"Das politische Leben muss aufregend sein"

Hugo Portisch
Hugo Portisch beobachtet täglich die internationalen Nachrichten. Im Gespräch mit KURIER-Herausgeber Helmut Brandstätter analysiert er die aktuellen Ereignisse: viele Krisenherde, wenig Stabilität.

Herr Dr. Portisch, Ihr Buch heißt "Aufregend war es immer". Jetzt ist die Weltlage aufregend, aber auch noch unberechenbar. Wer ist unberechenbarer, Donald Trump oder Kim Jong-un? Schrecklich, oder?

Ja, alleine die Frage zu stellen ist schrecklich. Eigentlich sollte es für einen demokratischen Präsidenten ausgeschlossen sein, unberechenbar oder unzuverlässig zu sein. Aber bei Trump ist es so, ein unberechenbarer Mensch.

Der amerikanische Vizepräsident hat in Südkorea gesagt: "Unsere strategische Geduld ist am Ende, alle Optionen sind auf dem Tisch, die Nordkoreaner müssen ihr Nuklearprogramm aufgeben." Sind die davon beeindruckt?

Ich glaube, es ist auf jeden Fall der dringende Wunsch des Herrn Trump, und wahrscheinlich auch der westlichen Welt, und vielleicht auch sogar Chinas. Nur, wie bringt man die Nordkoreaner zum Aufgeben? Das ist der springende Punkt. Man kann leicht sagen, es sind alle Optionen auf dem Tisch, aber letzten Endes gibt es nur eine Option, nämlich einen vernichtenden Schlag gegen Nordkorea zu führen.

Das heißt ein Erstschlag?

Das heißt ein Erstschlag, der die Atomwaffen Nordkoreas ausschaltet. Es ist aber die Frage, wann das fällig ist. Schlagkräftig ist Kim Jong-un sicher noch nicht, das dauert noch eine Weile. Bis dahin wird man hoffentlich noch alle Möglichkeiten nutzen und ihn in die Zwickmühle nehmen. Von den Chinesen hängen die Nordkoreaner weitgehend ab, sowohl was die Lebensmittelversorgung angeht, als auch was den Außenhandel angeht. Die leben ja vorwiegend nur mehr von ihrem Kohleexport nach China.

Und der ist zurückgegangen.

Ja, der wurde auch teilweise eingestellt. Und wenn die Chinesen wirklich wollen, können sie Nordkorea in die Knie zwingen. Indem sie einfach die Handelsbeziehungen abbrechen und die Lebensmittelzufuhr abschneiden. Also es gibt schon Möglichkeiten. Aber ob die Chinesen dazu bereit sind und ob man sie dazu zwingen kann? Aber es ist auf jeden Fall besser, es so zu machen, als einen atomaren Schlag zu setzen.

Aber das wäre Wahnsinn. Es ist auch möglich, konventionell mit Raketen das Programm auszuschalten? Der Flugzeugträger USS Carl Vinson ist – jetzt endlich – auf dem Weg Richtung Korea.

Ja, es ist durchaus möglich. Selbstverständlich, mit einem guten Marschflugkörperangriff lässt sich auch das atomare Potenzial Nordkoreas zerstören.

Kim Jong-un will überleben, und hat wohl Angst.

Bevor er stirbt, wird er wahrscheinlich Bomben auf Südkorea werfen. Das muss er aber auch wissen, das ist quasi Selbstmord für ihn. Das ist auch sein Ende. Er hat eigentlich keinen anderen Ausweg, außer aufzuhören. Alles außer Aufhören ist sein eigener Tod.

So gesehen kann man sagen, Trump hat recht. Trump kann – gemeinsam mit den Chinesen – die Nordkoreaner in die Knie zwingen.

Ja, die Chinesen können Nordkorea alleine in die Knie zwingen. Aber Trump könnte das militärisch auch. Allein ein Flugzeugträger mit 40 Flugzeugen drauf. Allein die große Rakete, die Trump gerade über Afghanistan abgeworfen hat, das war ja eine Warnung an Nordkorea. Mit so einer Waffe kriegen wir auch eure Atomwaffen, egal, wie tief die in der Erde stecken.

Aber die Chinesen müssten zuschauen, die Chinesen müssten praktisch Nordkorea den Amerikanern freigeben.

Die Chinesen dürften sich nicht in den Krieg einmischen. China darf nicht die Seite Nordkoreas ergreifen. Wenn es das tut, dann kommt es zu einem großen Krieg.

Das Ende von Kim Jong-un würde das Regime zerstören, China hat Angst vor einer Flüchtlingswelle. Mit gutem Grund wahrscheinlich.

