Gefährder: Recht ist oft "ein stumpfes Schwert"

Amri in Brüssel: Der Attentäter floh von Belgien bis nach Italien
Konsequenzen im Fall Amri: EU-weite Terror-Datenbank gefordert.

"Bis an die Grenze des Rechtsstaats" sei man im Fall Anis Amri gegangen. Was der nordrhein-westfälische Innenminister Ralf Jäger am Donnerstag vor dem Innenausschuss aussagte, verdeutlicht das Dilemma, in dem die Behörden seit dem Berliner Terroranschlag stecken: Sie müssen sich gegen den Vorwurf wehren, nicht effizient gehandelt zu haben – wieso wusste man um die Gefährlichkeit des Tunesiers, verhaftete ihn aber nie?

"Nicht verwertbar"

Hinderlich sei vor allem die Rechtslage, heißt es. Alles, was man gegen Amri in der Hand hatte, sei "nicht gerichtsverwertbar" gewesen, so Jäger; auch das Ausländerrecht habe sich als "stumpfes Schwert" erwiesen, so Burkhard Schnieder, im Innenministerium für Ausländerangelegenheiten zuständig.

Um als Gefährder eingestuft zu werden, ist keine Straftat nötig, deshalb sind die Hürden für Festnahmen und Abschiebungen auch so hoch. Beispielhaft dafür steht die Inhaftierung eines Freundes von Amri, mit dem er 2015 via Italien eingereist war und der von Amris Plänen gewusst haben könnte. Bilel A., selbst ein Gefährder, wurde am Mittwoch festgenommen – nicht, weil er eine Straftat plante, sondern weil er Sozialleistungen erschlichen haben soll. Ähnlich skurril mutet der Fall eines Afghanen an, der seit 2011 in Deutschland als radikaler Islamist bekannt ist und dennoch nicht abgeschoben wurde – nicht nur wegen der schwierigen Rückführungen nach Afghanistan, sondern auch, weil er "Anschlagsabsichten im Ausland" hegte.

14 Identitäten

Schwierig macht den Umgang mit Gefährdern auch das wirre Netzwerk der Behörden. Für Polizei und Verfassungsschutz sind die Länder zuständig; damit wollte man nach 1945 einem Putsch vorbeugen. Die föderalen Behörden kommunizieren jedoch nur mangelhaft untereinander, sie nutzen auch alle unterschiedliche IT-Systeme. Gut sieht man das daran, dass am Donnerstag bekannt wurde, dass Amri 14 Identitäten verwendete – so konnte er sich ungehindert in Deutschland bewegen.

Auch der Austausch mit anderen Behörden in EuropaAmri reiste nach der Tat über die Niederlande, Belgien und Frankreich nach Italien – funktioniert nur schleppend. Das gilt zum einen für die EU-Asyldatenbank Eurodac, in der eigentlich erkennbar hätte sein müssen, dass Amri bereits aus Italien abgeschoben werden sollte; das gilt aber auch für die Gefährder-Datenbank bei Europol, deren Nutzung nach wie vor freiwillig ist.

Geht es nach der CSU, soll zumindest dieser Austausch verpflichtend werden – eine EU-weite Gefährderdatei soll entstehen. "Das ist der Schlüssel, um Verbrecher und Terroristen in der modernen Welt zu jagen", so EVP-Fraktionschef Manfred Weber. In Deutschland setzten sich die Behörden noch mit ihren eigenen Pannen auseinander. Der Bund prüft, was im Fall Amri schief lief – ein Zwischenbericht soll noch im Jänner vorliegen.

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