Deutsche Koalition: "Ein Weg in die Hölle"

Deutsche Koalition: "Ein Weg in die Hölle"
International wird die Koalitions-Einigung zwischen CDU, CSU und SPD wohlwollend kommentiert. Vor allem aus Osteuropa sind aber auch viele kritische Töne zu hören. Die endgültige Entscheidung über die neue GroKo fällt am 4. März.

"Kanzlerin um jeden Preis - Merkel schenkt der SPD die Regierung", so prangt es heute von der Titelseite der auflagenstärksten deutschen Tageszeitung, der Bild. Schließlich staubte die SPD quasi alle wichtigen Schlüsselressorts (Finanz-, Außen, Arbeit- und Sozialministerium) ab. Nur das Innenministerium ging an die Konservativen - an die CSU nämlich, die das Ressort gleich um ein "Heimatministerium" erweitern will (siehe Grafik unten).

Endgültige Gewissheit erst am 4. März

SPD-intern kann man also von durchaus guten Voraussetzungen für den noch ausstehenden Mitgliederentscheid sprechen. Am 4. März soll das Ergebnis veröffentlicht werden. Wie sich die SPD-Mitglieder entscheiden werden, darüber wird in Deutschland aktuell heftig spekuliert. Nicht weniger als 24.339 Neueintritte gab es in den letzten Wochen, in denen insbesondere die Jusos für ein Ende der Großen Koalition kampagnisierten. Damit liegt die Zukunft von Angela Merkel und der GroKo nun in der Hand von 463.723 Sozialdemokraten.

Deutsche Koalition: "Ein Weg in die Hölle"

Gemischte Reaktionen

International wurde das Koalitionsabkommen durchaus positiv aufgenommen. Der französische Europa-Staatssekretär Jean-Baptiste Lemoyne sagte am Donnerstag in einer ersten offiziellen Reaktion aus Paris: "Wir brauchen solide Partner, die erneut die Initiative ergreifen können."

Das Europa-Kapitel im Koalitionsvertrag zwischen Union und SPD sei die erhoffte "Antwort" auf die Vorschläge von Präsident Emmanuel Macron zur Reform der Europäischen Union, sagte der Politiker der Regierungspartei LREM weiter

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Medial fiel das Urteil gemischt aus. Die Große Koalition sei "von allen Lösungen die am wenigsten schlechte", schrieb die französische Zeitung Dernieres Nouvelles d'Alsace. Weniger verständnisvoll gab man sich bei der tschechischen Lidove noviny. "Entsteht eine Große Koalition nur deshalb, weil sich die politischen Eliten daran gewöhnt haben, dann ist es ein Weg in die Hölle", hieß es dort.

Die gesammelten Pressestimmen im Detail

Times (London)
"Die Koalition könnte möglicherweise nicht vier Jahre bestehen und Angela Merkel wird nicht die dominante europäische Figur sein, die sie in ihren ersten drei Amtszeiten war. Britische Minister, die darauf hoffen, diese Schwäche in den Brexit-Gesprächen auszunutzen, werden wahrscheinlich enttäuscht. Die Dispute, die die Koalitionsgespräche in die Länge gezogen haben, betrafen vor allem die deutsche Innenpolitik, nicht Europa. Martin Schulz wird nachgesagt, eine persönliche Antipathie gegenüber seinem (künftigen) britischen Gegenspieler (Außenminister) Boris Johnson zu haben... Und Merkels Führungsrolle in Europa ist inzwischen an den französischen Präsidenten Emmanuel Macron gegangen."

La Repubblica (Rom)
"Eine pro-europäische Koalition nimmt in Deutschland Gestalt an (...). Die Geburt einer deutschen Regierung, die endlich ohne Argwohn nach Brüssel schaut, ja eher mit Enthusiasmus, und die einen Sozialdemokraten als Finanzminister einsetzt, ist sicher eine gute Nachricht für Europa. Und es ist (...) auch eine gute Nachricht für Italien - oder zumindest für den Teil des Landes, der seine Zukunft in der EU sieht. Aber es wäre naiv zu denken, dass die historische Wende in Berlin uns das Leben leichter macht. Im Gegenteil. (...) Italien ist nun aufgerufen, eine zu lange aufgeschobene Herausforderung anzugehen. Denn bis jetzt hatte das Hinauszögern Italiens, seine Verschuldung abzubauen, das Bankensystem zu sanieren und Wettbewerbsfähigkeit herzustellen im deutschen Misstrauen ein Alibi." "

La Vanguardia (Barcelona)
"Europa hat einen Grund, die neue Große Koalition zu feiern: Sie beendet das deutsche Machtvakuum, das erfolgreich durch den Dynamismus Macrons kompensiert wurde, und gibt der deutschen Wirtschaftspolitik eine neue Fahrtrichtung. Das Finanzressort fällt in die Hände der SPD, wodurch sich die strengen Sparkriterien des konservativen Schäuble zugunsten einer Geldpolitik ändern werden, die die europäischen Staaten, die Probleme haben, begünstigt - und die ja auch von Macron vertreten wird. Die einzige Dissonanz bleibt die Opposition, die in den Händen der euroskeptischen Alternative für Deutschland (AfD) liegt."

