Der Minister, der für jeden das ist, was er sein muss

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Österreich-Gespräche. Kurz auf Tour, Teil 3.

Mit den Handwerkern und Unternehmern saß er vergangene Woche zusammen. Draußen, in Niederösterreich, in einer fabelhaften Tischlerei. Die Finanz- und Steuerfachleute hatte er Anfang der Woche am Tisch – in der Wiener Wirtschaftsuni, wo sonst? Und jetzt, bei seinem dritten "Österreich-Gespräch", will Sebastian Kurz in einem Tageszentrum des Hilfswerks etwas über das Gesundheits- und Pflegesystem erfahren.

Das Hilfswerk gilt als ÖVP-nahe, Präsident Othmar Karas ist Chef des ÖVP-Teams im EU-Parlament, er ist heute mit von der Partie.

Ein Heimspiel also, möchte man meinen. Aber man soll nicht vorschnell urteilen. Politiker-Visiten in Pflege-Heimen sind mitunter heikel. Nicht alle Patienten schätzen es, wenn sie ein Wahlkämpfer bei der Jause stört; und bei Menschen, die einen Schlaganfall erlitten haben, wird geheuchelte Empathie sehr schnell sehr peinlich.

Wie also tut er, der ÖVP-Chef? Wie bewegt er sich in diesem Umfeld?

Die erste Antwort gibt es nach Minuten: Sebastian Kurz agiert ungehemmt und angstfrei. Er geht auf jeden zu, der ihm ins Blickfeld gerät, und weiß sofort, mit wem er scherzen kann – und mit wem nicht. Die zwei Damen im Gang zum Beispiel sind prächtige Gesprächspartnerinnen – auch wenn die eine im Rollstuhl sitzt. "Wie oft kommen S’ denn her?", fragt Kurz. "Jeden Tog, von Montag bis Freitag."

"Wann kumman S’?"

"Um ochte.""Na servas, a Frühaufsteherin!"

"Jo, und I frei mi am Sonntag auf Montag. Es san imma die gleichen G’sichter do, oba es passiert hoit wos, ma siacht wos!" Banaler Small Talk? Natürlich ist es das. Aber immerhin weiß der Außenminister, wie die Einrichtung funktioniert, dass die Kunden hier eben nicht übernachten, sondern gebracht und abgeholt werden. Und er hat mittlerweile eine ganze Reihe an Zahlen auswendig parat. Wie viele Pflegefälle gibt es? Wie viele Prozent davon werden zu Hause betreut? Derlei weiß er – und verwendet es bei sich bietendenden Gelegenheiten. Das Wichtigste aber ist: Sebastian Kurz ist hier für jeden der, der er sein muss. Für die älteren Mitarbeiter ist er der allüren-freie Minister, der einem die Tür aufhält und vor Journalisten öffentlich und laut "Danke" für die Pflege-Arbeit sagt. Für die älteren Kunden, ist er der junge Feschak, der intakte Manieren zeigt, und dem der Anzug auch ohne Krawatte überraschend gut steht – ein Wunsch-Schwiegersohn, sozusagen. Wir sind per Sebastian Und für junge Mitarbeiter, wie die beiden Zivildiener, mit denen er sich minutenlang in der Küche unterhält, ist Kurz der Parteichef zum Angreifen. Man ist per "Sebastian" und plaudert über ein Fastfood-Restaurant in Wiener Neustadt. Der eine Zivildiener hat dort gearbeitet, Kurz kennt das Lokal über seine Freundin. Soviel zu den Wählern. Beim Programm bleibt Kurz weiter vage. Was ist mit dem Pflege-Regress? Soll er bleiben?

"Im Herbst", sagt der ÖVP-Chef, "wird es einen Vorschlag in unserem Programm geben." Das ist lange hin, natürlich. Aber er braucht noch Zeit. Zeit für die "Österreich-Gespräche".

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