Arrivederci!

„Ciao“ ist im Italienischen eine Begrüßung, wird aber genauso auch fürs Verabschieden verwendet – und so viele junge Italiener wie nie zuvor verabschieden sich gerade ins Ausland.
Vor allem junge, gut gebildete Leute verlassen auf der Suche nach guten Jobs in Scharen Italien. Dort droht die Regierung Renzi über ein Verfassungsreferendum zu stürzen.

"In Italien bleiben?", stellt Valeria Logoni die Frage und antwortet: "Es gibt keine Zukunft für mich." Die Architektin hat viele Monate als Praktikantin in Architekturbüros ohne Entlohnung gejobbt. Sie ist einer der viel zitierten "klugen Köpfe", die jährlich das Land verlassen. "In Italien sind junge Leute ewige Praktikanten", beklagt Logoni. Sie hat den Sprung ins Ausland gewagt und unterrichtet seit zwei Jahren Innendesign an einem Privatinstitut in Kuwait. Dem Gesetz entsprechende Arbeitsbedingungen gelten in Italien als Privileg: "Ich werde hier angemessen für meine Arbeit bezahlt und erhalte regelmäßig mein Gehalt", freut sich Valeria. Eine Rückkehr nach Sizilien kann sie sich derzeit nicht vorstellen: "Wer in Italien eine bezahlte Arbeit findet, gilt als Glückspilz. Eigentlich absurd."

Kluge Köpfe

Arrivederci!
Valentina Zacchone
Die Tageszeitung Il fatto quotidiano veröffentlicht wöchentlich unter dem Titel "cervelli in fuga" (kluge Köpfe auf der Flucht) Geschichten von Landsleuten, die international erfolgreich sind. Sei es als Pizzabäcker oder Kellner auf der Insel Malta, als Künstlerin in Moskau, als Wissenschaftlerin in den USA, als Pilot in Dubai. Oder wie Valentina Zacchone, als Assistenzprofessorin in Frankreich. Nach jahrelanger Gratisarbeit lebt die Technikabsolventin im nordfranzösischen Lille: "Seitdem habe ich eine Zukunftsperspektive und kann mir eine Rückkehr in die alten Strukturen nicht mehr vorstellen." Die Wissenschaftlerin stellt klar: "Wir sind keine ,Köpfe auf der Flucht‘, sondern normale Leute, die in Italien gegen Wände stoßen und keinen ihrer Ausbildung angemessenen Job bekommen."

Mobile Jugend

Laut aktuellen Daten der "Fondazione Migrantes" verließen allein im Vorjahr mehr als 107.000 Italiener das Land, darunter viele unter 35-Jährige. Ein Trend, der sich auch heuer fortsetzt: 37 Prozent der neuen Auswanderer sind zwischen 18 und 34 Jahre alt. Ihr bevorzugtes Ziel ist Deutschland, gefolgt von Großbritannien, Schweiz und Frankreich. Besonders mobil sind die "Millennials", also die kurz vor der Jahrtausendwende geborenen Jugendlichen, die gute Jobs im Ausland suchen. 43 Prozent von ihnen betrachten diese Mobilität als wichtige Möglichkeit, eine seriöse und feste Arbeitsstelle zu finden.

Unternehmer Mattia Mor, der in Schanghai und Bangkok Start-up-Firmen aufbaute, sieht es als dringende Aufgabe der Regierung in Rom, eine strategische Vision für künftige Arbeitsplätze zu entwickeln. Dafür sind, so Mor, Steuererleichterungen für innovative Unternehmen ebenso nötig, wie eine bessere Investition der EU-Fördergelder. Weiters müsse der Zugang zu Krediten erleichtert werden, mehr Risikokapital zur Verfügung stehen sowie die digitale Infrastruktur ausgebaut werden. Nur so würden Bedingungen geboten, unter denen Jungunternehmer ihre Projekte verwirklichen können. "Die Regierung muss es nicht nur für die Wirtschaft des Landes tun, sondern auch für die Italiener, die zur Rückkehr bereit sind", sagt Mor. "Sie tragen zur Entwicklung des Landes bei – nicht nur als Platz, wo Familie, gutes Essen, herrliches Klima sind und man seine Ferien verbringt. Sondern wo man sein Leben aufbaut, damit auch die eigenen Kinder davon profitieren können."

