Snowden hat Flughafen in Moskau verlassen

Der Whistleblower darf ein Jahr lang in Russland bleiben. Weitere Reisepläne soll er derzeit nicht haben.

Vor einer Woche hatte man noch darüber spekuliert, nun ist es amtlich: Edward Snowden, von den USA gesuchter Whistleblower, wird in Russland bleiben. Nach mehr als einem Monat hat der frühere US-Geheimdienstmitarbeiter die Transitzone des Moskauer Flughafens Scheremetjewo verlassen dürfen. Der 30-Jährige habe ein entsprechendes Dokument der russischen Migrationsbehörde überreicht bekommen, sagte sein Anwalt Anatolij Kutscherena am Donnerstag der Agentur Interfax.

Er hat somit vorläufiges Asyl in Russland erhalten Laut dem Sender Russia Today soll es sich um eine einjährige Aufenthaltserlaubnis handeln. Auch WikiLeaks - die Organisation hatte den IT-Experten über die letzten Wochen in puncto Asyl beraten - hat unterdessen bestätigt, dass Snowden sich nun frei in Russland bewegen könne. Russia Today hat zum Beweis sogar ein Foto der Papiere veröffentlicht:

"Most wanted"

Wohin Snowden nun unterwegs ist, wurde nicht verraten: "Der Aufenthaltsort Snowdens wird niemandem bekannt gegeben - er ist schließlich eine der meistgesuchten Personen der Welt", meinte Kutscherena. "Er wird sich selbst eine Bleibe suchen und sich um sein Wohlergehen kümmern. Ich berate ihn nur als Anwalt."

Angeblich hat Snowden den Flughafen ohne Begleitung verlassen; empfangen wurde er vor dem Gebäude von seiner WikiLeaks-Vertrauten Sarah Harrison. Gegen 15.30 Uhr Moskauer Zeit (13:30 Uhr mitteleuropäischer Zeit) sei er in ein Taxi gestiegen, berichtet Russia Today - der staatliche Fernsehsender Rossija24 hat diesen Moments eingefangen und veröffentlicht:

Vier Wochen im Transitbereich

Snowden hat Flughafen in Moskau verlassen
16. Juli: Nun ist es offiziell: Edward Snowden hat ein Asylgesuch an Russland gestellt. Die Behörden haben das Schreiben erhalten, man wartet auf eine Entscheidung.
Snowden hatte sich, nachdem er aus den USA über Hongkong geflohen war, seit etwa vier Wochen im Transitbereich des Flughafens aufgehalten - den Bereich konnte er wegen fehlender Papiere nicht verlassen. Die USA hatten seinen Reisepass schon zuvor für ungültig erklärt; Washington verlangt nach wie vor seine Auslieferung.

Snowden hatte Informationen über amerikanische und britische Abhörprogramme veröffentlicht und damit einen weltweiten Skandal ausgelöst - zuletzt hatte er offenbart, dass der US-Geheimdienst mit dem Programm XKeyscore uneingeschränkten Zugriff auf alle Daten der Internet-Nutzer habe (siehe unten).

Washington versus Moskau

Wie sich die Gewährung des Asylstatus auf die Beziehungen zwischen Moskau und Washington auswirken wird, ist fraglich - Präsident Putin hatte im Vorfeld schließlich mehrfach betont, Snowden nur dann nicht ausliefern zu wollen, wenn dieser die bilateralen Beziehungen der beiden Staaten nicht durch weiteren Geheimnisverrat gefährde.

Dass dies im konkreten Fall gestern passiert ist, sollte keinerlei Auswirkungen haben, hofft Snowdens Anwalt: Der Whistleblower habe dem Guardian die Dokumente bereits vor geraumer Zeit ausgehändigt - vor seinem Asyl-Ansuchen in Russland. Gegen seinen Willen abgeschoben werden kann Snowden allerdings ohnehin nicht: Laut Russia Today könne er mit jenen Papieren, die ihm zugestanden worden sind, nicht den USA ausgeliefert werden - außer, er willige selbst ein.

Weißes Haus "äußerst enttäuscht"

Das Weiße Haus in Washington hat sich jedenfalls "äußerst enttäuscht" über Russlands Entscheidung gezeigt, dem früheren US-Geheimdienstmitarbeiter Asyl zu gewähren. Es handle sich "nicht um eine positive Entwicklung", sagte der Präsidentschaftssprecher Jay Carney. US-Präsident Barack Obama prüfe die "Nützlichkeit" eines Treffens mit seinem russischen Kollegen Wladimir Putin. Obama will eigentlich im September vor einem G20-Gipfel in Moskau zu bilateralen Gesprächen mit Putin reisen.

Assange: "Schlacht gewonnen, aber Krieg geht weiter"

Die Enthüllungsplattform WikiLeaks, die Snowden auf seiner Flucht vor der US-Justiz unterstützt, hat sich am Donnerstag zu den aktuellen Entwicklungen in einer Erklärung geäußert. Darin werden auch Snowden selbst und Gründer Julian Assange zitiert. Der einstige Hacker sitzt wegen seiner Enthüllungen seit mehr als einem Jahr in der Botschaft Ecuadors in London fest. Die Passagen im Wortlaut:

SNOWDEN: "In den vergangenen acht Wochen haben wir gesehen, dass die Obama-Regierung keinen Respekt zeigt vor internationalem oder nationalem Recht, aber am Ende hat das Recht gesiegt. Ich danke der Russischen Föderation dafür, dass man mir Asyl gewährt im Einklang mit den Gesetzen und internationalen Verpflichtungen."