Diese Angst haben sie immer schon gehabt, dass da Millionen nach China flüchten. Aber ich bin da nicht so überzeugt, wie das die Chinesen zu sein scheinen. Denn wenn die Nordkoreaner fliehen müssen, dann wissen sie genau, dass der bessere Fluchtpunkt Südkorea ist.

Ist Südkorea für eine Wiedervereinigung vorbereitet?

Südkorea wäre in der Lage, einen großen Flüchtlingsstrom sofort aufzunehmen.

Noch einmal zurück zu den Chinesen. Trump macht ja China den Vorschlag, "wenn ihr mir helft mit den Nordkoreanern, dann mache ich euch ein günstiges Handelsabkommen".

(Lacht) Das ist sein Dealmaking. Das ist die Art, wie ein Großmaul und Milliardär seine Handelsbeziehungen regelt. Du gibst mir, ich gebe dir und ich schau, dass ich dabei besser rauskomme. Die Chinesen sind aber nicht so ungeschickt, das sind ja gute Handelsleute. Wenn sie dafür wirklich einen großen Vorteil für sich sehen würden, da machen sie vielleicht mit.

Was würde Kim Jong-un tun? Er würde zuerst einmal mit der Drohung beginnen, Südkorea atomar anzugreifen, die Chinesen versuchen ihn davon abzubringen. Das gäbe auf jeden Fall eine schwere Konfrontation. Er ist eben mindestens genauso unberechenbar wie Trump.

Im Wahlkampf hat man das Gefühl gehabt, die Trump-Doktrin würde sein: Erstens politischer Isolationismus, Rückzug von den Kriegsherden der Erde, und zweitens "Make America great again", also nur Handelsbeziehungen, wo Amerika profitiert. Jetzt aber greift Trump in Syrien an, in Afghanistan, er droht Nordkorea, es war schon lange kein Land so expansiv wie er. Was ist da passiert?

Ich glaube, er ist draufgekommen, dass er ein mächtiger Mann ist (lacht). Er hat vorher gedacht, er kann seine eigene Politik machen, seine eigenen Deals. Jetzt kommt er drauf, die Welt ist komplizierter, die Weltprobleme sind nicht so weit weg von Amerika, wie er das gedacht hat, Syrien lassen wir stehen, die Russen lassen wir stehen – das ist alles nicht gegangen. Der Gasangriff auf Syrien war ja eine Parallele zu dem vorherigen Angriff, auf den Obama nicht reagiert hat. Was ihm bis zum Schluss seiner Präsidentschaft zum Vorwurf gemacht wurde. Das war eine rote Linie – Obama hatte gesagt, wenn Gas kommt, dann greif ich an, Gas kam und er hat sich auf einen Deal eingelassen. Übrigens mit den Russen. Putin ist ihm zu Hilfe gekommen. Er hat gesagt, greifen Sie nicht ein und ich übernehme die Vernichtung der Gasvorräte. Das hat die Präsidentschaft Obamas schwer geschädigt. Und Trump hat sich gesagt, das lass ich gar nicht zu, ich zeige jetzt vor allem dem eigenen Volk und der Welt, dass ich ein handelnder und entschlussfähiger Präsident bin.

Erkennen Sie eine Strategie hinter diesen militärischen Handlungen der letzten Wochen?

Nein. Da erkennt offenbar niemand eine Strategie dahinter. Er hat Gelegenheiten ergriffen, die opportun schienen, der Gasangriff schien opportun. Die Dekrete, die er erlassen hat, waren Antworten auf drängende Fragen der amerikanischen Öffentlichkeit. Er hat Antworten zu geben versucht, aber wie es dann weitergeht, ich glaube, das weiß er nicht. Und er hat sich auch nicht recht viel überlegt bis jetzt. Das hätte man schon hören und sehen müssen. Zum ersten Mal hat ein amerikanischer Präsident gesagt, ich akzeptiere einen Assad auch nach dem Krieg. Das war eine ungeheure Wende in der amerikanischen Politik. Damit war eigentlich der Kompromiss auf dem Tisch. Und mit den Marschflugkörpern hat er eigentlich gegen die eigene Strategie verstoßen.

Sie haben einmal in einem Interview gesagt, wenn man die ISIS bekämpfen will, dann wird das nur mit Bodentruppen gehen. Daran hat sich nichts geändert, oder?

Der Satz stimmt noch immer. Die ISIS sind nur mit Bodentruppen zu besiegen. Entweder haben die Russen die Bodentruppen, oder die Amerikaner können mehr Verbündete aufbringen. Aber um sie echt zu besiegen, brauchen die Amerikaner schon noch Verstärkung auf dem Boden.

Gibt es Hinweise, dass Trump Bodentruppen entsenden wird?

