Sebastian Kurz soll Europa gestalten - oder erschüttern

Sebastian Kurz, Außenminister Österreichs
Der österreichische Außenminister wird auf einer Liste neben 27 anderer Persönlichkeiten angeführt, die Europa 2017 bewegen werden.

Wer wird 2017 Europa gestalten, wer wird daran rütteln oder es vielleicht sogar erschüttern? Eine Antwort darauf bietet die europäische Ausgabe des US-Magazin Politico. 28 Persönlichkeiten werden im kommenden Jahr eine zentrale Rolle für die EU spielen. Interessant: Auch Österreichs Außenminister Sebastian Kurz gehört zu der Riege der Gestalter und Rüttler.

Bürgermeister führt die Liste an

Seit 2015 wählen Politico-Journalisten - nicht ohne Unstimmigkeiten - unter zahlreichen Leser-Nominierungen 28 Personen für die sogenannte "Politico 28 Class of"-Liste aus. Dabei handelt sich um Persönlichkeiten aus Politik, Kunst, Wirtschaft und Medien, wie es in einer extra dafür angelegten Erklärung heißt. Die Auserwählten werden anschließend gemäß ihres "impacts" für die EU gereiht. Eine mächtige Position in der Öffentlichkeit garantiert allerdings keinen Platz auf der Liste. Angela Merkel zum Beispiel: Während das renommierte TIME-Magazin sie 2015 wegen ihrer humanitären Flüchtlingspolitik umgehend zur "Person of the year" erkor (mehr dazu hier), fehlte die deutsche Kanzlerin im Politico-Ranking gänzlich. Angeführt wurde die Liste von ihrem Konterpart aus Ungarn, Viktor Orban, der eine rigoroso Flüchtlingsagenda vertritt und als "Trendsetter" für den Aufstieg der nationalistischen Politiker in der westlichen Welt gilt.

Sebastian Kurz soll Europa gestalten - oder erschüttern
Mayor of London Sadiq Khan gestures to the audience after making a speech on the third day of annual Labour Party conference in Liverpool, north west England on September 27, 2016. Distracted by a bitter leadership contest, Britain's main opposition Labour party has struggled to present a vision of Brexit to challenge the ruling Conservatives -- and many fear the re-election of Jeremy Corbyn will do little to change this. / AFP PHOTO / Oli SCARFF

Die "Politico 28 Class of 2017"-Liste wird allerdings von einem muslimischen Politiker angeführt. Der Londoner Bürgermeister Sadiq Khan (Bild) repräsentiere mit seiner liberalen Agenda eine Alternative zur gegenwärtigen Politik. Auch seine persönliche Geschichte war ausschlaggebend: Der 45-Jährige ist Sohn pakistanischer Einwanderer, aufgewachsen in einer Londoner Sozialwohnung. Sein Vater versuchte die zehnköpfige Familie als Busfahrer über Wasser zu halten, Sadiqs Mutter arbeitete als Schneiderin. Als unterprivilegiertes Kind von Einwanderern hat er es zum Bürgermeister einer der größten Städte Europas gebracht hat. "Ich bin Londoner, Brite, ein stolzer Muslim. Ich bin asiatischer Herkunft mit pakistanischem Erbe - aber das Großartige an dieser Stadt ist, dass ein Londoner jeden Glauben oder keinen Glauben haben kann, und er wird respektiert", sagte Khan.

Er führt die Liste vor Frauke Petry an, die im 2017 die AfD als Vorsitzende wohl erstmalig in den deutschen Bundestag führen wird. Dahinter folgen Michael O’Leary, Vorsitzender Billigfluggesellschaft Ryanair, der polnische Ex-Premier und PID-Chef Jarosław Kaczyński. Der türkische Premierminister Recep Tayyip Erdogan, der seine Macht weiter ausbauen und die EU in die Zange nehmen wird, landet auf Platz 7, Shpend Ahmeti, Bürgermeister der kosovarischen Hauptstadt Priština, ist auf Platz 28 zu finden.

"The Fresh Face" - Sebastian Kurz

Aus österreichischer Sicht ist die 12. Stelle sehr interessant. Zwischen der in Aserbaidschan geborenen Investorin Isabel dos Santos und der litauischen Staatspräsidentin Dalia Grybauskaitė rangiert nämlich Außenminister Sebastian Kurz, oder wie ihn Politico nennt: "The Fresh Face."

Er würde mit seinen braunen, nach hinten gegelten Haaren, dem offenen Hemd und seinem unbekümmerten Auftreten - a là "hinter mir die Sintflut" - einen Kontrast zu seiner katholisch konservativen Partei, der ÖVP, verkörpern. "Dass Kurz, der 2013 zum Außenminister ernannt wurde, heute als die beste bzw. einzige Hoffnung der Partei gilt, sagt sowohl viel über den Abstieg des konservativen Establishments in Österreich als auch über sein politisches Talent aus."

Sebastian Kurz soll Europa gestalten - oder erschüttern
Anne Will & Sebastian Kurz

Im vergangenen Jahr, als die sogenannte Flüchtlingskrise die Kompetenzen der europäischen Politiker ad absurdum stellte, habe sich Kurz an die Spitze der Debatte positioniert. Bei der Schließung der Balkanroute - der primäre Weg für Flüchtlinge von Griechenland nach Nordeuropa - habe er einen wesentlichen Beitrag geleistet. Der Schwenk von der Willkommens- zur Abschottungspolitik hatte zwar zu einigen Unstimmigkeiten zwischen Brüssel und Berlin auf der einen und Österreich auf der anderen Seite geführt, doch der Außenminister hielt vehement seinen Kurs. Heute würde sogar Angela Merkel die Kurz’sche Intervention in der Flüchtlingskirse anerkennen.

Einzige Hoffnung gegen einen freiheitlichen Bundeskanzler?

Tatsächlich gilt Sebastian Kurz schon länger als Medienliebling. Immer wieder wird er in deutschen TV-Talkshows eingeladen, gibt emsig Interviews und wird von renommierten Medien porträtiert. Sein Alter spielte allerdings nur zu Beginn seiner politischen Laufbahn eine Rolle. Heute ist es seine viel zitierte Eloquenz, aber auch, weil er in der Flüchtlingsdebatte Positionen bezieht, die nicht dem Mainstream entsprechen. Deshalb scherze niemand mehr über den jungen Außenminister oder darüber, dass er keinen Hochschulabschluss vorweisen kann. Von "Wunderwuzzi der ÖVP" kann keine Rede mehr sein. Vielmehr würden sich heute viele die Frage stellen: Was passiert als nächstes?

In Österreich wird Kurz von der Bevölkerung geschätzt. Das zeigte nicht zuletzt der Vertrauensindex. Im November lag der ÖVP-Politiker mit Respektabstand vor Bundeskanzler Christian Kern (siehe hier). Viele würden ihn als einziges Bollwerk gegen einen künftigen freiheitlichen Bundeskanzler sehen.

Sebastian Kurz soll Europa gestalten - oder erschüttern

Übrigens sind die Fußstapfen, in die Kurz tritt, ziemlich groß. Im vergangenen Jahr wurde Thomas Wieser (Bild), der seit 2012 Chefkoordinator des Euro ist, auf Platz 10 gewählt. Er habe die Währung gerettet, so das Urteil von Politico.

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