Ein Rüstungswettlauf wie im Kalten Krieg

USA und Russland bauen Arsenale aus. Eine Welt ohne Nuklearwaffen rückt damit zunehmend in weite Ferne.

"Ich rufe die Alarmstufe Rot für unsere Welt aus", warnte Antonio Guterres zu Neujahr. Als Gründe nannte der UN-Chef den weltweiten Zuwachs an Nationalismus und Fremdenfeindlichkeit – und die atomare Bedrohung, die so hoch sei wie seit dem Kalten Krieg nicht mehr. Ende Jänner stellten führende Atomwissenschaftler die bekannte "Weltuntergangsuhr", die jährlich das aktuelle Risiko einer Atomkatastrophe vor Augen führen soll, auf zwei Minuten vor zwölf. Diese Warnstufe gab es schon einmal: 1953, in einer Hochphase des Kalten Krieges.

Zwischen 1947 und 1989 waren sich das westliche Verteidigungsbündnis NATO unter US-Führung und der Warschauer Pakt unter der Führung der Sowjetunion unversöhnlich gegenüber gestanden. Massive Aufrüstung auf beiden Seiten sorgte für ein "Gleichgewicht des Schreckens", der Besitz möglichst vieler Atomwaffen sollte davor schützen, selbst angegriffen zu werden.

Diese Argumentation wird auch heute bemüht, sowohl von Nordkorea als auch von Russland und den USA. Anfang Februar stellte das Pentagon eine neue Nukleardoktrin vor. Das US-Atomarsenal werde in den kommenden Jahren modernisiert, heißt es darin.

"Kleine" Sprengsätze (in ihrer Sprengkraft mit der Hiroshima-Bombe vergleichbar) würden dann flexiblere Reaktionen auch auf konventionelle Angriffe ermöglichen. Die Doktrin wurde ausdrücklich als Abschreckung gegenüber Russland bezeichnet.

Experten zweifeln

Moskau ließ mit der Antwort nicht lange auf sich warten. Am Donnerstag berichtete Staatschef Wladimir Putin über drei neue Waffensysteme, die bereits einsatzfähig seien: eine nuklear bestückbare Langstreckenrakete, die über den Südpol bis Amerika fliegen und dessen Radarsysteme umgehen könne; Unterwasser-Torpedos mit Nuklearsprengköpfen sowie Überschallraketen. Noch in der Entwicklungsphase sei ein Marschflugkörper, der von einem Minireaktor angetrieben werde, unbegrenzte Reichweite habe und alle existierenden Abwehrsysteme austricksen könne.

Westliche Experten wie Oliver Meier von der deutschen "Stiftung Wissenschaft und Politik" können derzeit nicht einschätzen, ob diese futuristisch anmutenden Marschflugkörper tatsächlich machbar seien. Die USA hätten ein derartiges Waffenprogramm Ende der 1960er-Jahre aufgegeben, weil es ihnen offenbar nicht machbar erschienen war, sagt Meier im KURIER-Gespräch. Er weist zudem darauf hin, dass die Erprobung solcher Raketen mit Mini-Nuklearreaktoren ein enormes Sicherheitsrisiko für Russland darstellen würde.

Es gebe auf jeden Fall "wieder einen nuklearen Rüstungswettlauf", analysiert Meier. Der derzeit zu beobachtende Aktions-Reaktions-Mechanismus sei auch eines der wesentlichen Merkmale des Kalten Krieges gewesen. Man müsse diese Situation als gegeben hinnehmen und könne "nicht mehr so tun, als würden beide Seiten miteinander kooperieren wollen". Wichtig sei es nun, zu verhindern, dass Missverständnisse entstünden, dass kleinere Krisen nicht aus dem Ruder laufen.

Auch wenn USA, Russland und Nordkorea zuletzt die Schlagzeilen beherrschten, bauen dem Stockholmer Konfliktforschungsinstitut SIPRI zufolge alle Atommächte ihre Arsenale aus. Offizielle Atommächte sind auch Großbritannien, Frankreich und China. Darüber hinaus verfügen neben Nordkorea auch Indien, Pakistan und Israel über Nuklearwaffen.

9000 Atomwaffen

Zusammen besaßen die neun Staaten laut SIPRI im Vorjahr mehr als 9000 Atomsprengköpfe. Der größte Teil davon ist den USA und Russland. Noch in den 80ern hatte es weltweit 70.000 Atomwaffen gegeben. Der Rückgang ist Abrüstungsabkommen wie dem "Vertrag über atomwaffenfähige Mittelstreckenraketen" von 1987 zu verdanken – die von USA und Russland mittlerweile in Frage gestellt werden. Ein Verbot von Atomwaffen, wie es vergangenes Jahr von 122 UN-Staaten beschlossen wurde, rückt damit in noch weitere Ferne.

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