Bei Londons Suche nach Brexit-Kurs setzt sich die Wirtschaft durch

In der Londoner City sollen auch nach dem Brexit EU-Banker werken
Analyse. Die geschwächte Regierung von Theresa May kommt von ihrem harten Brexit ab. Was zählt, sind offene Grenzen für Menschen und Waren.

Lkw-Schlangen an den Grenzen, Papierkrieg mit Zolldokumenten, stundenlange Verzögerungen: In der britischen Wirtschaft kursieren schon jetzt angesichts des drohenden Brexit Schreckensszenarien. Vor allem die eng mit ganz Europa verzahnte Autoindustrie, die ja Bauteile meist auf die Stunde genau geliefert bekommt und keine Lagerbestände mehr besitzt, befürchtet Störungen der Produktion.

Entsprechend heftig ist der Druck, den die Industrie derzeit auf die Regierung in London ausübt. Offensichtlich mit Erfolg. Die seit dem enttäuschend knappen Wahlsieg im Frühjahr ohnehin angeschlagene Regierung von Theresa May ist auf dem Weg zum Brexit ohnehin bereits deutlich vom anfänglichen Kurs abgekommen. Der lange Zeit zumindest angedrohte "harte Brexit", also das Kappen aller Brücken zur EU, wird immer unwahrscheinlicher.

Schon zu Wochenbeginn hatte London deutlich gemacht, dass man nach dem geplanten EU-Ausstieg im Frühjahr 2019 vorübergehend in einer Zollunion mit der EU bleiben will. Doch auch für die Zeit nach dieser Übergangsperiode werden bereits eifrig Pläne erstellt, wie britische Diplomaten gegenüber dem KURIER deutlich machen. Wenn es also tatsächlich Zollschranken an den Grenzen zur EU geben sollte, dann will man zumindest die dortige Abwicklung von Fracht vollautomatisch abwickeln. So sollen Lkw-Ladungen nur noch per Scan kontrolliert, die Warenpapiere übers Internet übermittelt werden. Noch ambitionierter ist die zweite angedachte Variante: Sämtliche Zollvorschriften so exakt an jene der EU anzugleichen, dass sich die Grenzkontrollen überhaupt erübrigen. Nicht angepeilt wird dagegen die völlige Beibehaltung der Zollunion mit der EU. Schließlich will Großbritannien auf eigene Faust Zollabkommen mit Drittländern schließen.

Gebühr für EU-Bürger

Ähnlich offen wie für Waren sollen auch die Grenzen zur EU für deren Bürger bleiben. Großbritannien, so berichten britische Medien, will weiterhin EU-Bürger weitgehend unbeschränkt auf seinem Arbeitsmarkt zulassen. Berichte über eine Quote zur Beschränkung des Zuzugs von Arbeitskräften wurden umgehend dementiert.

Was es allerdings nach dem Brexit geben könnte, ist eine Gebühr für die Anstellung von EU-Ausländern, ganz ähnlich wie sie jetzt schon für Nicht-EU-Bürger gilt.

Grundsätzlich aber schwenkt man in London auf einen sanften Brexit ein, der die britischen Wirtschaftsbeziehungen mit der EU nicht belastet. Die anfangs von der May-Regierung lauthals eingeforderte "Kontrolle über unsere eigenen Grenzen" hat jetzt unüberhörbar an Bedeutung verloren. Jetzt, so formuliert es der Diplomat, "gibt es ein Ziel Nr.1: Der Handel mit der EU muss so reibungslos wie möglich ablaufen."

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