Die Angst der Iren vor dem Brexit

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Wenn die Briten die EU verlassen, müssen viele Iren um ihre Exporte fürchten.

Kevin Reilly kündigte vor sechs Jahren seinen Job als Finanzberater und übernahm die familieneigene Pilzfarm im zentral-irischen Athlone. Doch schon bald wird er erneut umsatteln müssen, denn das Unternehmen mit 70 Angestellten steht vor dem Aus. Schuld ist die Brexit-Entscheidung der Briten vor vier Monaten. Seither fiel das britische Pfund im Vergleich zum Euro um ein Fünftel. Das trifft Irlands Pilzfarmen hart. Sie exportieren vier Fünftel ihrer Produktion nach Großbritannien. Der Verfall des Pfund hat die Ware aus Sicht der Briten stark verteuert.

Aus für Pilzfarmen

Fünf von 60 irischen Pilzfarmen mussten den Betrieb einstellen. "Wenn du von einem Farmer hörst, den du kennst, der aufgeben musste, dann trifft dich das. Das ist eine besonders harte Zeit, und viele Arbeitsplätze stehen auf dem Spiel", klagt Reilly.Nicht nur Pilzfarmen sind in der Existenz bedroht. 44 Prozent der irischen Exporte gehen nach Großbritannien. Und das schwache Pfund, das die Exporte einbrechen ließ, könnte nur ein Vorgeschmack auf noch größere Probleme sein. Die britische Premierministerin Theresa May hat angedeutet, dass ihr Land einen "harten Brexit" anstrebe: Um der zügellosen Einwanderung von EU-Bürgern einen Riegel vorzuschieben, könnte Großbritannien den EU-Binnenmarkt verlassen.Steuer-Drohung Darunter würde Irland mehr als jedes andere EU-Land leiden. Geht es in den Verhandlungen hart auf hart, drohen die Briten, ihre Unternehmensteuern von 20 Prozent auf 10 Prozent zu senken. Das würde Firmen aus der EU anlocken und ebenfalls die Iren treffen: Im Moment haben diese mit 12,5 Prozent noch die attraktivste Körperschaftssteuer in ganz Westeuropa.

"Die britische Entscheidung zum Austritt aus der EU ist eine echte Bedrohung für unsere Wirtschaft", sagte Irlands Finanzminister Michael Noonan. Wegen des Brexit wird die irische Wirtschaft 2017 wohl nur um 3,4 statt 3,9 Prozent wachsen.

Grenzfrage

Auch politisch ist der Brexit ein harter Schlag. Weil Großbritannien die EU verlässt, wird es wieder eine innerirische Grenze zwischen der Republik Irland und Nordirland geben. Nach dem Karfreitag-Friedensabkommen von 1998 war die Grenze de facto verschwunden – was maßgeblich zur Aussöhnung zwischen pro-britischen Unionisten und pro-irischen Republikanern nach jahrzehntelangem Bürgerkrieg beitrug." May sagt ,Brexit bedeutet Brexit‘. Aber so weit es uns betrifft, ist der Brexit eine Katastrophe", schimpfte Nordirlands stellvertretender Regierungschef, Martin McGuinness. Die Nordiren hatten wie die Schotten mehrheitlich gegen den Brexit gestimmt. Sie wurden jedoch von Engländern und Walisern überstimmt.

Bei den bevorstehenden heiklen Verhandlungen befindet sich Irland in einer schwierigen Lage. Einerseits hat es ein Interesse, möglichst stark mit Großbritannien verflochten zu bleiben und einen "harten Brexit" zu verhindern. Andererseits muss es mit den 26 verbliebenen EU-Staaten an einem Strang ziehen.

Logische Folge "Irexit"?

Schon werden Rufe laut, Großbritannien aus der EU zu folgen. In den Medien ist vom möglichen "Irexit" (irischer Exit) die Rede. Ökonom David McWilliams weist darauf hin, dass es für Irland wirtschaftlich besser wäre, an das britische Pfund als an den Euro gekoppelt zu sein: "Der Euro war für uns stets eine untaugliche Währung, um nicht zu sagen eine totale Katastrophe. Er hat uns erst einen ungebremsten Aufschwung und dann einen tiefen Absturz gebracht."

Ken Purcell von der regierungskritischen Lobbygruppe "Right2Water" sieht die Zeit für ein Referendum über den EU-Austritt Irlands gekommen: "Europa hat unserer Regierung stets diktiert, wo es lang geht. Das hat uns mehr Ungleichheit und eine desaströse Sparpolitik gebracht. Irland braucht ein neues System – fernab der EU."

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