Die Regierung von Premier Matteo Renzi, dessen Bruder als Mediziner in der Schweiz lebt, hat heuer 40 Millionen Euro in den Rückkehrplan junger Leute investiert. 2017 soll das Budget auf 100 Millionen Euro aufgestockt werden.

Schicksalstag für Italiens Premier Matteo Renzi. Bis zuletzt hat er heftig die Wahltrommel für seine Verfassungsreform gerührt, über die heute abgestimmt wird. Laut Umfragen liegt die Nein-Front jedoch vorne. „Renzi hat den Fehler gemacht, das Referendum zu personalisieren und mit seinem Amtsverbleib zu verknüpfen“, sagt Politologe Christian Blasberg von der römischen Universität Luiss im KURIER-Gespräch. Inhaltliche Aspekte rückten zunehmend in den Hintergrund. Anfangs stieß die Reform, wonach nur noch eine der beiden Parlamentskammern in Rom für den Großteil der Gesetzgebung zuständig sein soll und die Kosten stark reduziert werden sollen, auf Zustimmung.

Arrivederci!
Demonstrators hold a banner picturing Italian Prime Minister Matteo Renzi with a prohibition sign and placards reading "PD (Democratic Party) go home I vote NO" during a "C'e chi dice NO" (some say no) rally, in central Rome, on November 27, 2016 calling to vote "no" for the upcoming referendum focused on a constitutional reform. Italy will hold a referendum on constitutional reform on December 4 in which Renzi has staked his political future on winning approval of a move to streamline parliament by replacing the Senate with a smaller, less powerful second chamber. / AFP PHOTO / Andreas SOLARO
Nach anfänglicher Renzi-Euphorie wurde der 41-Jährige aus Florenz aber zunehmend unbeliebter. Das Referendum wird so zu einer Abstimmung über seine Regierung. Im Fall von Neuwahlen würde derzeit laut Umfragen die Fünf-Sterne-Protestpartei vorne liegen. Mit 30 Prozent der Stimmen könnte sie RenzisPartito Democratico“ ablösen. Mit Grillo wären ein Euro-Ausstieg – eines seiner Ziele – und in der Folge auch ein EU-Austritt denkbar. Das wäre dramatischer als der „Brexit“, da Italien nach Deutschland und Frankreich die drittgrößte Volkswirtschaft des Währungsraumes ist.

Vergleich mit FPÖ

Politisch sind die Fünf Sterne schwer einzuordnen. „Manche haben sie schon in eine Reihe mit der FPÖ oder dem Front National gestellt. Doch ein Teil der Anhänger kommt aus der enttäuschten Linken. Es gibt aber starke Element des Rechtspopulismus, Grillo hat sich nie klar von Faschismus oder der Lega Nord distanziert“, so Blasberg.

Die Gefahr eines Erdrutschsieges der Protestpartei wäre besonders groß, wenn als Überbrückung eine technische Regierung bis zu den Parlamentswahlen 2018 zum Einsatz käme. „Technische Regierungen sind, wie die Erfahrung mit dem Ökonomen Mario Monti (2011–2013) zeigt, meist sehr unbeliebt. Deren harte Maßnahmen gegen den ,kleinen Mann‘ werden von der Bevölkerung als von Brüssel oder Berlin diktiert empfunden“, analysiert Blasberg.

Rückenwind dürfte im Fall eines Nein-Votums auch die ausländerfeindliche Lega Nord spüren. Sie peilt an, zur stärksten Einzelpartei im Mitterechts-Lager aufzurücken und die seit Jahren kriselnde Forza Italia um Ex-Premier Silvio Berlusconi zu verdrängen. Lega-Nord-Chef Matteo Salvini, der von US-Präsident Donald Trump inspiriert ist, will für das Amt des Regierungschefs kandidieren. Eine Rückkehr Berlusconis an die Macht gilt als unwahrscheinlich. Seine Forza ist gespalten und der 80-jährige Ex-Premier nach einem Herzinfarkt gesundheitlich angeschlagen.

Ob Renzi wie angekündigt im Falle eines „Nein“ zurücktritt oder komplett aus der Politik ausscheidet, ist offen. „Wenn Renzi weitermacht, dann allerdings geschwächt, und es wird nur einige Monate bis zu vorgezogenen Neuwahlen im Frühjahr oder Sommer 2017 halten. Er hätte dann Zeit, einige Fehler auszumerzen, es wäre ein letzter Aufruf an alle politischen Parteien, Reformen anzugehen“, schätzt Politologe Blasberg.

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