Guardian-Redaktion im Visier des Geheimdienstes

Chefredakteur protestiert: Nach Drohungen und Erpressung dringen Agenten in die Redaktion der renommierten Zeitung ein und lassen Festplatten zerstören. Washington distanziert sich vom Vorgehen der Briten.

Sie hatten ihre Affäre. Es gibt keiner Grund mehr, noch mehr darüber zu schreiben.“ Mit Drohungen wie dieser ist Alan Rusbridger in den vergangenen Wochen mehrfach konfrontiert worden. Der Mann, der ihn auf diese Weise unter Druck zu setzen versuchte, war – wie der Chefredakteur des Guardian nun an die Öffentlichkeit brachte – ein hochrangiger Mitarbeiter von Premierminister David Cameron. Wie der Independent berichtet, soll Cameron sogar persönlich veranlasst haben, Druck auf die Redaktion auszuüben.

Seine Forderung an den Chefredakteur: Alle Daten von und über Edward Snowden müssten sofort vernichtet, oder an den Geheimdienst ausgehändigt werden. Die renommierte britische Tageszeitung war eines von drei Medien weltweit, die den NSA-Aufdecker Snowden getroffen und von ihm Datenmaterial über die Arbeit des Geheimdienstes erhalten hatten.

Es gebe andere Regierungsstellen, machte der Anrufer gegenüber Rusbridge deutlich, die ein weit härteres Vorgehen gegen die Zeitung forderten.

Offene Erpressung

Guardian-Redaktion im Visier des Geheimdienstes
epa03831352 An undated handout image provided by The Guardian newspaper on 20 August 2013 shows The Guardian editor Alan Rusbridger. Recently, Rusbridger has claimed that British authorities ordered the newspaper to destroy hard drives with information on the Edward Snowden case, after the newspaper started reporting the leaks. These allegations come shortly after Guardian reporter Glenn Greenwald's partner was detained in the airport for up to 9 hours after Greenwald's reports on the NSA's ellectronic surveillance. EPA/THE GUARDIAN / HANDOUT HANDOUT EDITORIAL USE ONLY/NO SALES
Der Weigerung des Chefredakteurs folgten weitere Drohungen und schließliche persönliche Treffen mit anonymen Regierungsvertretern, die ihn offen erpressten. Wenn die Daten nicht ausgehändigt würden, werde man direkte Maßnahmen gegen die Zeitung ergreifen.

Tatsächlich erschienen vor etwa zwei Wochen Agenten des britischen Geheimdienstes in der Guardian-Redaktion in London und zwangen die Mitarbeiter, vor ihren Augen die Festplatten im Keller, die die Daten enthielten, zu zerstören.

Es sei „einer der bizarrsten Momente in der langen Geschichte des Guardian“ gewesen, beschreibt Rusbridger in einem sehr persönlich gehaltenen Kommentar die Ereignisse. Er habe die Regierungsleute schon zuvor mehrfach darauf aufmerksam gemacht, dass die Daten selbstverständlich kopiert und außerdem quer über die Welt verschickt worden seien. Glenn Greenwald, der Enthüllungs-Journalist, der die Snowden-Daten für den Guardian auswerte, arbeite außerdem in Rio de Janeiro. All das habe die Agenten nicht aufhalten können. Sie hätten die Zerstörung der Festplatten genauestens kontrolliert, damit, so scherzt der Chefredakteur bitter, „in den Eisentrümmern auch ja nichts mehr ist, was für chinesische Spione, die gerade einmal vorbeischauen, interessant sein könnte“.

Washington distanziert sich

Das Weiße Haus in Washington hat sich vom Vorgehen der britischen Regierung distanziert. Auf die Frage, ob Regierungsmitarbeiter in ein Medienunternehmen gehen würden, um dort Festplatten zu zerstören, antwortete der Sprecher des Weißen Hauses, Josh Earnest, am Dienstag (Ortszeit): "Es ist sehr schwer, sich ein Szenario vorzustellen, in dem das angemessen wäre".

Weder diese Aktion, noch das Festhalten und Verhören von Greenwalds Lebenspartner David Miranda (siehe Bericht unten) könnten die Arbeit des Guardian an den NSA-Daten stoppen: „Wir werden auch weiterhin mit Geduld und Genauigkeit über die Snowden-Dokumente berichten – wir werden es einfach nicht in London tun.“

Doch trotz der Sinnlosigkeit der Geheimdienst-Aktionen will Rusbridger darin nicht nur einfach einen Vorfall sehen: „Ein Staat, der eine solche Überwachungs-Maschinerie aufbaut, wird alles daran setzen, um zu verhindern, dass Journalisten darüber berichten.“

Für ihn ist damit der für den Journalismus unerlässliche Schutz von Informanten bedroht. Es werde unmöglich gemacht, Quellen für Informationen geheim zu halten. „Ich frage mich, wie viele tatsächlich verstanden haben, was für eine riesige Gefahr für den Journalismus diese totale Überwachung bedeutet.“

„Sie haben mir gesagt, dass sie mich ins Gefängnis stecken, wenn ich nicht bereit bin, zu kooperieren“, sagte David Miranda, Lebenspartner von NSA-Enthüllungsjournalist Glenn Greenwald, nach seiner Ankunft in Rio de Janeiro.