El Pais (Madrid)
"Deutschland hat es geschafft, eine Koalitionsregierung zwischen Mitte-Rechts und Mitte-Links zu bilden, mit enormen Schwierigkeiten und 'schmerzhaften Zugeständnissen' (in den Worten von Angela Merkel). Diese wird aber nicht nur die Stabilität und den Wohlstand des Landes garantieren, sondern auch den Weg zu den Reformen ebnen, die die Europäische Union braucht. Die Parteien wissen, dass sie bei den nächsten Wahlen die Rechnung für diese neue Koexistenz von vier Jahren präsentiert bekommen könnten, aber sie haben sich dennoch entschieden, das Beste für ihr Land zu tun."

Dernieres Nouvelles d'Alsace (Straßburg)
"Diese dritte Große Koalition ist von allen Lösungen die am wenigsten schlechte: mit unleugbaren sozialen Fortschritten, die die Unterhändler der SPD erzielt haben, zugunsten der Schwächsten und der Mittelschicht und zur großen Entrüstung der Unternehmer und der kleinen und mittleren Unternehmen, die in diesen Bereichen den Rückzug 'ihrer' konservativen CDU/ CSU nicht verstehen.

Tages-Anzeiger (Zürich)
"Ein Nein (der SPD-Mitglieder zum Koalitionsvertrag) würde aber nicht nur die SPD, sondern die ganze deutsche Politik in große Ungewissheit stürzen. Merkels Ära könnte abrupt enden. Nach einer allfälligen kurzen Minderheitsregierung dürfte es bald zu Neuwahlen kommen. Ob die Kanzlerin sich dann noch einmal an der Spitze ihrer Partei zu behaupten vermöchte, weiß niemand. Wie geschwächt Angela Merkel bereits heute ist, zeigt die Verteilung der wichtigsten Ministerien in ihrem neuen Kabinett: Außer dem Kanzleramt bleiben der CDU nur Brosamen."

Rossijskaja Gaseta (Moskau)
"Und es hat doch geklappt. Der konservative Block aus CDU und CSU, angeführt von Angela Merkel, und die SPD haben den Durchbruch mitgeteilt: Es gibt eine Große Koalition. Natürlich nur, sofern die 440.000 SPD-Mitglieder den Koalitionsvertrag unterstützen. (...) Als eine der außenpolitischen Prioritäten im Koalitionsvertrag wird eine Lösung des Ukraine-Konflikts genannt. Was die EU-Sanktionen gegen Russland angeht, gibt es in dem Text nichts Neues. Deren Aufhebung bleibt mit der Einhaltung des Minsker Abkommens verbunden."

Magyar Idök (Budapest)
"Merkel muss auch beweisen, dass man die fast zwei Millionen Fremden, die man aufgenommen hat, integrieren kann. (...) Man weiß von einer halben Million arbeitsloser Flüchtlinge, aber viele sind nicht registriert. Wir drücken der neuen deutschen Regierung aufrichtig die Daumen, dass sie mit ihnen etwas anzufangen weiß. Nicht wegen Merkel, sondern unseretwegen. Denn viele Hunderttausend frustrierte, desillusionierte, wurzellose Menschen innerhalb der Schengen-Zone: das ist eine echte Zeitbombe."

Lidove noviny (Prag)
"Große Koalitionen werden normalerweise nur geschlossen, damit ein Land eine bestimmte Gefahr abwehren kann, zum Beispiel die Gefahr eines Krieges oder einer drohenden Hyperinflation. Entsteht eine Große Koalition nur deshalb, weil sich die politischen Eliten daran gewöhnt haben, dann ist es ein Weg in die Hölle. Die Menschen werden dann bei nächster Gelegenheit stärker den Protest wählen. Gut bekannt ist das aus Österreich. Mit der dritten Großen Koalition unter Angela Merkel startet Deutschland in eine unsichere Saison."

Gazeta Wyborcza (Warschau)
"Im deutschen Koalitionsvertrag wurden Polen fast 900 Zeichen gewidmet. Das ist sehr viel, aber dieser Abschnitt ist kein Grund zur Freude. Vor allem fällt auf, dass da die Rede ist vom 'Fundament der Partnerschaft' (...) und den 'Grundlagen für den Ausbau der Partnerschaft'. Knapp 30 Jahre nach dem Ende des Kommunismus und fast 13 Jahre nach dem EU-Beitritt Polens sollten wir beim Aufbau der Beziehungen zu unserem westlichen Nachbarn nicht wieder beim Fundament anfangen. (...)

Svenska Dagbladet (Stockholm)
"Den Angaben zufolge bekommen die Sozialdemokraten sowohl das Finanz- als auch das Arbeitsministerium, und Schulz wird Außenminister. Sozialdemokratischer Jackpot. Das größte christdemokratische Element der Vereinbarung scheint eine bescheidene Senkung der Einkommenssteuer zu sein. Das wird teuer. Doch der Preis kann noch höher werden. Mit den Sozialdemokraten in der Regierung wird die 'Alternative für Deutschland' die größte Oppositionspartei. Kein Wunder, dass man unzufrieden ist."

Spiegel"-Journalist über die ungeliebte "GroKo

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