Der tiefe Fall der Linken in Südamerika – auch Ecuador wackelt

Der Konservative Lasso will Ecuadors Sozialsystem zurückfahren.
Stichwahl. Nach Argentinien und Brasilien steht bei den Wahlen in Ecuador am Sonntag der Einzug eines Konservativen ins Präsidentenamt bevor.

Normalerweise würde sich in Europa kaum jemand für die Stichwahl in Ecuador am Sonntag interessieren. Aber das Match zwischen dem Regierungskandidaten Lenín Moreno (39% im ersten Wahlgang) und seinem neoliberalen Herausforderer Guillermo Lasso (28%) ist richtungsweisend für ganz Lateinamerika: Trotz großer sozialer Fortschritte seit der Jahrtausendwende geraten Linksregierungen in ganz Lateinamerika zunehmend unter Druck. Manch einer spricht schon vom Ende der Linken in Südamerika.

Nach dem Tod von Hugo Chávez eskalierte in Venezuela ein erbitterter Machtkampf zwischen dessen Nachfolger Nicolás Maduro und der rechten Opposition. In Argentinien verlor der designierte Nachfolger der Kirchners Daniel Scioli Ende 2015 die Präsidentschaftswahl gegen den neoliberalen Mauricio Macri. Und in Brasilien kehrte nach der parlamentarischen Absetzung von Dilma Rousseff 2016 die alte konservative Elite unter Michel Temer zurück an die Macht.

Am 2. April könnten nun auch die Tage von Rafael Correas "zivilgesellschaftlicher Revolution" in Ecuador gezählt sein. Seit 2007 verfolgt der Präsident eine ähnliche Strategie wie die progressiven Regierungen in Venezuela, Brasilien und Argentinien. Der Schlüssel zum anfänglichen Erfolg war die Forcierung der staatlichen Partizipation im Rohstoffgeschäft.

Steuern für Sozialpläne

Durch höhere Steuern und den Ausbau der staatlichen Unternehmen konnte der Fiskus seine Einnahmen verdreifachen und so Sozialprogramme, den Ausbau des öffentlichen Gesundheits- und Bildungswesens sowie massive Investitionen in staatliche Infrastruktur finanzieren. In der Folge verbesserten sich die Lebensumstände der breiten Massen: 2006 lebten in Ecuador noch über 37 Prozent der Menschen in Armut, 2016 nur noch unter 23 Prozent; die absolute Armut konnte von 16 auf acht Prozent halbiert werden.

Abgesichert wurde das System durch hohe Rohstoffpreise auf dem Weltmarkt und die Ausweitung der exportorientierten Ausbeutung natürlicher Ressourcen. Zwischen 2007 und 2015 wuchs die ecuadorianische Wirtschaft durchschnittlich um 3,9 Prozent und damit deutlich dynamischer als im lateinamerikanischen Vergleich (2,9 Prozent).

Allianz für den Wechsel

Über Jahre genoss Correas Entwicklungsmodell große Unterstützung innerhalb der urbanen Unter- und Mittelschichten, was ihm zwei mühelose Wiederwahlen sicherte. Als aber die Weltmarktpreise für Rohstoffe aufgrund der internationalen Konjunkturflaute ab 2015 radikal fielen, schlitterte die Wirtschaft in eine tiefe Krise. Der Druck auf Correa, der zunehmend autoritär regierte, wuchs, und es formierte sich eine breite Allianz, deren einziges Ziel der Sturz der Regierungspartei "Alianza País" (AP) ist.

Guillermo Lasso von der Allianz CREO-SUMA könnte dieses Ziel in der Stichwahl gegen den Regierungskandidat Lenín Moreno nun erreichen. Obwohl der oppositionelle Banker mit 49 Offshore-Firmen in Steuerparadiesen in Verbindung gebracht wird und seine Rolle während der ecuadorianischen Finanzkrise 1999 viele Fragen aufwirft, vereint er sehr unterschiedliche und teilweise unerwartete Unterstützer hinter sich: moderate und radikale Linke, die sich von Correa betrogen fühlen; indigene Gruppen, die sich gegen die Rohstoffausbeutung in ihren Gebieten stemmen; die urbanen Mittel- und Oberschichten; sowie rechtskonservative und neoliberale Parteien. Bei weitem nicht alle teilen Lassos marktradikale Ideologie – viele lehnen diese sogar strikt ab. Der gemeinsame Nenner dieser fragilen Allianz ist aber die Ablehnung der Regierung.

Was Lassos Wahl für Ecuador bedeuten könnte, lässt der Fall Argentinien erahnen: Macri setzt seit knapp über einem Jahr als Präsident die Kernforderungen des ecuadorianischen Oppositionskandidaten durch. Der Rückbau des Staates und die Entfesselung des freien Marktes führten zu Deindustrialisierung, Massenentlassungen und einem explosionsartigen Anstieg der Preise für Strom, Wasser und Gas. Zwei Millionen Menschen rutschten seit Macris Amtsübernahme in die Armut.

Der Sonntag wird auch über das Schicksal von Wikileaks-Gründer Julian Assange entscheiden, der seit Juni 2012 in Ecuadors Botschaft in London festsitzt, um der Auslieferung in die USA zu entgehen. Denn bei einem Wahlsieg des Oppositionskandidaten Guillermo Lasso will dieser „den Herrn Assange freundlich bitten, die Botschaft innerhalb von 30 Tagen nach seiner Amtsübernahme zu verlassen. Wir sollten kein Geld mehr für eine untragbare Situation verschwenden. Dieses Geld fehlt am Ende dem ecuadorianischen Volk.“

Lenín Moreno von der regierenden „Alianza País“ betont, „dass Julian Assange Asyl zugesichert bekam, weil die Gefahr politischer Verfolgung besteht“. Und in Richtung Lassos fragt er: „Wieviel kostet es, eine Person im Wandschrank zu haben?“

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