Berlin: Jamaika-Gespräche für Samstag beendet

CSU-Chef Horst Seehofer
Am Sonntag wird weitersondiert und die Gespräche könnten laut Horst Seehofer bis tief in die Nacht dauern. Zuwanderung und Klimaschutz sind strittig, aber die Grünen wollen der CSU offenbar ein Kompromissangebot unterbreiten.

Bei den Sondierungsgesprächen zur Bildung einer Regierungskoalition in Deutschland haben die Jamaika-Unterhändler von CDU, CSU, FDP und Grünen angesichts des Einigungsdrucks Fortschritte erzielt. Keine Ergebnisse gibt es aber nach wie vor beim Thema Migration sowie Klimaschutz und Energie.

In Teilnehmerkreisen hieß es am Samstagabend nach dem Ende der Beratungen, wenn das Thema Migration gelöst werden könne, käme man auch bei Klimaschutz und Energie zusammen. Der Klimaschutz und der Umgang mit Kohlekraftwerken sind für die Grünen besonders wichtig, die Begrenzung der Zuwanderung für die CSU. Auch beim Streitthema Verkehr sind zentrale Fragen wie die Zukunft von Verbrennungsmotoren weiter strittig.

Grünes Kompromissangebot

Die Grünen wollen in der besonders umstrittenen Flüchtlingspolitik der CSU offenbar entgegenkommen. In einem der Nachrichtenagentur Reuters am Samstag vorliegenden schriftlichen Angebot skizzieren die Grünen erwartbare Kapazitäten für Hilfesuchende, unterstreichen aber auch, Abstriche am Recht auf Asyl werde es mit ihnen nicht geben. "Seit der Wiedervereinigung hat die Zahl der Flüchtlinge insgesamt nur in 5 Jahren 200.000 überschritten", heißt es in dem Text. "Deswegen wollen wir in diesem Rahmen auch in Zukunft handeln, gerade mit Blick auf die Integrationsmöglichkeit in den Kommunen."

Die Grünen nehmen damit Bezug auf die Linie von CDU und CSU, die die Nettozuwanderung aus humanitären Gründen pro Jahr auf 200.000 Menschen begrenzen wollen. Das geht jedoch den Grünen zu weit. In ihrem Angebot heißt es: "Das Grundrecht auf Asyl gilt. Es kennt keine Obergrenze." Dieses Grundrecht dürfe nicht ausgehöhlt werden. "Wir stehen zur individuellen Bearbeitung jedes einzelnen Asylantrags und den entsprechenden Vorschriften in Europarecht, Völkerrecht und Grundgesetz", heißt es weiter.

In ihrem Kompromissangebot fordern die Grünen weiter flankierende Maßnahmen für die Aufnahme von Flüchtlingen wie die schnelle Bearbeitung von Anträgen und Deutschkurse. Der Bund müsse sich auch künftig an den Kosten der Integration in den Kommunen beteiligen. "Insofern wird sich der Bundestag bei einer deutlichen Zunahme der Anzahl von Flüchtlingen mit den entsprechenden Herausforderungen und erforderlichen Maßnahmen befassen", heißt es. In grünen Verhandlungskreisen hieß es darüber hinaus, der Familiennachzug für Bürgerkriegsflüchtlinge müsse gewährt werden. Die Grünen würden keinem Gesetz zur Verlängerung des bis März geltenden Verbots des Flüchtlingsnachzugs zustimmen.

Verständigung habe es im Grundsatz bei der Landwirtschaft und Wirtschaft gegeben, machte Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt deutlich. Sie hob bei der Agrarpolitik besonders hervor, dass künftig mit weniger Pestiziden gearbeitet werden soll. "Die Bienen werden es uns danken", fügte sie hinzu. Damit ist den vier Parteien ein Durchbruch in einem ursprünglich sehr umstrittenen Bereich gelungen. Die Grünen hatten im Wahlkampf eine "Agrarwende" gefordert, die von der Union abgelehnt worden war.

In den Verhandlungskreisen hieß es, man habe sich darauf verständigt, zwischen 900 Millionen Euro und einer Milliarde Euro pro Jahr auf die EU-Subventionen draufzugeben, um die Maßnahmen zu finanzieren. Allerdings wurde auch darauf hingewiesen, dass diese Mittel nicht bewilligt seien, solange zum Abschluss der Sondierungen nicht die gesamte Finanzplanung einer künftigen Regierung beschlossen werde. Hintergrund ist, dass der finanzielle Spielraum der künftigen deutschen Bundesregierung möglicherweise nicht ausreicht, um alle Wünsche zu finanzieren, auf die sich die Sondierer geeinigt haben.

CDU-Vize Thomas Strobl sagte, für die Wirtschaft wolle man weniger Bürokratie umsetzen. Zudem strebe man Vollbeschäftigung an. Es gebe ein klares Bekenntnis zum Ordnungsprinzip der sozialen Marktwirtschaft. Man setze auf Innovation und Hochtechnologie und wolle keine zusätzlichen Belastungen für die Wirtschaft. FDP-Fraktionsvize Michael Theurer sagte, das Wirtschaftskapitel sei erfolgreich gelungen. Es gebe ein Bekenntnis zu einer neuen Gründerkultur und zu besseren Voraussetzungen für Start-up-Unternehmen sowie zum Meisterbrief. Offen sei noch eine Einigung über flexiblere Arbeitszeiten.

