CETA – Mythen und Fakten

Das Maskottchen der CETA-Gegner, das Trojanische Pferd.
Hebeln Konzernklagerechte die Demokratie aus? Droht TTIP durch die Hintertür?

Bis 18. September läuft noch die Mitgliederbefragung der SPÖ zu CETA. Das Wissen der Österreicher über diesen EU-Kanada-Handelspakt ist eindeutig ausbaufähig.

Jüngste Beispiele: SPÖ-Geschäftsführer Georg Niedermühlbichler scheiterte daran zu erklären, wofür das Kürzel steht. Und FPÖ-Hofburganwärter Norbert Hofer kritisierte das vermeintliche Geheimabkommen – dessen Text seit September 2014 offen zugänglich im Internet ist.

Über den kontroversiellen Investorenschutz und die Sonderklagerechte kursieren besonders viele Gerüchte.

Was stimmt, was ist falsch?

CETA ist der kleine Bruder, quasi die Vorstufe zu TTIP.

Falsch, es sind zwei unterschiedliche Abkommen. Die Verhandlungen mit den USA (TTIP) stecken fest. Die mit Kanada (CETA) sind seit zwei Jahren beendet, abgesehen von kleinen Nachträgen. Was fehlt, sind die Beschlüsse im Rat, im europäischen Parlament und in den nationalen Kammern. CETA ("Comprehensive Economic and Trade Agreement") bedeutet übrigens umfassendes Wirtschafts- und Handelsabkommen. Gelten könnte es frühestens ab 2017.

Der Investorenschutz ist eine Paralleljustiz und räumt ausländischen Konzernen Sonderklagerechte ein.

Das stimmt, liegt aber in der Natur der Sache. Ein ausländisches Unternehmen soll eine neutrale Schiedsinstanz anrufen können, wenn es sich durch einen Staat diskriminiert fühlt und dessen Gerichten nicht zutraut, rasch und ohne politische Einflüsse zu urteilen. Meist geht es um einen Schadenersatz für eine Enteignung, entzogene Lizenz oder gebrochene Zusage.

Die Kanadier drücken der EU die Klausel aufs Auge.

Falsch, es war umgekehrt. Die 28 EU-Staaten hatten im Juli 2011 einstimmig gefordert, dass CETA einen Streitbeilegungsmechanismus für Investorenklagen (ISDS) enthält. Als das Resultat vorlag, brach in Deutschland und Österreich ein Sturm der Entrüstung los. Die EU-Kommission schlug daraufhin ein neuartiges Investitionsgerichtssystem (ICS) vor, das die Kanadier akzeptierten – zur Überraschung vieler Insider.

Es kommt immer öfter vor, dass Konzerne Staaten auf Schadenersatz klagen.

Stimmt. Die Zahl der Fälle ist sprunghaft angestiegen: 70 Klagen allein im Jahr 2015 waren ein Rekord. Der Grund: Es gibt immer mehr solche Abkommen, weltweit rund 3000. Und: Die Klagen sind ein lukratives Geschäft für große Anwaltskanzleien. Insgesamt sind 696 Fälle bekannt. Tatsächlich liegt die Zahl wohl höher, weil Klagen bisher oft geheim blieben. CETA verlangt, dass alle Verhandlungen und Dokumente öffentlich sind.

Die Verfahren gehen meist zugunsten der Konzerne aus. Staaten können nicht einmal gegen die Urteile berufen.

Falsch. 36 Prozent der Fälle gewannen bisher die Staaten, 26 Prozent die Investoren. Weitere 26 Prozent wurden einvernehmlich geklärt, der Rest eingestellt. CETA sieht ein Berufungsgericht vor – zum Missfallen der Investoren, weil die Verfahren so länger dauern und teurer werden.

Eine kleine Clique von Schiedsrichtern entscheidet die Fälle – einmal als Firmenanwalt, dann als Richter.

Für CETA ist das falsch. Bisher waren Interessenkonflikte denkbar, weil Juristen einmal auf der Kläger-, dann auf der Richterseite sitzen konnten. Für den ICS bestellen aber die Staaten (Kanada und die EU) dauerhafte Richter. Wer in welchem Fall urteilt, entscheidet der Zufall.

Kanada und die EU haben eine ausgefeilte Justiz, da braucht es keine Schiedsgerichte.

Auslegungssache. Ursprünglich sollten Schiedsgerichte die Investoren in Ländern mit unterentwickeltem Rechtssystem vor Willkür schützen. Die Statistik zeigt: Am öftesten wurden zwischen 1987 und 2015 Argentinien (59 Fälle) und Venezuela (36) geklagt; zwei Staaten, die mit Privateigentum nicht eben zimperlich umgehen. Kanada folgt mit 25 Fällen schon auf Platz sechs; vermutlich, weil dort viele Bergbaukonzerne tätig sind, bei denen die Investitionen rasch in Milliardenhöhe gehen.

Verblüffend ist jedoch: Die allermeisten Schiedsverfahren (130), fast ein Fünftel, fanden EU-intern statt. Das heißt, dass EU-Firmen andere EU-Staaten wegen ungerechter Behandlung klagten. Offenkundig ist sogar in der EU das Vertrauen in die unabhängige Justiz begrenzt.

Mit CETA können US-Konzerne via Kanada klagen.

Denkbar ist das. Bei 40 Prozent der kanadischen Firmen sitzt die Konzernmutter in den USA. Eine Briefkastenfirma reicht aber nicht mehr aus, um eine Klage zu begründen. Bei Umgehungsversuchen sind die Schiedsrichter streng. Philip Morris’ Klage gegen Australien wegen verschärfter Raucherschutzgesetze wurde genau deshalb abgewiesen. Der US-Konzern hatte über eine Holdingfirma in Hongkong geklagt.

Konzerne können entgangene und sogar künftige Gewinne einfordern, wenn Umweltgesetze geändert werden.

Ansichtssache. Es gibt solche Verfahren: Die schwedische Vattenfall prozessiert gegen Deutschland, das die Restlaufzeit der Atomkraftwerke verkürzt hat. Spanien handelte sich mit einer gebrochenen Förderzusage für Erneuerbare Energie eine Klagswelle ein. Die kanadische Firma Gabriel Resources (mit Ex-Kanzler Alfred Gusenbauer im Direktorium) klagt Goldabbaurechte im rumänischen Roșia Montană ein, wo die Bevölkerung gegen den Einsatz von giftigem Zyanid Sturm läuft. CETA grenzt solche Klagen jedoch ein: Staaten wird ausdrücklich zugestanden, die Gesetze im öffentlichen Interesse wie Gesundheit, Sicherheit, Umweltschutz oder kulturelle Vielfalt zu ändern. Weniger Gewinn ist also kein Grund für eine Klage, außer bei staatlicher Willkür oder wenn kanadische Anbieter diskriminiert wurden.

Fazit: Ist Investorenschutz à la CETA akzeptabel?

Das hängt ganz davon ab. Wer der Ansicht ist, dass Staaten prinzipiell jederzeit die Spielregeln ändern dürfen, ohne Rücksicht auf Firmen zu nehmen, der wird den Investorenschutz von Haus aus ablehnen. Wer das Instrument zwar an sich für sinnvoll, aber zu sehr ausgeufert hält, der kann mit den neuen CETA-Regeln gut leben.

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