Die Schlacht ist vorbei - aber wer baut Mossul auf?

Der "Islamische Staat" hat eine herbe Niederlage in der irakischen Stadt Mossul erlitten. Eine ganze Nation feiert. Die Zukunft der Metropole und des Landes ist aber ungewiss.

Als die Sonne über Mossul verschwand, konnte die irakische Metropole endlich durchschnaufen. Die Schlacht ist vorbei, die Hochburg gefallen. Familien jubelten und sangen, drückten die Nationalflagge fest an die Brust. In Bagdad strömten Tausende Menschen auf die Straßen, in der südirakischen Stadt Basra erleuchtete eine Feuerwerk den Himmel. Das ganze Land feierte den Sieg über die Terrormiliz "Islamischer Staat".

Am Montag hatte der irakische Ministerpräsident Haidar al-Abadi die Rückeroberung von Mossul verkündet. Der Kampf gegen die Dschihadisten war nach neuen Monaten offiziell zu Ende. "Mossul ist befreit", sagte der Premier und zelebrierte am Samstag den Sieg mit einer Militärparade.

Die Feierlichkeiten boten eine dringend benötigte Abwechslung für eine Nation, die begann, sich Stück für Stück aufzulösen - schon bevor die IS-Miliz Mossul vor drei Jahren eroberten. Damals zeigte sich der IS-Anführer Abu Bakr al-Bagdadi zum ersten Mal der Öffentlichkeit. In einem Video ist er in der Großen Moschee in Mossul zu sehen. Die Niederlage ist ein schwerer Schlag für die Islamisten, sie vernichtet ihren Traum vom Kalifat. Jetzt kontrollieren sie nur noch wenige Orte im Land.

Aber ein Triumph über den IS hinterlässt auch ein blutiges Chaos. Niemand weiß, wie viele Leben die Schlacht um die Millionenstadt gefordert hat. Mehr als die Hälfte der Bewohner wurden vertrieben. Selbst für Zehntausende Zivilisten, die in Mossul ausharrten, weil die Flucht für sie zu gefährlich gewesen ist, ist die Gefahr noch nicht gebannt. Dschihadisten greifen kleinere Dörfer an und versuchen Gebiete im Süden der Stadt zu erobern.

Die Gefahr geht aber auch von Krankheiten und Landminen aus. Weil Wunden nicht behandelt wurden, sind aus Verletzungen Behinderungen geworden, chronische Krankheiten haben sich verschlimmert. Tote liegen begraben unter Trümmern, die medizinische Versorgung ist instabil. Von psychischen Belastungen gar nicht erst zu sprechen: Vor den Augen der Menschen wurde getötet und gefoltert. Viele verloren ihre Familien, Kinder sind heute Waisen.

Schutt und Asche

Nach drei Jahren Fremdherrschaft ähneln ganze Bezirke einem hässlichen Meer aus zerstörten Gebäuden. Wo eine Straße anfängt und wo sie aufhört, bestimmt nicht mehr die Landkarte, sondern der Zufall.

Wie soll der Wiederaufbau funktionieren? Gibt es genügend Geld? Was ist mit ausländischer Unterstützung? Beispiele zeigen, dass die irakische Regierung das alleine nicht schaffen kann. Ob Menschen, die geflohen sind, wieder in ihre Heimat zurückkehren, ist ungewiss. Viele werden in Notunterkünften leben müssen, oder bei Bekannten, ganz woanders, nur nicht in Mossul. Die Stadt liegt in Schutt und Asche.

Vor die Terrormiliz Mossul 2014 überrannte, galt die Stadt als wichtige Handelsmetropole. Sie war wegen ihrer Ölraffinerien von strategischer Bedeutung und bekannt für Metallarbeiten, die Miniaturmalerei und die Textilproduktion. Der feinfädige und glatte Stoff Musselin ist nach Mossul benannt. Aber die IS-Dschihadisten haben das Wissen und Infrastruktur vieler Unternehmen dazu benutzt, um sogenannte IEDs zu produzieren, improvised explosive devices (dt. unkonventionelle Spreng- und Brandvorrichtung). 2016 bombardierte die internationale Anti-IS-Koalition eine moderne Pharmafabrik,

nachdem man sie mit der Herstellung von chemischen Waffen verbunden hatte.

Um Mossul wieder zum Leben zu erwecken, wird die Wirtschaft entscheidend sein. "Wir benötigen einen Marshall-Plan", sagte Iraks Außenminister Ibrahim al-Jaafari Ende April. Eine Adaption der US-Wiederaufbauhilfe für Westeuropa nach dem Zweiten Weltkrieg wäre im Sinne der Internationalen Gemeinschaft, erklärte der Iraker. "Über hundert Nationalitäten kommen in den Irak, um als Terroristen für den IS zu kämpfen. Wir verteidigen nicht nur unser Land, sondern auch die ganze Welt."

Aber der Wiederaufbau wird teuer. Mossul alleine könnte 100 Milliarden Dollar verschlingen, beziffern Regierungsbeamte. Ist die internationale Gemeinschaft bereit, diese Menge zu investieren? Dass sich Staaten eher zögerlich bei der Vergabe von finanziellen Mitteln verhalten, stammt zum Teil aus ihrer Skepsis gegenüber Bagdads Fähigkeit, das Geld auch ordnungsgemäß zu verteilen. Der Marshall-Plan sah eine umfangreiche Überwachung von Europa vor. Jeder Dollar musste abgesegnet werden und zu Beginn des Kalten Kriegs musste freilich jede Investition im Interesse der USA sein.

Im Irak aber hat der Westen Bedenken, den Wiederaufbau nicht beaufsichtigen zu können.

Nun versucht die Regierung in Bagdad private Investoren ins Land zu locken. Großbritannien unterstützt diese Idee. Genauer gesagt, stellt die nationale Exportkreditagentur dem Irak 12,3 Milliarden US-Dollar für Infrastrukturprojekte zur Verfügung. Mit Auflagen. Denn Privatinvestitionen sind keine Almosen, sondern Starthilfen für Projekte, die am Ende - im besten Fall - Geld ausschütten.

Die Briten wissen aber: Wer Geschäfte in von Kriegen gebeutelten Ländern macht, muss mit einem gewissen Maß an Korruption rechnen. Der Irak bleibt anfällig für Klientelismus. Ohne Bestechungsgelder geht es nicht. Der lange Krieg hat die ohnehin kleinen Eliten noch mächtiger gemacht. Im Korruptionsindex 2016 liegt das Land an 166. Stelle - von 176. Nur noch Bürgerkriegsländer wie Syrien, der Jemen, Somalia oder der Sudan haben schlechtere Werte. Das ist eine unbequeme Wahrheit für den Irak, aber für viele ausländische Investoren Tatsache.

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