Der Kreuzweg der Christen im Irak

Nordirka, Kurden, Christen, Kurdistan
Immer mehr verlassen das Land - wegen Bomben, Terror, Anfeindungen. Ein KURIER-Augenschein.

Die Frühlingssonne ist schon kräftig hier in Mossul und hat die Natur zu neuem Leben erweckt. Angenehme Temperaturen würden zu einem Picknick unter den blühenden Bäumen einladen. Doch daran ist nicht zu denken. In der nordirakischen Stadt schlagen fast täglich El-Kaida-nahe Gruppen zu. Und die wenigen verbliebenen Christen sind besonders gefährdet.

Sahar Salim Labow ist die meiste Zeit zu Hause. Nach ihrer Lehrtätigkeit an der Uni und den Einkäufen kehrt die Chemikerin so schnell wie möglich zurück. Nur den Kirchgang lässt sich die gläubige Frau nicht nehmen. „Wenn es mich erwischen sollte, dann soll es so sein. Es ist besser, am Weg zur Kirche oder in der Kirche zu sterben als an einem anderen Platz“, sagt sie mit ruhiger Stimme.

Furchtlos

Kürzlich sei in ihrer Straße eine Bombe explodiert, ein Arzt sei getötet worden. Sie habe schon viele Freunde verloren, andere seien entführt worden, wieder andere ins Ausland geflüchtet. Der Druck auf die Christengemeinde sei enorm. „Vor ein paar Jahren wollten uns Islamisten zwingen, während des Fastenmonats Ramadan den Hidschab (Ganzkörperschleier, der nur das Gesicht freilässt) zu tragen. Sogar Schaufensterpuppen wurden verhüllt“, erzählt die 39-Jährige mit dem blassen Gesicht. Trotz Todesdrohungen widersetzte sie sich aber dem Diktat.

Der Kreuzweg der Christen im Irak
Kraft gibt ihr Pfarrer Pius Affas, der sich vor 2003 noch um 500 christliche Familien kümmern musste, heute sind es bloß 200. Der Geistliche wurde schon einmal von Extremisten neun Tage lang entführt, erst gegen Lösegeldzahlung kam er wieder frei. Abneigung gegen Muslime verspürt der charismatische 74-Jährige, der mit seinem kleinen Museum die Erinnerung an bessere Tage lebendig erhalten will, dennoch keine. Soweit es seinen Möglichkeiten entspricht, hilft er auch bedürftigen muslimischen Familien. Sein Credo: „Armut hat keine Religion.“

„Wie im Gefängnis“

Sahar Salim Labow hat bei dem Priester Bibelkurse belegt. Die seien toll gewesen, aber den (lebensgefährlichen) Weg in die Pfarre, auf den hätte sie verzichten können. Und dann bricht es aus der sonst so gefasst wirkenden Frau hervor: „Eigentlich mag ich das Leben so nicht, ich komme mir vor, wie in einem Gefängnis“, sagt sie.

Bleiben will sie dennoch. „Ich gehöre hier her.“ Es seien ohnehin schon so viele gegangen. Tatsächlich sind von den einst 40.000 Christen in Mossul gerade noch 10.000 übrig. Im gesamten Irak sind von den 900.000 bis 1,5 Millionen Christen (je nach Schätzung) zwei Drittel geflohen. Kein Wunder: „Seit dem Sturz Saddam Husseins 2003 fielen fast 1000 Christen Anschlägen radikal-islamischer Gruppen zum Opfer“, sagt Luis Sako, Patriarch der chaldäisch-katholischen Kirche. Zudem wurden 61 Gotteshäuser zerstört. Die noch intakten sind aus Furcht vor Attentaten meist mit Betonblöcken und bewaffneten Sicherheitskräften geschützt.

Und so geht der Exodus weiter: „Zehn christliche Familien verlassen pro Monat das Zweistromland“, betont der chaldäische Erzbischof von Erbil, Bashar Warda. Wobei die Gründe dafür ein Mix aus Verfolgung, Angst und Perspektivlosigkeit seien.

Der Kreuzweg der Christen im Irak
Nordirka, Kurden, Christen, Kurdistan
Auch das junge Ehepaar Santja und Elia Laith überlegt nun, wegzugehen. „Wir Christen stehen schon lange im Visier von radikalen Elementen. Und solche Ereignisse wie den Karikaturenstreit oder die Koranverbrennung bekommen wir voll ab“, erläutert der 27-jährige Elia, der in Kirkuk zu Hause ist – auch hier gehören Autobomben zum Alltag. Bisher trotzte das Paar dem feindlichen Umfeld, „aber in drei Monaten werde ich unser erstes Kind zur Welt bringen“, sagt die 25-jährige Santja und greift nach der Hand ihres Mannes, „da denkt man dann schon daran, die Heimat zu verlassen“, schweren Herzens, fügt sie hinzu.