Nein, es gibt Hinweise, dass die militärischen Helfer verstärkt wurden – in Wirklichkeit sind es Aufklärungstruppen, die die Marschflugzeuge steuern und die Ziele vorgeben. Weit über tausend Amerikaner sind bereits in Syrien im Einsatz.

"Das politische Leben muss aufregend sein"
Interview mit Hugo Portisch am 17.04.2017 in Wien.

Wir können also erwarten, dass Trump sogar Bodentruppen nach Syrien schickt?

Durchaus, das halte ich für möglich – nicht sehr wahrscheinlich, aber möglich. Trotz allem, dass er mit Putin noch versucht, einen Deal zu machen.

Die US-Administration, wie funktioniert die wirklich? Ministerien, Beamte, Experten. Hat Trump den Überblick? Trifft er die Entscheidungen?

Die letzte Entscheidung muss er selbst treffen. Es kommt darauf an, welchen Einfluss die Berater auf ihn haben. Und da hat er schon einen ausgewechselt, Steve Bannon. Er ist ein richtiger Rechtsaußen, ein Faschist würde ich sagen.

Der schon einmal gesagt hat, man muss alles zerstören, um es wieder neu aufbauen zu können.

Das ist die alte These von Revolutionären, das haben ja die Bolschewiken schon gesagt.

Um noch im Nahen Osten zu bleiben. Shimon Peres hat vor seinem Tod in einem Interview gesagt, er habe Netanjahu mehrfach davon abgehalten, mit Kampfflugzeugen Atomanlagen im Iran zu zerstören. Das Interview ist aber erst nach seinem Tod veröffentlicht worden. Die Israelis haben offenbar immer wieder überlegt, im Iran Atomanlagen zu zerstören.

Ganz gewiss haben sie das. Die Israelis standen unter immensem Druck der Amerikaner, die ihnen das verboten haben. Wenn man den Iran atomar angreift, und Israel ist ja eine Atommacht, dann gerät der ganze Nahe Osten zu einem Pulverfass, das nie mehr wieder zu beherrschen sein wird. Und die Israelis haben sich daran gehalten. Nicht weil sie dran glauben, es gibt diesen harten rechten Kern in Israel, der denkt, wenn sie das wegputzen, dann geschieht gar nichts Besonderes. Aber die Amerikaner sind der festen Überzeugung, wenn sie das zulassen, dass dann der Nahe Osten überhaupt nicht mehr zu regulieren ist. Und dass die Russen dieses Gebiet einflussmäßig einfach übernehmen.

Nun hat ja Trump immer gesagt, er findet das Atomkraftabkommen mit dem Iran schlecht. Würde er möglicherweise zulassen, dass die Israelis den Iran bombardieren?

Die Option hat er sich damit offen gelassen. Er hat damit auch eine Zuckerrübe für die Israelis ausgelegt. Und das hat natürlich auch dazu geführt, dass viele Israelis von seiner Präsidentschaft begeistert sind.

Das Verhältnis Trump – Putin ist viel schlechter, als wir es vor der Wahl erwartet haben. Putin zeigt sich sehr enttäuscht über Trump.

Ich weiß nicht, ob es sowas gibt bei Trump und Putin, dieses Zeigen "ich bin jetzt sehr enttäuscht". Das ist für die Öffentlichkeit bestimmt. Ich glaube, dass sie innerlich sehr genau wissen, dass sie einander absolut brauchen. Dass es eine Friedenswiederherstellung weder im Nahen Osten noch in der Ukraine geben wird, wenn die beiden nicht eines Tages zusammenarbeiten. Das wissen beide und sie wissen auch, dass sie sich dahin bewegen müssen. Beide sind von ihrer öffentlichen Meinung abhängig. Interessanterweise auch Putin. Es ist auch nicht so, dass Putin sich alles erlauben kann und Russland steht hinter ihm. Es gibt große, oppositionelle Kräfte in Russland einerseits, andererseits seine eigenen Anhänger erwarten von ihm, immer Stärke, immer Sieg – das ist auch schwer zu bedienen. Putin ist darauf aus, als Sieger dazustehen, und da wartet er auch geduldig.

Kommen wir nach Europa. Die Franzosen wählen heute im ersten Wahlgang. Sicher die Frau Le Pen? Oder kann es sein, dass sie Dritte wird?

Frau Le Pen kommt auf jeden Fall in den zweiten Wahlgang und dann kommt es darauf an, wie gut und stark ihr Gegenkandidat ist.

Zuerst hieß es Macron, dann Mélenchon, oder vielleicht doch Fillon? Würde jeder der drei Kandidaten gegen Le Pen gewinnen?