ASSANGE: "Dies ist ein weiterer Sieg im Kampf gegen Obamas Krieg gegen die Whistleblower. Diese Schlacht ist gewonnen, aber der Krieg geht weiter. Die Vereinigten Staaten können nicht länger die Weltbevölkerung überwachen und ihre digitale Kolonialisierung souveräner Staaten fortsetzen. Die Öffentlichkeit wird das nicht länger tolerieren. Es werden immer neue Whistleblower auftauchen, bis die Regierung sich an ihre eigenen Gesetze und Sprachregeln hält."

Im Skandal um die globale Datenspionage des US-Geheimdienstes NSA bringen neue Enthüllungen die Regierung in Washington weiter unter Druck. Ein am Mittwoch veröffentlichtes Dokument des Informanten Edward Snowden untermauert den Vorwurf, dass die NSA praktisch unbegrenzten Zugriff auf Internetdaten der Menschen weltweit habe. Innenpolitisch versuchte die US-Regierung, mit der Veröffentlichung von Details über die Sammlung amerikanischer Telefondaten die Wogen zu glätten.

Wieder war es die britische Tageszeitung "The Guardian", die die Snowden-Enthüllungen öffentlich machte. Sie stellte eine NSA-Präsentation ins Netz, nach der Mitarbeiter über ein Programm namens "XKeyscore" Zugriff auf gewaltige Datenmengen haben. Dieses Programm setzt auch das deutsche Bundesamt für Verfassungsschutz testweise ein. Dem Dokument von 2008 zufolge können Geheimdienstler in den "enormen Datenbanken" der NSA nach Namen, E-Mail-Adressen, Telefonnummern und Schlagworten suchen. Für die einzelnen Anfragen bräuchten sie keine gesonderte Zustimmung eines Richters oder eines anderen NSA-Mitarbeiters, schreibt der "Guardian".

Beobachtung in Echtzeit möglich

Auch die Beobachtung der Internetaktivität einzelner Menschen in Echtzeit sei mit "XKeyscore" möglich. Unter anderem könne man die IP-Adresse jedes Besuchers einer bestimmten Website erfassen. Inhalte der Kommunikation würden drei bis fünf Tage lang gespeichert, Verbindungsdaten 30 Tage. Innerhalb eines solchen 30-Tage-Zeitraums im Jahr 2012 seien 41 Milliarden Datenpunkte zusammengekommen.

Die drei vertraulichen Dokumente, die die US-Regierung selbst ins Internet stellte, brachten nichts wirklich Neues ans Licht. Die Berichte aus den Jahren 2009 und 2011 legen nur in groben Zügen offen, unter welchen Voraussetzungen die massive Sammlung von Telefondaten stattfindet, die der Computerspezialist Snowden bereits Anfang Juni enthüllt hatte. Beobachter werten die Veröffentlichung als Versuch, dem wachsenden Widerstand im Kongress wie in der Bevölkerung gegen die massive Überwachung etwas entgegenzusetzen.

"Gegenseitige Kontrolle"

Die Verantwortlichen in Washington wehren sich unterdessen gegen die Kritik an XKeyscore. Das Programm sei nur ausgewählten Personen zugänglich und unterliege strengsten "gegenseitigen Kontrollen" gegen Missbrauch, erklärte das Weiße Haus am Mittwoch (Ortszeit). "Der Vorwurf flächendeckender, ungeprüfter Zugriffe auf NSA-Daten ist falsch", versicherte Präsidentensprecher Jay Carney. Auch der Auslandsgeheimdienst NSA widersprach der Behauptung, er sammele "willkürlich und grenzenlos" Informationen, und warnte vor der Gefährdung wichtiger Quellen und Aufklärungsinstrumente durch Medienberichte.

Zeitgleich mit der Veröffentlichung im Netz befasste sich am Mittwoch der Rechtsausschuss des Senats in Washington mit den Papieren. Unter anderem wurden der stellvertretende US-Justizminister James Cole sowie der Vize-Chef der NSA, John Inglis, angehört. Die von der NSA gesammelten Daten enthielten keine Namen, keinen Ort und nicht den Inhalt der Gespräche, versicherte Cole vor dem Ausschuss.

Frust in Deutschland

In Deutschland sorgt die Informationspolitik der US-Regierung weiter für Frust. "Wir sind mit dem, was bisher an Informationen uns zur Verfügung gestellt worden ist, noch nicht zufrieden", sagte Westerwelle der Nachrichtenagentur dpa in Berlin. Der Außenminister machte auch deutlich, dass er mit der baldigen Aufhebung einer seit Jahrzehnten geltenden Vereinbarung mit den USA zur Überwachung von Telekommunikation in Deutschland rechnet. Sie war 1968 mit der Einführung des Gesetzes zur Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses (G-10-Gesetz) geschlossen worden.

Edward Snowden selbst hält sich seit dem 23. Juni im Transitbereich des Moskauer Flughafens Scheremetjewo auf. Auf seiner Flucht vor der US-Justiz bemüht sich der 30 Jahre alte IT-Experte um vorläufiges Asyl in Russland. Unterstützung bekam er am Mittwoch von seinem Vater: "Wenn ich er wäre, würde ich in Russland bleiben", sagte Lon Snowden in einer Sendung des russischen Staatsfernsehens. Er sei stolz auf seinen Sohn. Zudem dankte er Kremlchef Wladimir Putin dafür, seinem Sohn Schutz vor den US-Behörden zu gewähren.

Eine von den USA geforderte Auslieferung Snowdens lehnt Russland kategorisch ab - auch weil es dafür kein Abkommen gebe. Zuletzt hatte US-Justizminister Eric Holder in einem Brief zugesichert, dass Snowden weder Todesstrafe noch Folter befürchten müsse.

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