Für Adday Shamil kommt das nicht infrage. „Ich bleibe, auch wenn es nicht lustig ist.“ Im Gegensatz zu vielen anderen, vor allem jungen Christen, hat er einen gut dotierten Arbeitsplatz – in der staatlichen Ölgesellschaft. Doch auch hier wird es für die Gläubigen immer enger. „Früher gab es im Unternehmen viele Christen. Wir galten als gut im Job und vertrauenswürdig. Jetzt werden wir immer weniger. Wegen der ethnischen und konfessionellen Besetzung von Posten“, erzählt der 49-Jährige. Seine Stelle sei einigermaßen sicher, „aber befördert werde ich sicher nicht mehr“.

"Desaster"

Susan Khoshaba, sie sitzt als eine von fünf ChristInnen im Parlament der kurdischen Autonomie-Provinz, sieht die Angriffe auf Mitglieder ihrer Religionsgemeinschaft als „Desaster“. Und sie, die selbst aus Bagdad in den Norden geflohen ist, versteht, dass viele nur weg wollen. „Doch wenn wir alle gehen, wissen Sie, was dann passiert?“, sagt die resolute Frau, „dann werden unsere Kirchen ganz schnell in Moscheen umgewandelt“.

Letzte Zufluchtsstätte für bedrängte Christen im Irak ist die autonome Kurden-Region im Norden, die sich in puncto Sicherheit wohltuend vom Rest des Landes unterscheidet. Weil sie um ihr Leben in Bagdad oder Mossul bangen mussten, haben viele Christen ihre dortigen Häuser oft zu einem Schleuderpreis verkaufen müssen und sich hier angesiedelt – vor allem in Erbil.

Doch der Neustart ist steinig. Wegen des Öl-Reichtums hat sich die Stadt zu einer Boomtown entwickelt, die Lebenshaltungskosten sind massiv gestiegen. Eine Vier-Zimmer-Wohnung bekommt man nicht mehr unter 600 Dollar monatlich, und eine gut bezahlte Arbeit bringt gerade einmal 1000 Dollar. Dennoch hält der Zuzug an. „2003 zählten wir 1600 chaldäische Familien, heute sind es mehr als 5000“, sagt der Erzbischof von Erbil, Bashar Warda.

Endstation Ainkawa, das Christenviertel der nordirakischen Stadt. Auffällig: Hier finden sich viele Shops, die mit Efes- oder Carlsberg-Bier-Werbung Kundschaft anlocken. „Von den lukrativen Geschäftszweigen sind wir Christen ausgeschlossen“, so ein Mann, der anonym bleiben will, „also bleibt uns nur der Alkoholhandel.“ Das kann mitunter gefährlich werden. In Zakho wurden 2011 40 Alkoholläden von Islamisten angegriffen und verwüstet.

Doch nicht für alle geflohenen Christen endete die Herbergsuche in einer der Kurden-Städte, manche strandeten in Dörfern. „Ich hatte ein Restaurant in Bagdad“, erzählt Ablahad Dawd Oshan, „doch der Schiiten-Terror war unerträglich.“ Seit 2006 ist der 57-Jährige mit seiner Frau und den fünf Kindern in dem Dorf Derabun nahe Zakho. Landwirtschaft wird hier betrieben, doch von der hat der Mann keine Ahnung.

Neben den ökonomischen Problemen kämpfen die Entwurzelten auch mit sprachlichen. Denn die meisten der Zuzügler können nur Arabisch, nicht Kurdisch. „Meiner Tochter fehlte damals noch ein Jahr für den Abschluss der Mittelschule, im Norden hatte sie mit dem kurdischen Curriculum keine Chance“, sagt Oshan.

LebensmöglichkeitenUm den tristen Alltag der Christen hier zu verbessern – darum bemüht sich die österreichische Dreikönigsaktion (DKA). „Gemeinsam mit der ,Initiative Christlicher Orient‘ helfen wir mit landwirtschaftlichen Maschinen“, so DKA-Mitarbeiter Wolfgang Böhm. Zudem baue man Schulen. Einerseits zur Alphabetisierung, andererseits für den Katechismus-Unterricht. „Der ist in dem muslimischen Umfeld von großer Bedeutung für die Identität der Christen“, weiß Böhm. Das Ziel: „Lebensmöglichkeiten eröffnen, damit niemand mehr den Irak verlassen muss.“

SPENDEN: PSK, Kontonr.: 93000330, BLZ: 60000

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