Berlusconis Partei macht Druck für Begnadigung

Berlusconis PdL will von Staatspräsident Napolitano eine Begnadigungfür den Ex-Premier erzwingen.

Nach der rechtskräftigen Verurteilung des früheren Premier Silvio Berlusconi machen dessen Anhänger mobil: Im Internet wurde eine Unterschriftenaktion gestartet, um eine Begnadigung des 76-Jährigen zu beantragen. Und bei einer Protestkundgebung vor der römischen Residenz des Cavaliere demonstrierten am Sonntagabend rund 2000 Berlusconi-Sympathisanten, die aus dem ganzen Land angereist waren, aber auch Par­lamentarier seiner PdL-Partei ihre Solidarität. „Wir sind alle mit Silvio“, lautete ihr Slogan.

Mit allen Mitteln kämpfen Berlusconis Minister und Abgeordnete gegen den Schuldspruch für ihre Leitfigur: Heute werden die Fraktionschefs Renato Schifano und Renato Brunetta mit Staatspräsident Giorgio Napolitano zusammentreffen, um mit ihm über die Möglichkeit einer Begnadigung zu diskutieren.

Vor dem Treffen hatte dies nach einem Ultimatum geklungen: Werde Berlusconi nicht begnadigt, würden sich sämtliche PdL-Parlamentarier und Minister zurückziehen. Die noch junge Regierung von Premier Letta stünde dann vor dem Aus, die näch­ste schwere Krise stünde Italien ins Haus. Berlusconi selbst gab sich zurückhaltender: Vor seinen Anhängern sagte er, dass er die Regierung weiterhin unterstützen werde. Letta begrüßte die Erklärung.

Keine Handhabe

Dass sich Präsident Napolitano so plump unter Druck setzen lassen würde, galt auch als äußerst unwahrscheinlich. Der Staatschef habe es gar nicht in der Hand, den wegen Steuervergehens verurteilten Berlusconi zu begnadigen, sagen Rechtsexperten. Denn begnadigt werden könne nur jemand, gegen den nicht noch – wie im Falle Berlusconis – weitere Verfahren laufen.

Der Cavaliere, der am Donnerstag in letzter Instanz zu vier Jahren Haft verurteilt worden war, hält sich derzeit mit Familie und Freundin in seinem Palazzo Grazioli im Zentrum von Rom auf. Hier steht er unter Hausarrest, sein Pass wurde am Samstag eingezogen. Ins Gefängnis muss er nicht – dank eines von ihm selbst durchgesetzten Gesetzes, wonach über 70-Jährige in Italien ihre Strafe zu Hause absitzen dürfen.

Ob auf Berlusconi auch ein Ämterverbot zukommt, ist hingegen noch nicht entschieden. Dieses Verfahren muss im Herbst noch einmal neu verhandelt werden. Seine Partei stellt fünf Minister, Berlusconi selbst ist nicht Kabinettsmitglied.

KURIER: Herr Heinichen, vier Jahre Haft für Silvio Berlusconi. Davon muss Italiens Ex-Premier nur ein Jahr in Form von Hausarrest absitzen und über sein Politik-Verbot wird neu verhandelt. Das liest sich wie eine typisch italienische Lösung. Was halten Sie von dem Urteil?

Veit Heinichen: Die verkrusteten Machtstrukturen sorgen überall in Italien dafür, dass man ein Schlupfloch findet – und zwar mit allen Tricks. Was Berlusconi zusätzlich unterscheidet, ist, dass er sich einen extrem großen Juristenapparat leisten kann. Und zweitens hat er einige dieser Gesetze, die nun eine Form von Amnestie im Ausmaß von drei Jahren ermöglichen, selbst eingeleitet. Das passierte 2006 , als er in erster Instanz verurteilt wurde.

Aber ich lege darauf Wert, dass man nicht nur mit erhobenem Finger auf Italien zeigt. Die Macht versucht immer punktuell der Legislative zu entkommen. Dafür gibt es auch einige gute Beispiele in Österreich. Und ich würde jetzt auch nicht behaupten, dass in Österreich italienische Verhältnisse herrschen.

Ist die politische Macht von Silvio Berlusconi nach dem Urteil nun endgültig beendet?

Das Urteil ist auf jeden Fall bedeutsam und wird im Ausland schwer unterschätzt. Denn im November 2012 wurde unter Premier Mario Monti ein Gesetz verabschiedet, das da lautet: Wer zu mehr als zwei Jahren verurteilt wurde, darf nicht mehr für ein politisches Amt kandidieren. Das heißt: Egal, ob das Urteil für Berlusconi vier Jahre, oder vier minus drei Jahre lautet. Berlusconi darf bei den nächsten Wahlen nicht antreten.

