„Das Assad-Regime wird nicht überleben"

Ein Augenzeuge in Damaskus schildert dem KURIER unter Lebensgefahr, wie die Lage im Land immer verzweifelter wird

Wenn man wüsste, dass ich jetzt mit I­hnen rede?" Der Mann am anderen Ende der Skype-Verbindung, ein Arzt in der syrischen Hauptstadt Damaskus, atmet kurz durch. „Ich könnte glücklich sein, wenn sie mich nur ins Gefängnis stecken. Aber viel wahrscheinlicher wäre, dass sie mich foltern, mir bei lebendigem Leib die Haut abziehen würden." Um mit dem KURIER zu sprechen, ging der Arzt ein lebensgefährliches Risiko ein. Sein Name und Alter müssen aus Sicherheitsgründen geheim bleiben. Nennen wir ihn M.

„Einige meiner Freunde, alles Ärzte, wurden verhaftet", schildert der Damaszener. Ihr Vergehen: „Sie haben Verletzte des Aufstandes behandelt, die in ihre Spitäler eingeliefert wurden. Ist es denn ein Verbrechen, einem Verwundeten zu helfen?", redet sich M. in Rage.

Einige der Verhafteten sind bis heute nicht mehr aufgetaucht. Die wenigen, die es nach Schlägen und Misshandlungen durch die Schergen des Assad-Regimes wieder in die Freiheit schafften, flohen sofort ins sichere Ausland.

Flüchtlinge

Seit in Syrien der Aufstand tobt, hat M. Damaskus nicht mehr verlassen. Doch welche Gräuel sich außerhalb der Hauptstadt abspielen, ist auch hier zu spüren. Tausende Flüchtlinge aus den umkämpften Städten Homs, Hama und Idlib sind nach Damaskus geflohen. Mitgebracht hat jeder von ihnen Schreckensgeschichten von Verfolgung, Folter, Todesangst – und bitteren Hass auf das Assad-Regime.

Dieses bekämpft die wachsende Wut der Bevölkerung auch in Damaskus mit noch mehr Repressionen: Straßensperren und Kontrollen an jeder Ecke, Sicherheitskräfte patrouillieren pausenlos. „Immer muss man fürchten, von der Straße weg verhaftet zu werden", schildert M.

„Das Regime wird nervöser. Man will die Leute einschüchtern, dass sie erst gar nicht auf die Idee kommen, sich den Protesten anzuschließen", erzählt der Arzt. Und dennoch werde all dieRepression nichts ändern, glaubt er. „Das Assad-Regime wird nicht überleben. Es foltert, es verhaftet, es mordet, es bringt Kinder um, es schießt wochenlang Raketen auf Wohnviertel. Und trotzdem haben sie keinen Erfolg. Die Proteste haben nicht aufgehört. Wir werden trotzdem weitermachen. Früher gab es nur jeden Freitag Demonstrationen. Jetzt ist jeden Tag Freitag. "

Schüsse

Der Aufstand hat Damaskus erreicht. Mehrmals gab es in Vororten heftige Kämpfe. Jede Nacht explodieren auch in ruhigeren Vierteln Autobomben. Auch von M’s Wohnung aus sind Schüsse zu hören, sie kommen von Mal zu Mal näher.

Viele Geschäftsleute, eine wichtige Stütze des Assad-Regimes, haben sich in Erwartung noch blutigerer Kämpfe aus Syrien abgesetzt oder wollen demnächst gehen. „Business kann man hier ohnehin keines mehr machen“, meint M. bitter. Er selbst aber wolle bleiben, auch wenn M. ahnt, dass auf Damaskus das Schlimmste erst noch zukommt. „Früher habe ich hier gewohnt, weil ich hier geboren wurde. Erst jetzt weiß ich, dass ich zu diesem Land gehöre und dass ich dafür auch etwas opfern muss.“

Rebellen-Zulauf

Dass die Rebellen der Freien Syrischen Armee das Land von Assads Terror befreien werden, bezweifelt M. im KURIER-Gespräch: „Es reicht nicht, Waffen an Leute auszuteilen. Sie haben keine Flugzeuge und sie konnten auch nicht verhindern, dass Baba Amr in Homs wochenlang bombardiert wurde.“ Doch der Zulauf zu den kämpfenden Aufständischen wird immer größer. Massenhaft sollen einfache Soldaten aus der Armee desertieren, hat M. gehört – nicht zuletzt nach Verbrechen, wie es ihm eine befreundete Familie erzählte: Ihr Sohn wurde von seinem Vorgesetzen erschossen, weil er sich geweigert hatte, auf Zivilisten zu schießen. „Solche Geschichten“, seufzt M., „könnte ich Ihnen massenhaft erzählen.“

Diplomatie - Opposition ringt um Einigkeit

Kommenden Sonntag werden die Staaten der „Freunde Syriens" in Istanbul zu ihrem zweiten Treffen zusammenkommen. Am Montag begann in der türkischen Metropole eine für zwei Tage anberaumte Konferenz syrischer Oppositionsgruppen – mit dem Ziel, sich auf eine gemeinsame L­inie zu einigen. Und vor allem: Künftig soll die Opposition vor allem dem Ausland gegenüber mit einer Stimme sprechen.

Denn während die Kämpfe zwischen Deserteuren und der Armee in Syrien unvermindert weiter gehen und zuletzt wieder Damaskus erreichten, gelingt es den Gegnern Bashar al-Assads nur schleppend, international Hilfe zu mobilisieren und die eigene Position im Ausland zu festigen. Bisher lieferte die syrische Opposition vor allem das Bild eines zerstrittenen Haufens.

Beim ersten Treffen der Kontaktgruppe der „Freunde Syriens" drang denn auch die unmissverständliche Aufforderung an den syrischen Widerstand, sich auf eine gemeinsame politische Plattform zu einigen.

Zugleich bereist UN-Sondergesandter Kofi Annan in vermittelnder Mission die entscheidungstragenden Länder. Am Wochenende war er in Russland, Mitte der Woche wird er in China erwartet.

 

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