Deutsche gewöhnen sich langsam an mehr Streiks

Im April wurde zum Streik geblasen, gestern war’s so weit: Auch der Post-Paketdienst ist im Ausstand.
Gewerkschaften im öffentlichen Dienst plagen die Bürger mit Streiks und später höheren Kosten.

Das Verteilpostamt im Stadtteil Schmargendorf bedient die Zentrums-näheren Villenviertel im Südwesten Berlins. Auf dessen Hof herrscht normalerweise reges An- und Abfahren der gelben Kastenwagen mit der roten Schrift DHL, der Paket-Tochter der Deutschen Post. Freitagmittag war es ruhiger: Etwa die Hälfte der Wagen stand da, Fahrer hatten Zeit zum Reden und Rauchen. Ob das schon Streik war oder nur Post-Routine, ließ sich von außen nicht sagen: Ein Plakat mit den Forderungen von Verdi nach höheren Löhnen und weniger Arbeitszeit gab es nicht.

Die Post selbst redete den Streik klein: Es komme im ganzen Land kaum zu Verzögerungen. Der Ex-Monopolist sieht sich ein weiteres Mal als Opfer der vom Grünen Frank Bsirske geführten Dienstleistungsgewerkschaft: Er zahlt traditionell ohnehin höhere Löhne als die in den letzten Jahren heftig gewachsene Konkurrenz ausländischer Logistiker – wo aber Verdis Organisationsgrad geringer ist. Die gefährde damit die besseren Arbeitsplätze, so die Post.

Beim Tageskindergarten vier Häuser weiter ging es ebenfalls ruhig zu: In Berlin werden Kindertagesstätten noch nicht unbefristet bestreikt wie seit Montag im Rest der Republik. Doch die Verdi-Bezirkschefin droht schon: Wenn die Verhandlungen nicht bald „zu Potte“ kämen, gebe es „die probaten Mittel“, hier gehe es wie im ganzen Dienstleistungssektor um „gesellschaftliche Grundsatzfragen“.

Verständnis

Die aktuelle Streikwelle will also mehr als nur eine fällige Anpassung. Ohnehin wies sogar der sich als links verstehende Spiegel nach, dass Kita-Erzieherinnen schon bisher deutlich höhere Gehälter haben als schwerere Berufe des öffentlichen Dienstes wie Polizei und Feuerwehr. Trotzdem zeigen die in den Medien wiederegebenen Äußerungen von Eltern bisher relativ viel Verständnis. Das gilt auch für die anderen Streiks, die heuer schon doppelt so viele Streiktage zusammenbrachten als im ganzen letzten Jahr.


Nur die Lokführer-Gewerkschaft GDL hat nach dem achten und längsten Streik der Vorwoche auch in Berlin kaum mehr Sympathien: Hier traf er nicht nur die Kunden der Deutschen Bahn, sondern auch die der von ihr betriebenen S-Bahn. Das Verständnis wird nun noch geringer mit dem nun bekannt gewordenen Brief von GDL-Chef Claus Veselsky an die offenbar überwiegend streikmüden Lokführer. Darin schließt er jeden Kompromiss bei seiner Kernforderung der Sparten-übergreifenden Vertretungsbefugnis kategorisch aus. Dagegen ist die neue Lage bei DHL, wo auch ohne Streik Sendungen oft ganze Wochen liegen bleiben, noch harmlos.

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