"Der Onkel hat Hitlers Schatz gerettet"

69 Jahre nach Kriegsende spricht erstmals ein Mitglied der Familie über den NS-Kriegsverbrecher.

Nein, von den anderen Verwandten ist dann doch keiner gekommen zum Interview. Auch nach 70 Jahren will niemand von ihnen in der Öffentlichkeit reden, über den Vater, den Onkel und das, was er einem persönlich bedeutet. Zu groß ist die Kluft zwischen dem Bild, das Ernst Kaltenbrunner in der Geschichte hinterlassen hat, und dem, das in seiner Familie fast trotzig bewahrt wird.

Hier der Chef von SS und Gestapo, verantwortlich für viele der schlimmsten Verbrechen der NS-Diktatur, dafür in Nürnberg zum Tode verurteilt und gehängt. Dort aber der Vater, der noch im letzten Telegramm aus der Zelle in Nürnberg schrieb, dass "ich mit dem Schicksal nicht hadern will, das mich verantworten lässt, was ich nicht wollte".

"Der Onkel hat Hitlers Schatz gerettet"
Dass er, der Michl, sich jetzt allein hinsetzt, mit dem KURIER und dem TV-Sender Puls4, und über den Onkel Ernst erzählen will, hat einen aktuellen Grund. Im Hollywood-Film "Monuments Men" jagt derzeit eine Kunstschützer-Truppe der Alliierten von der NS-Diktatur zusammengeraubte und -gekaufte Kunstschätze. Spürt sie in Schlössern und Bergwerken auf – und findet den größten Schatz in Altaussee im Salzkammergut: Hitlers private Sammlung, die einst in sein "Führermuseum" in Linz einziehen sollte. Im Bergwerk von Altaussee aber wäre sie um ein Haar gesprengt worden, hätte ein Mann sich nicht in letzter Minute gegen den Befehl zu Vernichtung gestellt: Ernst Kaltenbrunner.

"Nein sagen ging nicht"

Es gibt viele Helden in dieser abenteuerlichen Geschichte zu Kriegsende, Bergleute, Widerstandskämpfer, die Bergwerksleitung, doch für Michl Kaltenbrunner zeigt sie vor allem eines: "Der Onkel Ernst war nicht der Schlächter, als der er hingestellt wird, so einen hätte man doch nicht um Hilfe gebeten. Er hat alles daran gesetzt, um die Kunstschätze zu retten".

"Schadensbegrenzung", habe der Onkel betrieben, davon ist Michl überzeugt, nicht nur bei den Kunstschätzen in Altaussee: "Der hat schon 1943 gewusst, dass das falsch ist, was da rennt."

"Gar nicht aus können hat er", als man ihn nach Berlin berufen habe, als Chef des Reichssicherheitshauptamtes, und damit an die Spitze von Gestapo und SS, ganz nach oben in der Hierarchie der NS-Diktatur: "Nein sagen, ging nicht."

Auch Michl Kaltenbrunner weiß, wie viel Schuld allein diese Machtposition auf seinem Onkel abgeladen hat. Doch an den Menschen, an das Familienmitglied, will er diese Schuld trotz allem nicht heranlassen: "Der Onkel wird natürlich was gewusst haben, wird mit Sicherheit die eine oder andere Sache zu verantworten haben. Aber Völkermord? Sicher nicht. Das war er nicht."

Michl hat all die Erinnerungen zusammengetragen, die ihn an diese Überzeugung glauben lassen. Begegnungen mit Überlebenden der Diktatur, die sich nach dem Krieg bei der Familie bedankt haben, weil der Onkel sie gerettet habe. Das Bettengeschäft, das ihnen die Wäsche geschickt hat, oder der ehemalige Landeshauptmann von Oberösterreich, Heinrich Gleißner, "der hat im Interview im Radio gesagt: ’Wissen Sie, ich hab’ es dem Ernst Kaltenbrunner zu verdanken, dass ich noch lebe.’" Auch seinen eigenen Bruder Robert, also Michls Vater, habe der Ernst vor dem Schlimmsten bewahrt, einfach indem er ihn nicht in die NS-Führungsriege holte.

Robert Kaltenbrunner war ebenfalls bei der SS, blieb aber bis zu Kriegsende eine niedere Charge: "Der Onkel Ernst hat da regelrecht darauf geachtet, dass seine Brüder da nicht involviert werden. Der hätte ihnen doch leicht eine politische Karriere ermöglichen können. Das hat er aber nicht gemacht, weil ihm schon klar war, dass das alles den Bach runtergeht."

Kaum darüber geredet

Viel gesprochen hat man in der Familie über all das auch später nicht, über die NS-Zeit, den Onkel Ernst, über die Verbrechen, für die man ihn in Nürnberg verurteilt hat.

Erst spät, als alter Mann, hat ihm sein Vater ein paar Geschichten von damals, von den Brüdern erzählt: Über die Anfänge bei der deutschnationalen, schlagenden Burschenschaft, "über die Kameradschaft, die dort gepflegt worden ist". Lustige Burschen seien die gewesen, die Kaltenbrunner-Brüder, nach denen hätten sich auf der Straße die Frauen umgedreht: "Keine Kinder von Traurigkeit."

Der Weg von dort, in die NSDAP, als Illegaler, war nicht weit. Kameradschaft, so hat das Michl der Vater geschildert, gab es auch dort, "Die NSDAP war ja nicht das, was sie später war. Das war eine Partei wie jede andere, oder ein Verein. Das war einfach etwas Neues, die haben gesagt, ’tun wir uns zusammen und schauen wir, dass wir Arbeit finden’."

Mit dem Onkel, dem Privatmenschen Kaltenbrunner tut sich Michael merklich leichter als mit der Politik und den Schrecken der NS-Diktatur. Immer wieder betont er, dass das wohl andere genauer recherchiert hätten als er, dass er vor allem eines vermeiden wolle: "Ich will nicht als Nazi dastehen, das bin ich nicht. Ich steh’ nur zu meinem Vater und meinem Onkel, auch wenn ich nicht stolz darauf bin, dass er ein Teil dieses Systems war."

Wogegen sich der umgängliche Voest-Pensionist am meisten wehrt, sind die Beschreibungen, die den Onkel als primitiven, kalten Mörder darstellen. Gebildet sei er gewesen, ein Naturmensch und Sportler, hätte sich immer um die Familie gekümmert: Die Mutter, die Brüder und die Frau, die ihn dann in Nürnberg sogar noch besuchen gekommen sei. Das ist der "Onkel Ernst", den man im Familiengedächtnis bewahren möchte.

Und weil die Geschichte mit all den Verbrechen trotzdem unverrückbar im Raum stehen bleibt, versucht man das Bild vom Onkel auch damit irgendwie in Einklang zu bringen: Er sei eben aus der Sache nicht mehr rausgekommen. "Nein" sagen wäre auch für ihn tödlich gewesen: "Und der Onkel Ernst", bemüht sich dessen Neffe 70 Jahre später um einen versöhnlichen Kompromiss, "ist halt immer nach dem Prinzip vorgegangen: Lehn dich soweit aus dem Fenster, dass du nicht rausfällst."

TV-Tipp: Das ganze Interview sehen sie Freitag um 18.45 in "Guten Abend Österreich" auf Puls4.

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