Das lässt sich deshalb schwer sagen, weil man nicht weiß, wie die Stimmenverteilung im ersten Wahlgang sein wird. Sie kann ja auch mit großem Abstand Erste sein im ersten Wahlgang. Wenn sich die Nicht-Le-Pen-Wähler aufteilen auf die drei und sich dann vereint auf einen Kandidaten konzentrieren, kann sie durchaus noch auf den zweiten Platz verwiesen werden. Das ist die Hoffnung derer, die fürchten, dass sie Platz eins schafft.

Die traditionellen Parteien spielen keine Rolle mehr. Die Sozialdemokraten – schwacher Kandidat, der Konservative Fillon. Wir haben anfangs gesprochen von der unberechenbaren Zeit. Auch das zeigt, wie unberechenbar in den Nationen die Politik geworden ist.

Es ist alles verunsichert und unberechenbar geworden. Wir werden sehen, wie das in Deutschland weitergehen wird. Weil das Auftreten der neuen AfD ist ein bisher nicht erprobter Faktor auf Bundesebene. Man wird sehen, wie die sich entwickeln und was das noch bedeutet für Deutschland. Ich hoffe ja nicht, dass sie eine größere Rolle spielen, aber zu befürchten ist es.

Es gab noch nie so viel Wohlstand wie heute. Warum sind die Menschen so verunsichert? Oder waren es die Fehler der Parteien, dass sie nichts mehr anbieten können?

Ich glaube, es ist der Wohlstand selbst und die Gelassenheit, mit der man heute lebt. Das politische Leben muss aufregend sein, das ist ein altes Gebot. Das Nachtwächterleben vertragen die Leute nur schlecht.

Das heißt, wir müssen immer um politische Ziele, um die Demokratie kämpfen?

Das auf jeden Fall. Es ist das erste Mal, dass es eine Staatsform, eine Lebensform ist, die jeden Tag verteidigt werden muss. Das ist nicht eine Lebensform zum Ausschlafen und zum Abwarten. So eine Demokratie muss jeden Tag verteidigt werden. Wenn eine Demokratie anfängt, langweilig zu werden und als selbstverständlich gilt, dann ist sie in großer Gefahr.

Und das Volk kann undankbar sein, wie wir bei Winston Churchill gesehen haben: Er gewinnt den Zweiten Weltkrieg und wird abgewählt. Jeder Politiker muss doch wissen, er ist nur auf Zeit bestellt. Warum ist es so schwer, von der Macht loszulassen?

Ich glaube, das verträgt sich nicht mit dem menschlichen Dasein. Mit dem, was einen Politiker zum Politiker macht. Politiker wird man ja, man muss sein Ziel erreichen, darf nicht locker lassen. Ich glaube, abtreten und sich zurückziehen, das kommt den wenigsten machtbewussten Politikern in den Sinn. Ist auch dem deutschen Nachkriegskanzler Adenauer nicht in den Sinn gekommen.

Noch eine Frage zum Thema Türkei: Am runden Tisch hat Boschafter Lehne gesagt: Der Brexit könnte das Verhältnis der EU zur Türkei insofern erleichtern, weil man kann als Land ein gutes Verhältnis zur EU haben, ohne Mitglied zu sein.

Was der Brexit letzten Endes sein wird, steht noch in den Sternen. Kann man den Briten erlauben, einfach auszutreten und sich aller Lasten zu entledigen und trotzdem die Vorteile zu ernten. Wenn man das erlaubt, dann ist das ein Beispiel für andere zu sagen, für was brauche ich Europa?

Ich glaube schon auch, dass die EU eine Pflicht hat, einem Land zu zeigen, was es heißt, die EU zu verlassen. Was es heißt, unsolidarisch zu sein.

Europa muss hart bleiben?

Europa muss hart sein. Mir fällt das Wort Bestrafung schwer, aber sie müssen wissen, was sie angestellt haben.

In zwei, drei Jahren wird es ein Verhandlungsergebnis geben. Ist es denkbar, dass Frau May dann sagt, so, das ist das Ergebnis, wollt ihr wirklich unter diesen Umständen austreten? Kann es noch ein Referendum geben?

Theoretisch ist das schon noch möglich, aber ich glaube nicht, dass sich das mit ihrem Standing verträgt. Wenn sie so weit käme, hätte sie schon abgedankt.

Das heißt, in der Politik sind Frauen und Männer gleich, letztlich geht es nur um die Macht und um das eigene Image.

Ich weiß nicht, ob da so große Unterschiede sind. Es geht jedem Politiker um sein Ansehen, um seine Macht. Ich glaube, das ist bei den Frauen nicht wirklich viel ehrgeiziger als bei den Männern. Ein bisschen vielleicht schon, aber nicht wirklich.

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