Offene Punkte bei Verkehr

Beim Thema Verkehr gebe es dagegen noch offene Punkte, betonten beide Politiker. Die Grünen hätten neue Vorschläge in die Diskussion eingebracht, was es schwierig mache, sagte Theurer. Die FDP bestehe hier aber nicht mehr auf Abschaffung der Prämie für Elektroautos. Einen Fortschritt gebe es in diesem Themenfeld in der Frage von Planungsbeschleunigungen. Den Umgang mit Verbrennungsmotoren müssten die Parteichefs klären.

Zuvor hatte der deutsche Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier alle Seiten aufgerufen, ihrer Verantwortung gerecht zu werden. Es bestehe kein Anlass für "panische Neuwahldebatten". Der "Welt am Sonntag" sagte Steinmeier: "Wenn jetzt von den Jamaika-Verhandlern hart um große Fragen wie Migration und Klimaschutz gerungen wird, muss das kein Nachteil für die Demokratie sein." Über die Debatte zum Umgang mit Flüchtlingen und Zuwanderern sagte er: "Wir werden diese Phase nicht überwinden, solange die Migrationsdebatte moralisches Kampfgebiet bleibt." Die Politik müsse jetzt Vorschläge für eine kontrollierte und gesteuerte Zuwanderung entwickeln.

FDP-Chef Christian Lindner betonte die Bedeutung der Bildungspolitik für seine Partei. Die FDP sei besonders für ein Thema gewählt worden: "Das war nicht der Solidaritätszuschlag, sondern das war die Frage einer neuen, modernen zeitgemäßen Bildungspolitik." Er fügte hinzu: "Wir gehen jetzt in die entscheidende Schlussphase dieser als Sondierung getarnten Koalitionsverhandlungen." Vehement verlangte er einen Abschluss der Beratungen: "Sonntagabend 18.00 Uhr ist hier vorbei. Bis dahin wissen wir, was ist an Finanztableau da, welche Richtungsentscheidung es gibt."

Lange Verhandlungen am Sonntag

CSU-Chef Horst Seehofer sagte, endgültig entschieden werde erst am Sonntag. Anders als die FDP geht er nicht davon aus, dass die Verhandlungen schon um 18.00 Uhr beendet werden können. Alexander Dobrindt, Chef der bayerischen CSU-Landesgruppe in der gemeinsamen CDU/CSU-Fraktion im Bundestag sagte: "Die Zeit des Schattenboxens ist vorbei." Der Wille aller sei groß, "zu zeigen, dass auch eine so komplizierte politische Aufgabe gelingen kann". Dobrindt nannte ein gemeinsames Vorgehen gegen die rechtspopulistische AfD als einen Grund für die Bildung eines Jamaika-Bündnisses. Eine Rechtsaußenpartei dürfe sich in Deutschland nicht etablieren.

Dobrindt sagte weiter, es gehe nun darum, "ein Vertrauen zu schaffen, das dann in der Lage ist, auch vier Jahre Regierungsarbeit zu ermöglichen". Auch Göring-Eckardt betonte, es gehe um eine stabile Regierung für die nächsten vier Jahre, "wo es nicht Freundschaft geben muss, aber gegenseitigen Respekt und Vertrauen". CDU/CSU-Fraktionschef Volker Kauder (CDU) drückte ebenfalls aufs Tempo. "Es war jetzt genügend Zeit zum Sondieren. Die Menschen in unserem Land erwarten jetzt auch, dass es mal vorwärtsgeht."

"Rückschritte" beim Klima

Beim Thema Klima gibt es nach Angaben von Grünen-Chefin Simone Peter Rückschritte. Etwa seien Dinge, die schon vereinbart und akkordiert worden seien, nämlich die Energiewende fortzuschreiben und einen relevanten Beitrag zur Erreichung der Klimaschutzziele zu leisten, "teilweise wieder aufgemacht" worden, sagte Peter am Samstag am Rande der Sondierungen in Berlin. Bewegungen fänden bei den Gesprächen oft in verschiedene Richtungen statt. Peter betonte, die Grünen wollten verhandeln und seien bereit zu Kompromissen mit CDU, CSU und FDP. Zu sprechen sei bis Sonntagabend noch über die Asylpolitik, Verkehr, Landwirtschaft, Rüstungsexporte sowie die Außen- und Sicherheitspolitik. Am Sonntag werde dann insgesamt zu bewerten sein, wie man ein Gesamtergebnis erzielen könne.

Nicht nur Klimaschützer demonstrieren in diesen Tagen regelmäßig am Rande der Jamaika-Sondierungen - auch die Gegner eines Kohleausstiegs sind sicht- und hörbar. Am Samstag begrüßten mehr als ein Dutzend von ihnen aus der Lausitz die Jamaika-Unterhändler an der Berliner CDU-Zentrale mit Pfiffen. "Wenn ihr heute den Kohleausstieg wollt, dann bekommt ihr morgen den Blackout", stand auf einem Banner.

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