Davutoglu und Erdogan: Ziemlich beste Feinde

Bruch zwischen Premier Davutoglu (l.) und Präsident Erdogan
Premier Davutoglu nerven die Machtansprüche von Präsident Erdogan zunehmend – er denkt an Rücktritt.

Schon seit Längerem war es in den politischen Zirkeln der türkischen Hauptstadt Ankara ein heiß diskutiertes Gerücht, jetzt scheint es bestätigt: Zwischen Premier Ahmet Davutoglu und Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan ist es offenbar zum Bruch gekommen. Der Regierungschef hat in einigen zentralen Fragen komplett unterschiedliche Ansichten als sein AK-Partei-Kollege, außerdem nerven Davutoglu die Machtansprüche Erdogans zunehmend. Laut Medienberichten denkt der Premier bereits laut darüber nach, alles hinzuschmeißen. Daraufhin knickte der Aktienleitindex an der Istanbuler Börse gestern um bis zu 3,5 Prozent ein. Noch am Mittwochabend sollte es zu einem Krisentreffen der beiden kommen.

Querschüsse

Seit geraumer Zeit schon schießen sich Erdogan-freundliche Kommentatoren auf den Ministerpräsidenten ein. Und als das 50-köpfige zentrale AK-Parteigremium in der Vorwoche mit überwältigender Mehrheit beschloss, die Befugnisse des Parteichefs einzuschränken, wurde das als schwere Niederlage Davutoglus gewertet.

Er hatte Erdogan vor zwei Jahren als Vorsitzender der AKP und als Premier abgelöst, nachdem dieser ins Präsidentenamt gewechselt war. Davutoglu, der im früheren Kabinett Erdogan Außenminister und engster Vertrauter von ihm war, sollte die Geschäfte für den "Sultan" so lange führen, bis dieser die Verfassung nach seinen Vorstellungen (Alle Macht dem Staatschef) geändert habe.

Streit um neue Verfassung

Doch genau daran entzündete sich der Streit der beiden Top-Politiker. Davutoglu gehen die zunehmend autoritären Ambitionen des früheren Weggefährten zu weit. Er stemmt sich gegen ein Präsidialsystem US-amerikanischen Zuschnitts, das Erdogan so gerne hätte. Der Premier setzt auf Parlamentarismus und will die Türkei aus der Krise und in die EU führen.

"Erdogan könnte mit Davutoglu weitermachen", hieß es am Mittwoch aus der Umgebung des Präsidenten, "doch derzeit gibt es einen Bruch." Sei der nicht zu kitten, könnte Erdogan einen anderen Regierungschef nominieren. Dafür kursieren bereits Namen. Im Gespräch sind Verkehrsminister Binali Yildirim und Energieminister Berat Albayrak. Letzterer ist ein Schwiegersohn des Staatsoberhauptes.

Herausforderungen

Die aktuellen Verwerfungen an der Staatsspitze kommen zu einem höchst ungelegenen Zeitpunkt. Der zwischen der Türkei und der EU ausgehandelte Pakt in der Flüchtlingsfrage muss in den kommenden Wochen und Monaten umgesetzt werden. Für Visa-Freiheit (siehe Artikel rechts) und viel Geld (bis zu sechs Milliarden Euro) soll die Türkei keine Flüchtlinge mehr nach Europa lassen. Ausverhandelt wurde der Deal mit Ahmet Davutoglu, der Brüssel als Gegenüber jetzt abhanden kommen könnte.

Stabilität und eine starke Regierung würde es im Land am Bosporus auch aus folgenden Gründen brauchen: Vor der Haustüre tobt weiterhin der Krieg in Syrien, und der ebenfalls benachbarte Irak zeigt als Staat zunehmend Auflösungstendenzen.

Im Land selbst wiederum ist ein Kraftakt nötig, um die schwächelnde Wirtschaft wieder in Gang zu bringen. Zudem bedroht der (importierte) IS-Terror die Sicherheit. Und die anhaltende militärische Operation der türkischen Streitkräfte gegen die Kurden-Guerilla PKK hat den Südosten des Landes an den Rand eines Bürgerkrieges geführt.

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