Deutschland wird Streikland

Vergebliches Warten auf den Zug
Bahngewerkschaft will fünf Prozent mehr Lohn; Sozialberufe sollen auf Lohnniveau der Industrie.

Wer derzeit Bahn fahren muss, ein Kleinkind in der Tagesstätte hat und Geld vom Automaten braucht, hat Pech: Überall ist der Service durch Streiks eingeschränkt oder gar eingestellt. Deutschland erlebt eine Streikphase wie schon länger nicht. Und sie soll nur der Auftakt für noch mehr Arbeitskämpfe sein, kündigen die Gewerkschaften an. Sie wollen den weiteren gesellschaftlichen Umbau zugunsten der Arbeitnehmer, diesmal im Dienstleistungssektor, der überwiegend auf Kosten der Wirtschaft und Steuerzahler geht.

Der bisher längste Streik der nur 3000 in der GDL organisierten Lokführer legt heuer schon zum achten Mal den Schienenverkehr weitgehend lahm, mit viel Ärger für Reisende und bis zu 100 Millionen Euro Schäden pro Tag für die Wirtschaft. Am Donnerstag lehnte GDL-Chef Claus Weselsky erneut die Einsetzung eines Schlichters, wie ihn die Deutsche Bahn fordert und Kanzlerin Merkel befürwortet, ab.

Auch ihm geht es um mehr als fünf Prozent mehr Lohn bei zugleich weniger Arbeitszeit. Weselsky kämpft auch darum, die Berufsgruppe der Zugbegleiter vertreten zu dürfen. Obwohl seine GDL dort nicht die Mehrheit der Belegschaft vertritt, sondern eine andere Gewerkschaft.

Das aber will die Bahn verhindern: Würde die GDL für ihre Mitglieder eigene Tarife erkämpfen, bedeutete das getrennte Tarife im gleichen Betrieb. Das wäre der Zug ins Italien des letzten Jahrhunderts, wo sich Gewerkschaften mit Forderungen und Dauerstreiks überboten, auch um Mitglieder zu keilen. Auch bei der Bahn machen die Gewerkschaften Druck zur Angleichung der Leistungsentlohnung durch überproportionale Anhebung unterer Lohngruppen.

"Nur der Anfang"

Am klarsten vertritt so einen Druck "Verdi"-Chef Frank Bsirske bei der Ankündigung eines unbefristeten Streiks der 240.000 Betreuerinnen öffentlicher "Kitas" (Kindertagesheime). Dazu streiken auch die Beschäftigten vieler anderer Sozialeinrichtungen, die öffentliche Arbeitgeber haben. Der Grüne Bsirske begründete den Streik ganz offen mit Gesellschaftspolitik: "Es kann nicht sein, dass für den gekonnten Umgang mit Maschinen mehr gezahlt wird als für den mit unseren Kindern." Der Kita-Streik sei nur der Anfang für eine generelle Anhebung der Löhne der Sozialberufe auf das Niveau der Industrie.

Die zahlt im Schnitt 20 Prozent höhere Löhne. Zustimmung bekam Bsirske von der linken Opposition und der SPD von ihrem Chef Sigmar Gabriel abwärts. Bei 20 Prozent mehr liegt denn auch die aktuelle Verdi-Forderung für die Sozialberufe.

Die Wirtschaft, deren Beschäftigte auch vom Kita-Streik schwer getroffen sind, ist angesichts des rigiden Streikrechts machtlos. Lohnerhöhungen in Unternehmen und der Bahn würden zumindest Käufer und Kunden belasten, also die Nutznießer. Höhere Kosten für die Sozialberufe bezahlten aber nicht deren Nutznießer sondern alle Steuerzahler, mahnte sie.

Damit profiliert sich die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi weiter. Auch als Kostentreiber im Öffentlichen Dienst: Trotz dessen höherer Arbeitsplatzsicherheit nutzt sie kühl dessen häufige Monopolstellung zum Arbeitskampf auf Kosten betroffener Bürger. Der Großteil der für die sehr empfindlichen Streiks der letzten Jahre geht auf Verdis Konto.

Trotzdem dürfte auch heuer Deutschland mit rund 220 Streiks nur im EU-Mittelfeld liegen: Von 1000 Beschäftigten haben 16 einen Tag gestreikt, in Frankreich sind es im Schnitt 139.

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