Corbyn punktete bei den Jungen

Labour-Chef Jeremy Corbyn beeindruckte seine Wähler mit seinen Überzeugungen
Via Social-Media-Kampagnen wurden junge Briten daran erinnert, wählen zu gehen – sie entschieden sich vor allem für den 68-jährigen Labour-Chef.

Wenn vom Eindringen digitaler Medien in Wahlkampagnen die Rede ist, geht es meist um präzises Marketing auf Facebook, virale Videos oder Memes. Im Fall der britischen Unterhauswahlen war es ein kleines Zitat in einem sarkastischen Hintergrund-Blog der Huffington Post, das die maximale destruktive Wirkung erzielte: "Unter 30-Jährige lieben Corbyn", wurde darin ein anonymer konservativer Kandidat zitiert, "aber es ist ihnen nicht wichtig genug, um sich von ihren faulen Hintern zu erheben und ihn zu wählen." Dieser achtlos hingeworfene Satz wurde zu einem der meistzitierten des Wahlkampfs, drückte sich darin doch eine Verachtung für Jungwähler aus, die Theresa Mays Regierung am Ende teuer zu stehen kommen sollte.

"Von den Studenten ist nichts zu erwarten", hatte auch ein erfahrener Aktivist der Labour Party vor einer Woche gesagt, als seine Partei im Wahlkreis von Canterbury in der traditionell konservativen Grafschaft Kent laut Umfragen gleichauf mit den regierenden Tories lag. "Die machen immer große Töne, dass sie uns wählen werden, aber dann bleiben sie doch zuhause."

Lange Schlangen

Am Donnerstag wanderte der Sitz dann aber zum ersten Mal seit seinem Bestehen von den Konservativen zu Labour über – mit einer Mehrheit von 187 Stimmen. Zur Ausforschung des wahlentscheidenden Faktors brauchte es keiner komplexen Wählerstromanalysen: Am Wahltag wurde von langen Schlangen vor dem Wahllokal oben auf dem Hügel über der Stadt, auf dem Campus der University of Kent berichtet. Diesmal hatten die Studenten ihr Versprechen gehalten.

Von dem Zeitpunkt an, als Theresa May im April die Neuwahlen ausrief, hatte die "National Union of Students" ihre Kollegen beharrlich zum Wählen aufgerufen: "Wenn wir unser Bestes geben, sind wir eine Kraft, mit der man rechnen muss", hieß es prophetisch. "Eine Kraft, die die Politiker nicht ignorieren können." Unter dem Hashtag #GenerationVote wurde auf sozialen Medien dafür gesorgt, dass vergessliche Studenten nicht auf ihre demokratische Pflicht vergaßen.

Bernie Sanders-Effekt

Dass davon vor allem Jeremy Corbyn profitieren würde, war bereits klar, ehe Labour in ihrem Wahlprogramm die Abschaffung der mit 10.500 Euro pro Jahr empfindlich teuren Studiengebühren versprach. Ähnlich wie bei Bernie Sanders in den Vorwahlen der US-Demokraten beeindruckte Corbyn junge Wähler als ein Mann mit Überzeugungen, der seinen jugendliche Gerechtigkeitsfanatismus nie ganz abgelegt hat. Selbst mit seinen 68 Jahren schäumt Corbyn noch glaubhaft, wenn die Rede auf das soziale Ungleichgewicht der Gesellschaft kommt. Dass er sich, wenn auch auf sanftere Art als May, hinter den Brexit stellte, konnte die vom Erasmus-Programm profitierende, überwiegend EU-freundliche Studentenschaft nicht abschrecken. Sie vertrauten Corbyns Versicherungen, einen möglichst guten Brexit auszuverhandeln, offenbar mehr als der Anti-Brexit-Linie der Liberaldemokraten. Diese hatten 2010 die Abschaffung der Studiengebühren gefordert und dann in ihrer Koalition mit den Konservativen deren Verdreifachung mitgetragen.

Künstler für Corbyn

Aber Jeremy Corbyn sprach bei weitem nicht bloß akademische Jungwähler an. Eine der effektivsten digitalen Kampagnen lief unter dem Hashtag #grime4corbyn: Künstler aus der vor allem unter Jugendlichen, aus ethnischen Minderheiten einflussreichen "Grime-Szene" stellten sich hinter den Klassik hörenden Corbyn. Am Wahltag veröffentlichte die auflagenstärkste Zeitung The Sun dagegen eine Kolumne unter dem Titel "Shhh... Lassen Sie Ihre Kinder im Bett bleiben." Das größte Problem, hieß es darin, sei, "die jungen Leute vom Wählen abzuhalten". Das sollte ihnen offenbar nicht gelingen.

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