"Denen hab’ ich nichts zu sagen"

Der Palästinenser Fa‘is Mutwawa al-Chur saß 30 Jahre in Haft für den Mord am Israeli Menachem Dadon. Jetzt ist er frei.
Palästinenser- Terroristen und die Familien ihrer Opfer im Gespräch.

Sie kamen vor wenigen Tagen Woche frei: 26 palästinensische Insassen aus Israels Gefängnissen. Als Geste guten Willens kurz vor Beginn einer neuen Runde Friedensgespräche. Mörder und Schwerverbrecher für die einen. Helden für die anderen. Tränen – aus ein und demselben Anlass: Freude und Trauer.

Hadar Dimri weinte, als die Busse mit den Entlassenen durch das Gefängnistor fuhren. „Für mich ist es, als sterbe mein Vater jetzt, heute, noch einmal. Als dieser feige Mörder meinen Vater auf offener Straße von Hinten in den Kopf schoss, war ich gerade 19 Monate alt. Heute begreife ich, was passiert.“

Die 31-jährige Mutter von drei Kindern spricht von Fa‘is Mutwawa al-Chur. 1983 war er 19 Jahre alt. Und stolz darauf eine neue Untergrundzelle der Al-Fatah-Organisation leiten zu dürfen. Dafür bekam er die Pistole. Er sollte sich als Kämpfer beweisen. Durch die Tötung eines Juden.

„Ich hab’ ihn vorher weder gekannt noch gesehen. Er stand da im Geschäft, um Baumaterialien zu kaufen. Es hätte auch ein anderer sein können.“ Fa‘is spricht hörbar ungern über seine Vergangenheit. Heute ist er fast 50 Jahre alt. 30 Jahre saß er im Gefängnis. Jetzt sitzt er im Haus seiner Familie in Al-Buredsch neben Gaza.

„Der Mörder meines Vaters darf Vater werden (...). Seine Freude schmerzt mich tief." (Hadar DimriTochter des Terroropfers)

Die Augenzeugen sagten damals aus: „Er stürmte vermummt und mit gezogener Pistole in den Laden. Er setzte sie von hinten an den Kopf und drückte ab.“

Menachem Dadon aus dem benachbarten Netivot in Israel war nur zwei Jahre älter als Fa‘is. Vater zweier kleiner Töchter, Hadar und Marva. Seine Frau Ilana war gerade schwanger. Mit Mina, die ihren Vater nie gesehen hat. Er baute sein Haus selbst. Jeder Cent war wichtig, in Gaza alles billiger.

Fa‘is spricht lieber über seine Zukunft: „Jetzt wird geheiratet“, antwortet er auf die Frage nach seinem ersten Schritt in Freiheit. Mit dem Befreiungsgeld für Entlassene hofft er, Heirat und Hausbau angehen zu können. Die Presse schreibt von 5000 Dollar. Nicht viel. In Gaza aber auch nicht wenig. Das Geld kommt vom Ministerium für Gefangenenangelegenheiten in Ramallah.

„Mein Dank geht an die PLO“, sagt Fa‘is. Er vermeidet den Namen von Präsident Mahmud Abbas. Der bestand auf die Freilassung der 26 vor Gesprächsbeginn. Abbas wird in Gaza ungern genannt. Hier herrscht die mit der PLO verfeindete Hamas. Viele Freunde aus der Fatah rufen Fa‘is aus Rammallah an. „Mabruk“ heißt es immer wieder – Glückwunsch. Die Fatah-Freund mussten aus Gaza flüchten, als die Hamas 2007 putschte.

„Nicht nur die Gesichter meiner vielen Neffen und Nichten sind für mich noch neu“, erklärt Fa‘is, „auch der Bruderkrieg. Der muss ein Ende haben. Wir Palästinenser sind doch eine Familie.“

Der Kampf gegen Israel sollte auch enden, meint Fa‘is. Wie die Siedlungen, die im Gazastreifen geräumt wurden. Er würde heute nicht mehr schießen. „Doch damals war es wichtig für uns. Meinen Neffen sag’ ich heute, sie sollen es mir nicht nachtun.“

Wakseh, der Bruderzwist, überschattet auch die neue Runde im Friedensprozess. Abbas spricht für seine Fatah und den Dachverband PLO. Hamas aber steht abseits.

„Dafür lohnte es sich doch nicht, diese Mörder freizulassen“, meint Hadar, „diese Gespräche können nichts bringen. Nichts und wieder nichts.“ Nicht einmal eine gefangene Geisel käme im Gegenzug frei. Die Mörder aber schon. Der Schatten über dem Leben ihrer Familie aber wird noch dunkler.

„Meine Mutter verlor letztlich ihre Kraft nach dem Mord“, erzählt sie stockend. „Sie konnte als Mutter nur noch schwer für uns sorgen. Wir hatten es als Kinder so schwer.“ Sie will nicht von allem erzählen. „Der Mörder soll sich nicht freuen.“ Ein großer Teil der Erziehung fiel auf die Großeltern.

Was nicht ohne Streit in der Familie ablief. „Erst als wir selber Mütter wurden, konnten wir uns als Familie wieder versöhnen.“ Heute wohnt die Mutter mit Hadars Familie zusammen.

„Jeder Feiertag, jede Freude im Leben war ohne Vater“, erinnert sich Hadar, „das endet nie. Diese tiefe Trauer um einen Mann, mit dem ich doch nie ein Wort wechseln konnte.“ Am Geburtstag bliesen die Kinder die Kerzen auf ihrem Kuchen aus. Nachdem sie eine Kerze für Papa angezündet hatten.

„Für uns wird es immer so bleiben“, sagt sie leise, „er aber hat jetzt das Recht auf eine eigene Familie. Der Mörder meines Vaters darf Vater werden.“ Sie schweigt. „Es fällt mir schwer, das zu sagen, aber es ist die Wahrheit: Seine Freude schmerzt mich tief.“

Fa‘is überlegt nicht lange auf die Frage, ob er der Familie seines Opfers etwas sagen möchte: „Nichts. Gar nichts. Denen hab ich nichts zu sagen.“ Fa‘is blickt nicht gern zurück. Hadar fällt der Blick in die Zukunft schwer. Die Sicht auf den Frieden ist so beiden verstellt.

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