Wie geht es mit dem laufenden Senatsmandat weiter. Wird Berlusconi sein Mandat verlieren?

Das Urteil wurde ihm schon am Freitag zugestellt – also extrem schnell. Es wird auf jeden Fall zu einer Schlacht kommen, denn der Senat ist von Berlusconis Bündnis beherrscht. Sie werden jede Menge Krach machen. Wobei es, meiner Meinung nach, ausgeschlossen ist, dass Berlusconi sein Mandat behalten kann. Das wäre wider alle Gesetze. Aber natürlich versucht Berlusconis Bündnis die Regierung so auszubremsen.

Wie haben Sie seinen TV-Auftritt nach dem Urteil erlebt?

Er spielte auf Staatsmann mit Europa- und Italienfahne im Hintergrund. Aber er war sichtlich gezeichnet. Mit diesem Urteil hat er nicht gerechnet, denn Berlusconi lebt in seiner eigenen Welt und hielt sich bis jetzt für „untouchable“.

Wie konnte Berlusconi die Italiener – trotz seiner zahlreichen Skandale – über 20 Jahre in seinen Bann ziehen?

Das Phänomen kennt man auch in Österreich. Jörg Haider wurde auch immer wieder gewählt. Aber Berlusconi ist mit Sicherheit der Politiker, der am meisten Charisma gezeigt hat. Und er war auch am lernfähigsten, sowohl rhetorisch als auch bei seinen politischen Mechanismen. Die Stärke Berlusconis resultiert aber auch aus der Schwäche der Linken. Die Opposition sollte der stärkste Pfeiler einer Demokratie sein. Aber wenn die Opposition nichts taugt, dann passieren genau diese Auswüchse, die früher oder später zur Implosion führen. Das Mitte-links-Bündnis in Italien taugt so wenig wie der Peer Steinbrück in Deutschland oder die Labour-Partei in England. Die konservativen Politiker haben es geschafft, die Domänen der Linken zu besetzen. Es ist eine Schande, dass Berlusconi und Nicolas Sarkozy in Frankreich Frauen in die Ministerposten geführt haben und nicht die Linke. Plötzlich gab es in Italien einen Frauenanteil von 40 Prozent in der Regierung. Detto ist es eine Schande, dass es Angela Merkel war, die die Atompolitik Deutschlands verändert hat. Die linken Parteien sind leider in ihrer Arroganz verankert. Sie verweigern sich jeglicher Erneuerung und überlassen die Volksnähe, die sich durch dumpfesten Populismus auszeichnet, dem politischen Gegner.

Viele der Frauen, die Berlusconi in Ministerposten gehievt hat, waren allerdings nicht qualifiziert für den Job ...

Auch die Männer waren oft nicht für die Ministerposten qualifiziert. Und in der Politik ist es doch heute überall so: Man nimmt aus dem Parteiapparat die Willfährigen und nicht die Kompetenten. Daraus resultiert die Politikverdrossenheit vieler, die eigentlich die Kompetenz gesucht haben, aber nicht den Gehorsam.

Wie war die Stimmung nach dem Urteil unter den Italienern?

Bei einigen gab es ein Aufatmen, aber die meisten haben gelassen reagiert. Denn wir sind mittlerweile schon so viel gewohnt. Wie groß die Verdrossenheit ist, hat sich bei den letzten Wahlen gezeigt. Die Wahlbeteiligung der Italiener lag nie unter 75 Prozent. Dieses Mal sank sie um acht Prozent. Und von den Stimmen hat rund ein Viertel Beppe Grillo eingesackt. Seine Proteststimmen kommen aus allen Polit-Lagern. Dieses Ergebnis hat Symbolkraft. Die Menschen haben die Nase voll. Es gibt riesige Probleme im Alltag. Italien ist in der Krise, während man in Österreich gar nicht weiß, wie man das Wort Krise schreibt. Und das ist schon seit geraumer Zeit so. Alle wissen, dass die bisherigen Protagonisten die Probleme des Landes nicht lösen können.

Wie zeigt sich die Wirtschaftskrise in einer Stadt wie Triest?

