"Die wollen nur noch in ihre Heimat"

Migranten aus Nigeria gehen in Tripolis an Bord eines Flugzeugs nach Lagos
Chaos, Gewalt, Hoffnungslosigkeit bringen immer mehr Afrikaner dazu, die Heimreise anzutreten.

Sie sind durch die Hölle gegangen – und das gleich mehrfach: Die Sahara durchquert, von libyschen Menschenschmugglern wie Ware gehandelt und verkauft, in illegalen Lagern Tage und Wochen ohne Versorgung verbracht, geschlagen und vergewaltigt, um Lösegeld von den Verwandten daheim zu erpressen: Jene Migranten, die sich im libyschen Tripolis bei den Mitarbeitern der IOM (International Organisation for Migration) anstellen, haben aufgegeben – und nur noch einen Wunsch.

"Die wollen einfach nichts anderes mehr als nach Hause, zurück in ihr Heimatland", erzählt dem KURIER ein IOM-Mitarbeiter in Tripolis. Der junge Libyer, der lieber anonym bleiben möchte, hat die letzten Monate als Helfer in Libyens Flüchtlingslagern verbracht, jenen Lagern, die – zumindest offiziell – unter Kontrolle der Regierung des Landes stehen.

Seuchenausbreitung

Fast zehntausend Menschen sind in den vergangenen Wochen hier neu dazugekommen. Es sind jene Migranten, die Libyens Armee in den Lagern der Menschenschmuggler vorgefunden hat, als man diese gestürmt hat. Vor allem im Westen des Landes, den die Regierung inzwischen weitgehend kontrolliert, seien fast alle dieser illegalen Lager ausgehoben und zerstört worden.

Schreckliche Zustände

Den Zustand, in dem sich die Insassen befanden, zu beschreiben, fällt auch dem libyschen Helfer schwer, so schrecklich muss er sein. Seuchen wie Skabies, einst als die Krätze bekannt, haben sich flächendeckend ausgebreitet. Wie es in diesen Lagern tatsächlich zugegangen ist, wissen nicht einmal die IOM-Helfer, auch sie haben keinen Zugang zu ihnen.

In die von der Regierung kontrollierten Einrichtungen dagegen – die meisten davon in und um Tripolis – liefert man Essen, Decken, aber auch Medikamente. Dort, so erzählt der Libyer, seien zumindest die grundlegendsten Bedürfnisse der Menschen gedeckt: "Sie sind nicht hungrig, und ihnen ist nicht kalt."

Gewalt und Rechtlosigkeit

Ein Eindruck, den die Hilfsorganisation "Ärzte ohne Grenzen" (MSF) nicht teilen will. Die Lager seien komplett überfüllt, erzählt Marcus Bachmann vom Büro in Wien, der regelmäßig Kontakt mit den Mitarbeitern in Libyen hält, die in Internierungslagern in Tripolis und Misrata Flüchtende medizinisch betreuen. "Es herrschen Gewalt und Rechtlosigkeit. Wir erfahren von Vergewaltigungen und allgemein menschenunwürdigen Zuständen." Oft sei es auch kaum möglich festzustellen, ob die Lager tatsächlich unter Kontrolle der Regierung stünden oder doch von einer Miliz kontrolliert würden: "Es gibt in Libyen überall Grauzonen und kaum Schwarz und Weiß."

Doch auch Bachmann weiß, dass immer mehr Migranten in Libyen in ihrer Verzweiflung die Heimkehr als letzten Ausweg aus der Hölle Libyen wählen: "Sie sitzen ja in Libyen in der Falle, es gibt für viele keinen Weg vorwärts mehr, nach Europa über das Mittelmeer."

Viele der Lagerinsassen sind auch von der libyschen Küstenwache auf dem Wasser, beim Versuch nach Europa überzusetzen, gestoppt worden. Sie alle werden umgehend nach Libyen zurückgebracht und in die Lager der Regierung gesteckt. Vor allem Frauen mit kleinen Kindern sei dann endgültig klar, dass es nur den Weg zurück gebe. Noch ist die Anzahl der Heimkehrer gering gegen die Menge an Flüchtlingen im Wüstenstaat. Mehr als eine halbe Million sollen es derzeit sein. Immerhin 15.100 sind in den letzten Monaten aus Libyen heimgekehrt, hauptsächlich in Länder Westafrikas von Nigeria bis Mali.

Bis zu zwei Flieger täglich

Diese Heimkehr wird von IOM praktisch unterstützt und finanziert. Das beginnt mit der Kontaktaufnahme mit der jeweiligen Botschaft, setzt sich fort mit dem Kauf von Flugtickets oder dem Chartern ganzer Maschinen und endet mit dem Empfang der Heimkehrer durch die IOM am Flughafen zuhause.

"Inzwischen fliegen ein bis zwei Maschinen täglich Flüchtlinge in ihre Heimatländer" erzählt der IOM-Helfer über die aktuelle Entwicklung. Es gebe, betont er mehrfach, keinen Zwang – aber der sei auch nicht notwendig. "Diese Menschen haben den Traum von Europa längst aufgegeben, die fragen nur noch verzweifelt, wann sie endlich zurück fliegen können."

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