Wie Schweden mit illegalen Einwanderern umgeht

Von 2015 bis 2016 ging die Zahl von 163.000 Flüchtlingen auf 29.000 zurück.
Das Land pflegte einst eine liberale Flüchtlingspolitik, heute beharrt es auf restriktiven Gesetzen.

Mohammed lässt sich erschöpft in seinen Sitz fallen. Seinen Sohn hält er fest an der Hand, ebenso das Zugticket. Seit Wochen ist die Familie unterwegs. Von Syrien kamen sie in die Türkei, weiter nach Griechenland und dann Richtung Norden. Ihr Ziel: Malmö. Beobachtungen einer KURIER-Reportage aus Dänemark im Herbst 2015. Fast 10.000 Asylwerber kamen damals wöchentlich nach Schweden, das damals neben Deutschland und Österreich die meisten Flüchtlinge aufnahm.

Aber dann war plötzlich in Schweden Schluss mit der traditionell liberalen Einwanderungspolitik: Wer in Bussen, Zügen oder Fähren über Dänemark kommen wollte, musste sich etwa mit einem Pass ausweisen. Zwar sind diese Kontrollen jetzt wieder lockerer bzw. werden eingestellt – denn laut Innenministerium kommen pro Woche nur mehr 500, die Asyl suchen –, an der Grenzüberwachung und den strengen Gesetzen, die seit 2015 gelten, wird aber festgehalten.

Wie Schweden mit illegalen Einwanderern umgeht
Bernd Parusel
Bernd Parusel kennt sie gut. Der deutsche Politologe arbeitet für die schwedische Migrationsbehörde und hat den restriktiven Wandel in der einst liberalen Flüchtlingspolitik miterlebt: "Der Familiennachzug wurde für subsidiär Schutzberechtigte (Menschen, die keinen Flüchtlingsstatus bekommen, aber deren Leben im Herkunftsland bedroht ist) abgeschafft." Zudem wich man auch davon ab, allen Schutzberechtigten permanente Aufenthaltserlaubnisse zu erteilen. Parusel: "Zuvor bekamen alle Schutzberechtigten eine unbefristete Aufenthaltsgenehmigung und Recht auf Familiennachzug – jetzt sind sie zeitlich befristet."

Maßnahmen, die auch eine Reaktion auf die politischen Zustände waren. Die bürgerliche Opposition machte der rot-grünen Koalition seit dem Aufschwung der rechtspopulistischen Schwedendemokraten Druck in puncto Immigration. Gleichzeitig war man auf die Zahl an Flüchtlingen nicht vorbereitet, sagt Parusel: "Busse wurden gechartert und sind losgefahren. Keiner wusste, wo man die Menschen hinbringen sollte. Die Asylbehörde suchte händeringend nach Notunterkünften."

Die Schweden selbst reagierten mit Sorge – und mit Solidarität. Vor allem in entlegenen Gebieten nahm man Flüchtlinge gerne auf, auch zur Wiederbelebung der Gegenden, die oft unter Abwanderung und Überalterung leiden. "Manche Gemeinden haben sich zum Ziel gesetzt, möglichst viele Asylbewerber zu überzeugen, nach ihrer Anerkennung zu bleiben. Die Integration klappt oft besser in kleinen Orten, wo sich die Bevölkerung auch mehr engagiert. Es gibt aber die Tendenz, dass viele in Großstädte weiterziehen."

Neue Debatte

Ein Anschlag in Stockholm vor fast zwei Monaten sorgte zuletzt für Unmut und löste eine neue Debatte aus: wie Schweden die Ausreisepflicht bei jenen durchsetzen kann, die einen negativen Bescheid bekommen – wie etwa der Attentäter, ein Usbeke, der illegal untergetaucht war. Zur Diskussion stehen einige Zwangsmaßnahmen, wie Abschiebehaft oder elektronische Fußfessel, berichtet der Experte. Ähnlich, aber etwas "weicher", sei eine Meldeauflage, bei der die Person an ihrem Wohnort bleibt und sich bis zur Ausreise oder Abschiebung regelmäßig bei der Polizei oder Migrationsbehörde melden muss. Die Zahl der "Untergetauchten" wächst jedenfalls. Migrationsforscher Bernd Parusel kritisiert, dass man oft Asylbeschlüsse fasst, die juristisch korrekt, aber in der Umsetzung unrealistisch sind: "Menschen werden abgelehnt, obwohl ihre Rückkehr nicht durchsetzbar ist, weil es keine sicheren Transportwege gibt, eine Person nicht reisefähig ist, oder weil sich bestimmte Herkunftsländer weigern, eigene Staatsangehörige wieder aufzunehmen." Dass sie in die Illegalität abrutschen, ist nicht ihre alleinige Schuld - oft sind es auch die Umstände.

Bis zum kommenden Herbst hätten die EU-Staaten an die 180.000 Flüchtlinge aus dem überlasteten Italien und Griechenland holen und in andere EU-Staaten umsiedeln sollen. So weit der sogenannte „Relocation-Plan“ der EU-Kommission – umgesetzt wurde bisher nur ein Bruchteil davon.

Bis Mitte Mai wurden laut den gestern veröffentlichten Zahlen aus Brüssel rund 18.400 Flüchtlinge umgesiedelt. Darin sind jene 50 unbegleiteten jugendlichen Flüchtlinge noch nicht eingerechnet, die Österreich angekündigt hat, aufzunehmen. Österreich blieb damit bis dato neben Ungarn und Polen unter den einzigen drei EU-Staaten, die keine Flüchtlinge aus Italien oder Griechenland geholt haben.

Das EU-Parlament, das gestern in Straßburg eindringlich darauf pochte, die Umsiedlung europaweit zu forcieren, drängt auf die Verlängerung des Programmes, das eigentlich im Herbst enden soll. In Griechenland harren mehr als 60.000 Flüchtlinge aus.

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