Die Gesetze, die von Monti erlassen wurden, greifen – aber leider im negativen Sinn. Seit Donnerstag wird der gesamte Zahlungsverkehr der Banken überwacht. Dieser wird dann dem Einkommen gegenübergestellt – und wenn es Zweifel gibt, hat man gleich die Finanz im Haus. Dann wurde die Steuerlast extrem erhöht. Zusätzlich dürfen in Italien seit 1. Juli lediglich Beträge unter 1000 Euro mit Bargeld bezahlt werden. Bisher lag die Grenze noch bei 2500. Damit wollte Monti das Schwarzgeld eindämmen. Aber die Steuerhinterziehung passiert nicht beim Mittelstand. Das alles hat den Konsum abstürzen lassen. Die Shops, Bars und Restaurants leiden extrem darunter. Monti hat zwar einen seriösen Ton in die Politik gebracht. Aber er war komplett wirtschafts- und vor allem mittelstandsfeindlich. Er wurde vom Ausland überschätzt – und allein nur deswegen, weil er einen seriösen Eindruck gemacht hat.

Sie waren mit der Ära Monti offensichtlich nicht zufrieden?

Anfangs war ich pro Monti. Aber als er die ersten Gesetze erlassen hat, war schnell zu erkennen, dass er die Wirtschaft killt. Durch seine Politik werden nur die Kleinverdiener kontrolliert, den Großverdienern hingegen passiert gar nichts. Und er hat keinerlei Wirtschaftsimpulse gesetzt, um Wachstum zu fördern. Monti hat te die Handbremse mit beiden Händen angezogen. Es kann nicht sein, dass wenn man die Schwarzgeldgeschäfte eindämmen möchte, auch gleich die Wirtschaft blockieren muss. Monti hätte nur Kontrollsysteme einführen müssen, die es in anderen Ländern auch schon gibt.

Wie spürt man die Angst der Italiener vor der Zukunft?

Die Angst, den Job zu verlieren, ist überall präsent. Wir haben 39 Prozent Jugendarbeitslosigkeit. Viele der jungen Italiener bekommen weder eine Kreditkarte noch einen Mietvertrag. Das heißt, sie leben auf kleinstem Raum mit den Eltern. Teilweise können Sie sich nicht einmal mehr den Internetanschluss leisten. Am Abend ausgehen oder nur eine simple Pizza essen gehen, ist kaum mehr drinnen. Das führt zur Isolation und in der Folge dazu, dass die Menschen ihre Informationen nur von den TV-Sendern, die Berlusconi besitzt oder zu seinem Netzwerk zählen, erhalten.

Die Wirtschaftsdaten von Italien sind alles andere als rosig. Die Wirtschaftsleistung soll dieses Jahr um 1,9 Prozent schrumpfen. Die Staatsanleihen sind nur mehr zwei Ebenen über dem sogenannten Ramsch-Status. Es gibt Befürchtungen, dass Italien noch dieses Jahr unter den Rettungsschirm schlüpfen wird ...

Das glaube ich nicht. Dafür ist zu viel Vermögen in Italien im Umlauf. Italien ist und bleibt einer der größten Nettozahler in der Union. Wir haben exzellente Unternehmen. Aber die internationale Wettbewerbsfähigkeit wird durch die vorhandenen Gesetze nicht gefördert, sondern gebremst. All diese negativen Daten, die veröffentlicht werden, haben medientechnisch immer einen Verkaufshintergrund. Und auch die Rating Agentur sind in der Hand von Medienkonzernen. Ich bin in Bezug auf all diese Nachrichten extrem skeptisch.

Überspitzt formuliert, meinen Sie, dass Italien mit Absicht runtergeschrieben wird?

Wir befinden uns im Bereich des Spekulativen. Und wenn man die Hintergründe kennt, dürften die Meldungen per se nicht als objektiv gewertet werden.

Wie lange wird Italien brauchen, bis es sich von der Ära Berlusconi erholt?

Die Ära ist für mich noch nicht vorbei, weil es sich um ein System handelt, dessen charismatischster Exponent Berlusconi war. Er hat sich in genialer Art und Weise verkauft, das muss man ihm ohne Neid zugestehen. Aber: Man muss auch die Frage stellen, wie sehr ist die Opposition ein Teil dieses System? Denn das Entsetzliche war, dass das Mitte-links-Bündnis aus keiner Vorlage ein Tor gemacht hat. Und es hat fast täglich Vorlagen gegeben.

Was wünschen Sie sich für Italiens Zukunft?

Die verkrusteten Parteien müssen aufbrechen oder ganz verschwinden. Und vor allem muss das Wahlgesetz blitzartig geändert werden, das links und rechts gemeinsam verabschiedet haben. Italien braucht mehr direkte Demokratie.

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