine neue Reserve von 2 Prozent der Emissionshandelszertifikate geschaffen. Die Zertifikate werden normal versteigert, aber die Erträge aus der Reserve werden zur Verbesserung der Energieeffizienz und zur Modernisierung der Energiesysteme in Bulgarien und Rumänien verwendet. Unter Beteiligung der Europäischen Investitionsbank (EIB) wird ein Fonds für die Projektauswahl eingerichtet.

"Im Interesse von Solidarität, Wachstum und Verbund" werden 10 Prozent der von den EU-Staaten zu versteigernden Emissionshandelszertifikate unter denjenigen Ländern aufgeteilt, deren BIP pro Kopf im Jahr 2013 90 Prozent des EU-Durchschnitts nicht überstieg. Von dieser Regelung profitieren laut Eurostat 15 EU-Staaten - Bulgarien, Tschechien, Estland, Griechenland, Kroatien, Zypern, Lettland, Litauen, Ungarn, Malta, Polen, Portugal, Rumänien, Slowenien und die Slowakei.

Die Zahl der Zertifikate soll nach dem EU-Gipfelbeschluss ab 2021 jährlich um 2,2 statt 1,74 Prozent gekürzt werden. Das System der Gratiszertifikate wird nicht außer Kraft treten. Auch nach 2020 will die EU der Gefahr einer Verlagerung von CO2-Emissionen aufgrund der Klimapolitik vorbeugen, "solange in anderen führenden Wirtschaftsnationen keine vergleichbaren Anstrengungen unternommen werden", heißt es in der Gipfelerklärung.

"Künftige Zuteilungen werden stärker an das sich ändernde Produktionsniveau in verschiedenen Sektoren angepasst werden. Gleichzeitig werden die Innovationsanreize für die Industrie in vollem Umfang beibehalten und der Verwaltungsaufwand wird nicht erhöht. Das Anliegen, erschwingliche Energiepreise zu gewährleisten und Marktlagengewinne zu vermeiden, wird berücksichtigt", heißt es in dem Gipfelbeschluss.

Nach langem Ringen haben sich die 28 EU-Staaten in der Nacht auf Freitag auf neue Klimaschutzziele bis 2030 geeinigt. Im Folgenden die wichtigsten Beschlüsse im Überblick:

KLIMASCHUTZZIELE
Der Ausstoß an Treibhausgasen in der EU soll bis 2030 um mindestens 40 Prozent reduziert werden. Das Ziel ist verbindlich. Um dieses Ziel zu erreichen, werden politische Vorgaben gemacht. So sollen die vom Emissionshandel erfassten Wirtschaftsbereiche wie etwa die Stromerzeugung im Vergleich zu 2005 die Emissionen um 43 Prozent senken. In dem nicht vom Emissionshandel erfassten Bereiche wie Verkehr, private Haushalte oder Landwirtschaft sollen die Einsparungen 30 Prozent betragen. Hier wird die EU den nationalen Staaten - abhängig von ihrem Bruttoinlandsprodukt - jeweils Vorgaben für die Verringerung machen, die von 0 bis minus 40 Prozent reichen. Damit soll auf ärmere EU-Partner Rücksicht genommen werden. Effizienzsteigerungen, die für einen sinkenden Strom- und Energieverbrauch sorgen, sollen mindestens 27 Prozent beitragen.

ERNEUERBARE ENERGIEN
Die EU soll ihre Anteil an Erneuerbaren Energien auf mindestens 27 Prozent im Jahr 2030 steigern. Diese Ziel gilt für die EU insgesamt. Es werden keine verbindlichen nationalen Ziele festgelegt. Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel betonte, dass die EU-Beihilferegeln für die Förderung von Erneuerbaren Energien auch dann erhalten bleiben, wenn nationale Staaten wie Deutschland über die 27 Prozent hinausgehen.

EMISSIONSHANDEL
Die Zahl der Zertifikate soll ab 2021 jährlich um 2,2 statt 1,74 Prozent gekürzt werden. Künftig soll es eine neue Reserve von Verschmutzungsrechten für ärmere Länder geben, die besonders hohe Modernisierungskosten haben. Diese sollen auch mit der Versteigerung dieser Zertifikate bezahlt werden. Diese Emissionsrechte sollen diejenigen EU-Staaten erhalten, die unter 60 Prozent des Durchschnitts-Bruttoinlandsprodukts pro Kopf in der EU liegen. Bisher waren dies 90 Prozent. Die Berechnung des BIP findet auf Grundlage des Basisjahres 2013 statt. Zudem gibt es eine Reserve von künftig 400 Millionen Zertifikaten, deren Versteigerungserlöse für den Ausbau Erneuerbarer Energien verwendet werden sollen. Bei der Verteilung der übrigen Zertifikate sollen wie bisher zehn Prozent an die Staaten gehen, deren BIP unter 90 Prozent des EU-Durchschnitts liegt.

ÜBERPRÜFUNGSKLAUSELN
Die EU behält sich vor, nach dem Abschluss der Weltklimakonferenz in Paris im Dezember 2015 die Beschlüsse neu zu bewerten. Die Ziele sollen dann aber auf keinen Fall gesenkt werden, könnten aber bei weiterreichenden Verpflichtungen außereuropäischer Staaten bei Bedarf erhöht werden.

Der EU-Rat wiederum behält sich zudem vor, sich auch dann wieder des Themas anzunehmen, wenn die EU-Kommission ihre Gesetzgebung bei der Umsetzung der Klimabeschlüsse bereits begonnen hat. Normalerweise sind dann die EU-Fachräte zuständig, die Mehrheitsentscheidungen treffen. Auf Ebene der Staats- und Regierungschefs herrscht dagegen das Prinzip der Einstimmigkeit. De facto sichern sich also die EU-Staaten durch diesen Vorbehalt also ein Vetorecht bei Beschlüssen.

INTERKONNEKTIVITÄT
Die EU-Staaten sollen bis 2030 die Möglichkeit schaffen, Strom im Volumen von 15 Prozent ihres Verbrauchs entweder zu importieren oder zu exportieren. Die sogenannte Interkonnektivität soll dazu beitragen, einen einheitlichen EU-Strommarkt zu schaffen.

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