Miranda war während seiner Heimreise von Berlin nach Rio de Janeiro bei einem Zwischenstopp in London-Heathrow im Transitbereich neun Stunden von der Polizei festgehalten und verhört worden. Dabei wurden seine Taschen durchsucht und mehrere elektronische Geräte konfisziert. „Ich musste ihnen alle Passwörter für Handy und Computer preisgeben.“ Die Polizei hielt Miranda auf Grundlage des in Großbritannien geltenden Anti-Terrorgesetzes fest. Er wurde jedoch während des Verhörs weder als Terrorist beschuldigt, noch mit solchen in Verbindung gebracht.

Mit den NSA-Enthüllungen habe der 28-Jährige auch nichts zu tun. Aus Berlin sollte er Unterlagen von Laura Poitras abholen – der amerikanischen Filmemacherin, die zusammen mit Greenwald an den Veröffentlichungen der NSA-Dokumente von Edward Snowden beteiligt war. „Ich spiele in diesen Veröffentlichungen keine Rolle“, sagt Miranda. „Ich weiß nicht einmal, ob es Dokumente waren. Es hätten auch Filmaufnahmen sein können.“

Die Polizei rechtfertigte ihr Vorgehen als „juristisch korrekt“. Die Befragung von Miranda sei „notwendig und angemessen“ gewesen. Währenddessen betonen die USA, in keiner Weise an der Befragung von David Miranda beteiligt gewesen zu sein. Ein Sprecher des Weißen Hauses bestätigte jedoch, dass die USA alarmiert worden waren, nachdem Mirandas Name auf der Passagierliste eines Fluges von Berlin nach London aufgetaucht war.

Miranda selbst will jetzt Zivilklage einreichen.

(Von Alexandra Koller)

Der britische Geheimdienst hat digitale Dokumente bei der Londoner Zeitung Guardian zerstört. Doch die dem Guardian überlassenen Informationen des ehemaligen Geheimdienstlers Edward Snowden sind damit wohl nicht verloren: Es existieren weitere Kopien.

Snowden selbst antwortete Mitte Juni ausweichend auf die Frage, wie viele verschiedene Menschen Kopien der Unterlagen hätten. "Alles, was ich dazu sagen kann, ist, dass die US-Regierung das nicht verdecken kann, indem sie mich einsperrt oder umbringt", schrieb er in einer Fragerunde des Guardian. Beobachter werteten das als Hinweis, dass weitere Versionen der Dokumente existieren.

Die Enthüllungsplattform WikiLeaks verbreitete am Dienstag mehrere Links zu verschlüsselten Dateien, die sie als "Versicherung" bezeichnete. "Die Zerstörung von Festplatten mit Snowden-Material beim Guardian zeigt, warum es für WikiLeaks nötig ist, Versicherungsdateien zu verbreiten", hieß es auf dem Twitter-Profil der Enthüllungsplattform. Die zur Entschlüsselung der Daten nötigen Informationen veröffentlichte WikiLeaks nicht.

Neben dem Guardian konnten die Washington Post und das deutsche Nachrichtenmagazin Der Spiegel einen Teil von Snowdens Unterlagen einsehen.

Die Vereinten Nationen sehen eine unabhängige, pluralistische und freie Presse als wesentlichen Bestandteil jeder demokratischen Gesellschaft an. Medien müssten "unabhängig von der Kontrolle durch Regierung, Politik oder Wirtschaft" sein. Zensur gilt als "schwerwiegender Verstoß gegen die Menschenrechte".

Die Pressefreiheit ist allerdings in vielen Ländern eingeschränkt. Die Journalistenorganisation "Reporter ohne Grenzen" listet als besonders positive Beispiele die skandinavischen Länder und die Niederlande auf. Deutschland folgt auf Platz 17, Großbritannien auf 29 und die USA auf 32. Ganz am Ende rangieren Nordkorea (178) und Eritrea (179). Österreich liegt auf Rang 12, 2012 lag die Alpenrepublik noch auf Rang 5.

England war 1695 das erste Land, in dem durch den Wegfall der Zensur praktisch die Pressefreiheit eingeführt wurde. In Deutschland ist sie dagegen eine junge Errungenschaft. Seit dem 19. Jahrhundert gab es zwar immer wieder Versuche, staatliche Zensur abzuschaffen. Sie blieben aber ohne anhaltenden Erfolg. Unter den Nationalsozialisten war die Presse gleichgeschaltet, in der DDR wurden die Medien durch die SED gelenkt und kontrolliert.

Im Grundgesetz für die Bundesrepublik ist die Pressefreiheit in Artikel 5 verankert. Darin heißt es: "Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt."

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Activist from Internet Party of Ukraine participat
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NSA whistleblower Edward Snowden, an analyst with
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Photos of Snowden, a contractor at the NSA, and U.
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Protesters supporting Snowden hold a photo of him
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RUSSIA EDWARD SNOWDEN
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RUSSIA GAS EXPORTING COUNTRIES FORUM
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Television screens show former U.S. spy agency con
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ECUADOR USA SNOWDEN
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GERMANY IT NSA
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RUSSIA SNOWDEN
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BOLIVIENS STAATSCHEF MORALES WEGEN SNOWDEN-VERDACH
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Venezuela's President Nicolas Maduro and Nicaragua
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FILE RUSSIA PEOPLE SNOWDEN
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RUSSIA SHEREMETYVO SNOWDEN
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